Europa muss liefern
Europa gerät zunehmend unter Druck – Deutschland muss nun endlich Verantwortung übernehmen, fordert Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Insbesondere das geplante Sondervermögen dürfe nicht zweckentfremdet werden, sondern müsse gezielt in die Verteidigung fließen.

Europa steht unter Druck. Nach den vorerst gescheiterten Gesprächen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fordert die FDP-Verteidigungsexpertin und Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Europa muss liefern.“ Sie sieht ihre schlimmsten Befürchtungen über Trumps zweite Amtszeit bestätigt. „Der US-Präsident reißt in wenigen Tagen ein, was seine Vorgänger über 80 Jahre hinweg seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen den USA und Deutschland aufgebaut haben.“
Deutschland müsse diese neue Realität anerkennen und die Bedrohung durch Russland ernst nehmen. Strack-Zimmermann betonte im Gespräch mit dem Tagesspiegel, dass nun finanzielle Mittel bereitgestellt werden müssten, um die Verteidigung zu stärken. Friedrich Merz kündigte nach Sondierungsgesprächen zwischen seiner Union und der SPD an, ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro zu schaffen. Auch solle die Schuldenbremse für bestimmte Verteidigungsausgaben gelockert werden. Strack-Zimmermann begrüßte gegenüber Politico, dass mehr Geld in die Bundeswehr fließen soll, warnte jedoch, dass ein solches Sondervermögen nur Sinn ergebe, wenn es klare Kriterien erfülle, um die Streitkräfte schnellstmöglich zu modernisieren.
Sondervermögen darf nicht zweckentfremdet werden
Bisher sei die halbe Billion Euro jedoch für die allgemeine Infrastruktur und nicht primär für die Verteidigung vorgesehen. Man könne aber Trump wohl nicht unterstellen, dass er für die kaputten Schulkos verantwortlich ist, stellte Strack-Zimmermann die Begründung des Sondervermögens in Frage. „Wenn Friedrich Merz ein Sondervermögen für anderes missbrauche als die Verteidigung, dann wird er nur ein Abziehbild von Olaf Scholz werden“, machte sie deutlich.
Strack-Zimmermann erinnerte auch daran, dass eigentlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich für die Verteidigung vorgesehen seien. „Jetzt wurde aber verabredet, dass ein Prozent für die Bundeswehr, das sind 44 Milliarden Euro, nach heutigem Stand festgeschrieben werden – alles Weitere soll über Schulden finanziert werden.“ Dies sehe sie kritisch. Sie betonte die staatliche Pflicht, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen – „das nur auf Schulden aufzubauen, halte ich für fatal“. Hinzu käme, dass eigentlich drei Prozent des BIP nötig wären.
Die Europapolitikerin befürchtet außerdem, dass steigende Schulden den Euro abwerten und die Inflation anheizen könnten. Für sie ist klar: Ohne Wirtschaftswachstum ist auch keine Verteidigung finanzierbar. „Es muss eine Balance hergestellt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands insgesamt zu verbessern.“ Neue Schulden allein würden keine Probleme lösen.
Deutschland muss eine Führungsrolle übernehmen
Die Bereitschaft Deutschlands, Geld für die Unterstützung der Ukraine bereitzustellen, sende jedoch zunächst einmal ein wichtiges Signal für den am Donnerstag stattfindenden EU-Sondergipfel, so Strack-Zimmermann. Sie unterstrich, dass die europäischen Staaten abgesehen davon auch darauf hofften, dass Deutschland mehr politische Führung übernehme. Rückblickend habe Deutschland zwar viel für die Ukraine getan, jedoch oft nur reagiert statt geführt. „Man kann einem Ertrinkenden drei Jahre lang Rettungsringe zuwerfen, damit die Nase über Wasser bleibt. Wenn man ihn aber nicht aus dem Wasser zieht, dann wird er untergehen.“ Scholz sei „stumm wie ein Fisch“ in Brüssel gewesen. Deutschland müsse als größte Volkswirtschaft der EU schnellstmöglich seine Führungsrolle finden.
Strack-Zimmermann plädiert darüber hinaus für eine engere europäische Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen. Zu lange hätten die meisten Länder ihre Armeen abgebaut und eigenständig agiert. „Es ist aber klar, dass sich kein Land alleine verteidigen kann.“ Erstmals habe die Europäische Union nun einen Kommissar für Verteidigungsbeschaffung eingesetzt, um diese künftig gemeinschaftlich zu koordinieren. Langfristig ist aus Strack-Zimmermanns Sicht auch der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee notwendig. „Denn nur aus der Stärke heraus werden wir Europa schützen können.“ Hoffnung mache ihr, dass Großbritannien militärisch die Nähe zur EU suche. „Wir brauchen dringend eine Koalition der Willigen – Staaten in Europa, sowohl EU-Mitglieder als auch Nichtmitglieder.“
Eine starke Allianz demokratischer Nationen solle nun vorangehen und die Ukraine unterstützen, gerade weil die USA sich zurückzögen. Eines stehe fest: „Die Demokratien sollten auf diesem Erdball eng zusammenarbeiten und den Autokraten klarmachen, dass die freie Welt nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, sondern bereit ist, sich und die eigenen Werte zu schützen und zu verteidigen.“
Russland versteht nur Stärke
Europa sei zwar noch nicht im Krieg, lebe aber auch nicht mehr im Frieden. Putin greife Europa bereits massiv an – durch Cyber-Angriffe, Desinformation durch russische Trolle und Bots sowie gezielte Attacken auf Unterwasserinfrastruktur und Verletzungen des europäischen Luftraums. Besonders gefährlich sei auch die Verminung ukrainischer Getreidefelder, durch die Putin die Ausfuhr von Getreide blockiere. „Die Ukraine ernährt 70 Millionen Menschen weltweit. Wenn die Menschen hungern und die Brotpreise ins Unermessliche steigen, werden sie ihre Heimat verlassen müssen.“ Migration werde von Putin instrumentalisiert, um zusätzlichen Druck auf Europa auszuüben.
„All das sind massive Angriffe auf uns und unsere Freiheit.“ Konventionelle Angriffe seien mittelfristig nicht auszuschließen. Besonders gefährdet seien Länder mit russischen Außengrenzen wie Polen, Estland, Lettland und Litauen. Europa müsse geschlossen aufrüsten, um abwehrbereit zu sein. „Nur aus einer Position der Stärke heraus können weitere Angriffe aus Russland verhindert werden und die Ukraine eine Überlebenschance erhalten.“ Ein echter Frieden erfordere zudem mehr als einen simplen Waffenstillstand. „Eine militärische Verschnaufpause für Russland, um sich auf den nächsten Angriff vorzubereiten, entspricht keinem dauerhaften, gerechten Frieden.“
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