Prävention durch bessere Datenauswertung
Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt bleibt eine entscheidende Frage: Warum wurde die Tat trotz zahlreicher Hinweise nicht verhindert? Die Freien Demokraten sehen die Ursache nicht in fehlenden Befugnissen, sondern in der ungenügenden Nutzung der vorhandenen Daten.
Der Terroranschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt erschütterte das ganze Land. Nun steht nicht nur die Frage im Raum, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte, sondern auch, wie zukünftige Bedrohungen dieser Art verhindert werden können. Am Montag diskutierte der Innenausschuss in einer Sondersitzung intensiv über die aktuellen Erkenntnisse zum Anschlag.
FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle machte deutlich, dass derzeit kein Anlass bestehe zu glauben, die Behörden hätten im Fall Magdeburg aus rechtlichen Gründen untätig bleiben müssen. „Aktuell spricht nichts dafür, dass die Behörden im Fall Magdeburg gerne etwas getan hätten, das sie nicht tun durften. Alles spricht dafür, dass Informationen nicht zusammengeführt wurden“, erklärte Kuhle. In seinen Augen wäre es deshalb zum jetzigen Zeitpunkt falsch, über eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu diskutieren. Solche Debatten würden vom eigentlichen Problem ablenken.
Neue Überwachungsmaßnahmen lösen das Problem nicht
Bereits jetzt sei klar, dass der Täter den Behörden auf Bundes- und Landesebene bekannt war. „Es hat auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedlichste Kontakte zwischen dem Täter und den Behörden gegeben, weil er selber Strafanzeigen gestellt hat, weil Strafverfahren gegen ihn geführt worden sind, weil es Gefährdungssachverhalte gab“, führte Kuhle aus. Vor vorschnellen Forderungen nach neuen Überwachungsmaßnahmen warnte Kuhle daher eindringlich. „Jeder, der schon immer bestimmte Maßnahmen gefordert hat, jeder, dem eine bestimmte Maßnahme, sei es die Vorratsdatenspeicherung, sei es Ausweitung der biometrischen Gesichtserkennung, besonders am Herzen liegt, kommt jetzt mit diesen Vorhaben. Davon halte ich nichts“, erklärte er. Stattdessen sei es notwendig, einen kühlen Kopf zu bewahren und die nächsten Schritte sorgfältig und mit Bedacht zu planen.
Auch der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann äußerte sich dazu auf X. Seiner Einschätzung nach liege das Problem nicht im Mangel an Daten, denn es habe 80 Anhaltspunkte zur Gefährlichkeit des Täters gegeben. „Das Problem ist also kein Mangel an Daten. Es fehlt die Fähigkeit, sie auszuwerten“, stellte Buschmann klar. Noch mehr Daten im Rahmen einer allgemeinen Vorratsdatenspeicherung zu sammeln, sei daher nicht zielführend und gehe die Ursache des Problems nicht an. Er hält solche Forderungen für eine Ablenkungstaktik.
Förderalismusreform für klare Verantwortlichkeiten
Vielmehr stellt für die Freien Demokraten die mangelnde Abstimmung und Transparenz zwischen den zahlreichen Sicherheitsbehörden in Deutschland eine klare Schwachstelle dar. In einem Interview mit dem Stern kritisiert Kuhle, dass es in Deutschland zwar viele verschiedene Sicherheitsbehörden gibt, diese jedoch in unzureichender Verbindung zueinander stehen. Aus diesem Grund müsse über eine Reform des Föderalismus bei der Inneren Sicherheit nachgedacht werden.
Der FDP-Fraktionsvize sieht in den undurchsichtigen Verantwortlichkeiten in Sachen Sicherheitsbehörden in Deutschland ein großes Problem: „Wenn Landesinnenministerinnen, Behördenchefs und Bundesminister nicht in der Lage sind, auf konkrete Fragen zu einem Anschlag zu antworten, ohne erstmal eine halbe Stunde zu beschreiben, warum sie nicht zuständig sind, dann macht das die Menschen zurecht wütend.“ Auch deshalb sei er für eine Föderalismusreform im Bereich Innere Sicherheit.
Es braucht eine Strategie für den speziellen Tätertyp
Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen der parlamentarischen Aufarbeitung betrachtet werden muss, ist die Frage, wie mit Tätern wie dem in Magdeburg künftig umgegangen werden soll. Kuhle betonte, es sei bereits offensichtlich, dass der Täter nicht in klassische Täterphänomene von Islamismus und Rechtsextremismus einzuordnen sei. „Wenn der Täter ein klassischer Islamist gewesen wäre, dann wäre ein solcher Anschlag wesentlich weniger wahrscheinlich gewesen.
Der FDP-Politiker erläutert die Gründe dafür: In den Bereichen Islamismus und Rechtsextremismus seien die Sicherheitsbehörden inzwischen deutlich besser darin, potenzielle Täter frühzeitig zu erkennen. Der Täter in Magdeburg sei jedoch durch alle Raster gefallen und deshalb nicht so aufgefallen, wie es eigentlich hätte sein müssen. Es stehe die Frage im Raum, wie Deutschland mit Menschen umgehen solle, die „wirre Verschwörungstheorien ins Internet schreiben, zu konkreten Drohungen übergehen und Briefe an Behörden und Journalisten versenden“. Laut Kuhle hat man bislang weder ein umfassendes Bild noch eine klare Strategie, um Gewalttaten solcher Tätertypen künftig zu verhindern.
Sicherheitskonzept muss überprüft werden
Um mehr Klarheit darüber zu schaffen, warum die Behörden noch immer nicht sagen können, wann und wie viele Behördenkontakte der Täter hatte, hält Kuhle einen Untersuchungsausschuss für sinnvoll. Die Diskussion über die Sicherheit gehe dabei ausdrücklich weit über die nächste Bundestagswahl im Februar hinaus. ‚Der nächste Deutsche Bundestag wird über die Frage eines Untersuchungsausschusses entscheiden müssen‘, so Kuhle. Nach dem Anschlag auf den Breitscheidplatz habe ein solcher Ausschuss aus seiner Sicht bereits einen Mehrwert gebracht.
Neben der Arbeit der Sicherheitsbehörden muss für den FDP-Politiker auch das Sicherheitskonzept des Magdeburger Weihnachtsmarktes thematisiert werden. Es müsse untersucht werden, ob mögliche Versäumnisse bei den Verantwortlichen für die Sicherheit vor Ort eine Rolle gespielt haben könnten. Die Klärung all dieser Fragen werde noch Wochen und Monate in Anspruch nehmen, so Kuhle.