Wir müssen neue Quellen des Wachstums erschließen
Ökonomen erwarten eine lange Phase schwachen Wirtschaftswachstums. Christian Lindner will reagieren und mit einem erneuerten Wirtschaftsmodell dafür sorgen, dass Deutschland wieder vorne mitspielt.
„Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit war zu lange keine Priorität“, kritisierte Finanzminister Christian Lindner schon beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer. Im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ erläutert Lindner nun seinen Plan für eine ökonomische Zeitenwende. Er ist überzeugt, dass Deutschland gegen einen drohenden Abstieg nicht machtlos ist: „Im Gegenteil muss das Ziel sein, dass Deutschland mit einem erneuerten Wirtschaftsmodell in der Welt wieder vorne mitspielt. Deshalb muss die Ampelkoalition die Wende hin zu einer angebotsorientierten Politik schaffen.“ Er meint eine Politik, „die die Wachstumskräfte stärkt, indem sie die richtigen Rahmenbedingungen setzt statt Subventionen zu zahlen.“
Stärkung von Wachstumskräften und die Bekämpfung des Fachkräftemangels
Zu den notwendigen Maßnahmen zählt er eine Reform des Einwanderungsrechts, „damit die fleißigen und klugen Köpfe zu uns kommen“, eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, Investitionen in Infrastruktur, geringere Bürokratiekosten durch Digitalisierung, mehr Forschung, leistungsfähige Kapitalmärkte, bessere Betreuungsangebote, „damit mehr Frauen einer Arbeit nachgehen können“, und ein wettbewerbsfähiges Steuersystem. Lindner sieht sich damit in der Tradition von Walter Eucken, Otto Graf Lambsdorff oder Wolfgang Clement: „Es geht darum, dass der Staat sich nicht immer weiter verschuldet, um durch eigene Nachfrage oder Subventionen Wachstum zu erreichen. Wirtschaftspolitik auf Pump hat Grenzen.“
Jetzt gelte es, neue Quellen des Wachstums erschließen. „Zum Beispiel indem wir durch eine gesteuerte Zuwanderungspolitik den Fachkräftemangel bekämpfen.“ Der Arbeitsmarkt dürfe nicht zur Bremse der wirtschaftlichen Entwicklung werden. „Qualifizierte Einwanderung hilft gerade dabei, Engpässe zu reduzieren.“ Er will aber auch an anderen Stellschrauben drehen und auch das inländische Arbeitskräftepotenzial besser nutzen. Er denke etwa an die Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die viele Frauen unfreiwillig in Teilzeit halten.
Wir müssen den Menschen einen Anreiz geben
„Wir erleben jetzt seit längerer Zeit erstmals wieder teilweise Reallohnverluste“, so Lindner weiter. Dies könne der Staat nicht in der Breite und nicht auf Dauer ausgleichen. „Natürlich stellt sich dann die Frage, wie wir mehr Menschen dafür gewinnen, von Teilzeit in Vollzeit zu wechseln“. In diesem Zusammenhang sei auch eine längere Lebensarbeitszeit denkbar. „Ich bin gegen ein fixes Renteneintrittsalter. Wir brauchen da Individualität, weil sich die Lebenssituationen unterscheiden. Wir müssen den Menschen aber einen Anreiz geben, ihre Fähigkeiten in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.“
Ein Dachdecker könne mit 67 zwar vielleicht nicht mehr auf dem Dach stehen, aber bei der Ausbildung oder im Vertrieb mit seiner Erfahrung sehr hilfreich sein. Lindner sprach sich zugleich aber gegen einen allgemeinen Aufruf zur Mehrarbeit aus. Nötig sei eine differenzierte Debatte. „Es wäre absurd, der Vollzeitpflegekraft mit übervollem Dienstplan zu sagen: Arbeite mehr! Wir müssen eher darauf achten, dass sich Arbeiten und die bezahlte Überstunde lohnen und nicht durch übermäßig hohe Steuerabzüge bestraft werden.“
Umfangreiches Modernisierungsprogramm für das Land
Für ihn sei es eine politische Aufgabe, das „Aufstiegsversprechen unserer Gesellschaft“ zu erneuern: „Dass sich nämlich individuelle Leistung lohnt und zu sozialem Aufstieg führt. Und zwar unabhängig von der Herkunft. Bei allem geht es nicht um Zwang, sondern um Befähigung, Ermutigung und persönliche Entscheidung.“
Dafür brauche es ein umfangreiches Modernisierungsprogramm für das Land. Und genau das bringe die Kaolition gerade auf den Weg: „Neue Einwanderungspolitik, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, Rekordinvestitionen, Exzellenzinitiative für die Berufliche Bildung und so weiter. Im Jahreswirtschaftsbericht der Regierung beschreiben wir Maßnahmen der Angebotspolitik.“ Darin seien auch steuerpolitische Maßnahmen wie die Stärkung privater Investitionen durch Abschreibungen, bessere Forschungsförderung und anderes enthalten. In den vergangen Jahren sei viel Geld ausgegeben worden – vom Baukindergeld bis zur gescheiterten PKW-Maut. „Investitionen wurden vernachlässigt. Dabei sind Investitionen die Grundlage für wirtschaftlichen Fortschritt“, so Lindner. Er wolle nun eine Wachstumsperspektive schaffen.