Koalitionsvertrag der Mutlosigkeit
Christian Dürr zeigt sich tief enttäuscht über den neuen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. „Eine echte Reformpolitik wird es nicht geben“, stellt er fest.

Mit scharfen Worten kommentiert FDP-Präsidiumsmitglied Christian Dürr den frisch vorgelegten Koalitionsvertrag – und erkennt darin vor allem eines: ein bloßes Fortschreiben des bereits kritisierten Sondierungspapiers, ohne echten Aufbruch: „Ja, der Koalitionsvertrag ist mit Spannung erwartet worden, nach dem doch eher enttäuschenden Sondierungsergebnis. Und jetzt stellen wir fest, dass das, was aus den Sondierungsverhandlungen herausgekommen ist, jetzt einfach nur auf 144 Seiten verlängert worden ist“, so Dürr im Gespräch mit dem „ZDF“.
In seiner Analyse spricht Dürr von einem Stillstand, der Deutschland schade: „Eine echte Reformpolitik wird es in den kommenden vier Jahren in Deutschland bedauerlicherweise nicht geben. Und das ist genau das große Problem, die ehemalige Ampelkollektion ist zerbrochen aufgrund der Mutlosigkeit zu neuen Reformen.“ Auch die neue Koalition plant nun laut Dürr nicht die notwendigen Reformen: „Genau dieser Kurs, die Mutlosigkeit, die wird jetzt von Schwarz und Rot fortgesetzt.“ Der im Wahlkampf versprochen Politikwechsel bleibe aus.
Wirtschaftspolitik ohne Aufbruch
Insbesondere die wirtschaftspolitischen Pläne von Union und SPD werden von Dürr hart angegangen: „Deutschland braucht jetzt mutige Reformpolitik, beispielsweise in der Wirtschaftspolitik. Wir brauchen steuerliche Entlastung für die Unternehmen, die jetzt auch unter Druck geraten aufgrund der Zollpolitik von Donald Trump.“ Dass eine Senkung der Unternehmenssteuer erst für das Jahr 2032 vorgesehen ist, sorgt bei Dürr für Kopfschütteln: „Das ist angesichts der Krise völlig unverständlich – und es steht in den Sternen, ob das überhaupt passiert.“
Besonders brisant: Beim historischen Schuldenpakt hätte alles ganz schnell gehen müssen – doch bei der Wirtschaftswende „wird jeder noch so kleine Schritt auf die lange Bank geschoben“. Statt langfristiger Versprechungen verlangt Dürr entschlossenes Handeln: „Reformpolitik hieße, jetzt den Bürokratieabbau anzugehen. Echte steuerliche Entlastung, damit in Deutschland wieder investiert wird – und wir auch der Politik von Herrn Trump etwas entgegenzusetzen hätten.“
Dürr fordert außerdem Maßnahmen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger: „Wir brauchen Entlastungen für die hart arbeitenden Mitte in Deutschland. All das findet nicht statt. Im Gegenteil, steuerlichen Entlastungen sind nicht vereinbart.“ Dürr hebt hervor, dass die angekündigten Entlastungen nicht ausreichten. „Das ist natürlich viel zu wenig und es ist bedauerlich, weil ich frage mich, wenn man so lange verhandelt, warum das Ergebnis dann am Ende so klein geworden ist.“
Mehr Überwachung statt Reform
Der FDP-Politiker warnt darüber hinaus auch vor Fehlentwicklungen bei den Bürgerrechten: „Das Einzige, auf das sich Union und SPD einigen konnten, sind offensichtlich Eingriffe in die Bürgerrechte.“ Beim Thema Vorratsdatenspeicherung hätten die künftigen Koalitionspartner offenbar zueinander gefunden: „Da ist man sich einig, Bürgerinnen und Bürger mehr zu überwachen. Aber das ist ja keine Reformpolitik.“
Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki äußert auf „X“ scharfe Kritik an der geplanten Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung. Diese ebne den Weg für „mehr Lauschangriffe“ und die „Verfolgung von Inhalten unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“. Das Paradoxe daran: „Schwarz-Rot will dafür das Vertrauen der Gesellschaft. Besser wäre es, wenn die kommende Regierung auch der eigenen Bevölkerung ein wenig Vertrauen entgegenbrächte. Es werden herausfordernde Jahre für die Freiheit.“
Kleiner Koalitionsvertrag mit großen Lücken
In seinem Fazit lässt Christian Dürr kein gutes Haar an dem 144-seitigen Dokument: „Der Koalitionsvertrag, es sind 144 Seiten, ist nicht nur langweilig geschrieben, sondern mit wenig Inhalten bestückt und das Gegenteil dessen, was Deutschland in dieser Situation braucht.“ Deswegen könnten die Koalitionsverhandlung und der Koalitionsvertrag in einem Satz zusammengefasst werden: „Mutlosigkeit und Enttäuschung.“