Die Zeiten ändern wir
Die FDP hat auf ihrem Parteitag gezeigt, wie es gelingen kann, in der Regierung verlässlich zu sein und sich trotzdem als eigenständige Kraft zu profilieren: Unter dem Motto „Die Zeiten ändern wir“ kam neben Personalwahlen die inhaltliche Debatte nicht zu kurz.
Am Wochenende haben sich die Freien Demokraten vor dem Hintergrund von Krieg und Krisen zu ihrem 73. Ordentlichen Bundesparteitag in Berlin versammelt und ein entschiedenes Bekenntnis zur Verteidigung von Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland, Europa und der Welt ausgesandt. Waren die letzten Parteitage coronabedingt noch als Live- und Hybrid-Veranstaltungen konzipiert, war dieses Mal wieder eine Präsenzversammlung möglich. Außer für einen: FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner musste aufgrund einer Corona-Infektion live aus den USA zugeschaltet teilnehmen. „Einen Parteitag aus Washington zu bestreiten, das ist nun wirklich Ausdruck der transatlantischen Partnerschaft, die wir pflegen“, nahm es Lindner mit Humor.
In seiner Rede plädierte der Parteivorsitzende für eine schärfere Gangart gegen Putin. „Es kann kein normales Miteinander mit Russland unter Wladimir Putin geben.“ Russland müsse vollständig politisch, finanziell und wirtschaftlich isoliert werden. Dazu gehörten auch die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine. Es sei für ihn unverständlich, warum eine klare Feststellung in dieser Frage, für manche „eine solche Hürde“ darstelle. „Denn in der Ukraine wird auch um die Werte gekämpft, die uns wichtig sind“, so Lindners eindringliche Botschaft.
Eine europäische Perspektive für die Ukraine
Der Parteichef zählte drei Bedingungen für Waffenlieferungen auf, die sich auch im Beschluss des Parteitages wiederfinden: Deutschland solle im Gleichklang mit den Verbündeten agieren, vor allem Frankreich und den USA. Lieferungen dürften zudem die „eigene Wehrhaftigkeit“und Bündnisfähigkeit nicht gefährden. Und drittens dürfe Deutschland keine Kriegspartei werden. „Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um der Ukraine zum Sieg zu verhelfen“, sagte Lindner. Aber „die eigene Sicherheit“ sei dabei eine Grenze. Nach einer lebhaften Debatte verabschiedeten die Parteitagsdelegierten den Antrag „Frieden, Freiheit und eine europäische Perspektive für die Ukraine“, der 11 konkrete Forderungen zur Unterstützung der Ukraine beinhaltet.
Lindner machte zugleich deutlich. „Scholz ist eine verantwortungsbewusste Führungspersönlichkeit, die sorgsam abwägt“, sagte der Parteichef und warnte vor „pauschaler Kritik“ am Kanzler. Lindner: „Der Bundeskanzler hat das Vertrauen der FDP.“ Lindner bewarb die Ampelkoalition als verantwortungsvolles Regierungsbündnis, das sich den Anforderungen der Realität stellt. Scharfe Kritik hatte er für CDU und CSU übrig. Die Union versuche bei der Debatte um Waffenlieferungen, die Regierungskoalition in Schwierigkeiten zu bringen. „In Zeiten des Krieges in Europa habe ich für diese Form von parteipolitischen Manövern keinerlei Verständnis“, sagte Lindner.
Die Mission des neuen Generalsekretärs: Eine erfolgreiche FDP
Neben der Rede des Parteichefs stand die Wahl des neuen Generalsekretärs an. Die Delegierten wählten den Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai offiziell zum neuen Generalsekretär. Der 45-jährige Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen erhielt auf dem Parteitag am Samstag in Berlin 521 der 585 abgegebenen Stimmen und damit 89 Prozent - ein satter Vertrauensvorschuss. Djir-Sarai führt das Amt seit Dezember kommissarisch, nach dem Vorstand und Präsidium seine Nominierung durch Lindner gebilligt haben. Der aus dem Iran stammende Djir-Sarai ist als Generalsekretär Nachfolger von Volker Wissing, der in der Bundesregierung Minister für Verkehr und Digitales ist.
Seit Djir-Sarai das Amt übernommen hat, hat er immer wieder gesagt, der Weg in die Ampel sei für die FDP länger gewesen als für SPD und Grüne. Eine Koalition sei auch keine Fusion. In seiner Bewerbungsrede am Samstag versprach Djir-Sarai, „niemals, niemals, niemals“ ein weiterer Sprecher der Regierung zu werden. Seine Mission sei die FDP, „eine erfolgreiche FDP“. Der Krieg zeige, wie sehr gesellschaftliche und individuelle Freiheiten bedroht seien. Die FDP müsse daher „klar und leidenschaftlich“ eintreten für die Werte,„die uns ausmachen und mit denen wir uns identifizieren“. In seiner ersten Grundsatzrede appellierte er an die Politik, nicht auf Staaten zu setzen, die offen die demokratischen Werte ablehnten. Er wies auch auf die früheren FDP-Außenminister Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel und Guido Westerwelle hin und fragte: „Wo sonst sollte diese Partei stehen, wenn nicht an der Seeite derjenigen, die für Freiheit, Frieden, Selbstbestimmung unter Einsatz ihres Lebens kämpfen?“
Es sei sein „Herzensanliegen“, eine „Lanze für die Freiheit zu brechen“, unterstrich der Generalsekretär. Denn „spätestens in diesen Zeiten“ seien diejenigen „Lügen gestraft“, die behaupteten, „das mit der Freiheit funktioniere schon irgendwie von selbst“. Djir-Sarai warnte: „Die Feinde der Freiheit sind auf der ganzen Welt zu Hause und sie ruhen nicht.“
FDP-Agenda: Eine wehrhafte Demokratie und Digitalisierung aller Behörden
Passend dazu zeigt der beschlossene Leitantrag „Freiheit sichern, Werte schaffen – für eine wehrhafte liberale Demokratie in Deutschland und Europa“ auf, wie wir über die Verteidigungspolitik hinaus auch Deutschlands Handlungsfähigkeit in Fragen der Infrastruktur, Finanzen und Rechtsstaatlichkeit stärken können. Mit Beschluss des Leitantrags hat sich der Parteitag auf eine politische Agenda verpflichtet, das Land wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich widerstandfähiger und wehrhafter zu machen.
Beraten wurde auch eine Initiative der FDP Bayern zur Digitalisierung in Behörden. Der Antrag des Landesverbandes „Alle Behörden bis 2025 digitalisieren!“ erzielte im Rahmen eines Mitgliedervotums (alle Mitglieder der FDP waren stimmberechtigt) die meisten Stimmen und wurde als sogenannter „Mitgliederantrag“ auf dem Parteitag behandelt und einstimmig beschlossen. „Es freut mich, dass der bayerische Landesverband programmatischer Antreiber bei diesen wichtigen Zukunftsthemen ist. Darauf können wir stolz sein“, so Bayerns Generalsekretär Lukas Köhler. Beschlossen wurde auch der Antrag Bafög und der Dringlichkeitsantrag Energie.
BPT22 wählt neuen Schatzmeister und neue Gesichter in den Bundesvorstand
Obwohl an diesem Bundesparteitag keine turnusmäßige Neuwahl des Vorstandes anstand, mussten dennoch einige Posten nachbesetzt werden. Neben der Wahl des Generalsekretärs wurde auch ein Nachfolger für Bundesschatzmeister Harald Christ gewählt: Neuer Bundesschatzmeister ist mit einem hervorragenden Ergebnis der Europapolitiker Michael Georg Link. Der wiederum kann sich über einen gut geführten Haushalt freuen: Das Jahr 2020 könne man „guten Gewissens“ als das „für die Finanzen der Gesamtpartei bedeutsamste der letzten gut zwei Jahrzehnte bezeichnen“, sagte Christ am Samstag. Mit einem Vermögen von knapp 23,6 Millionen Euro stand die Partei damit vor dem Bundestagswahljahr 2021 so gut da wie zuletzt 1993.
Mit der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im Bundestag Renata Alt, der JuLis-Bundesvorsitzenden Franziska Brandmann und der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Susanne Schütz rücken zudem drei neue Gesichter in den Bundesvorstand auf. Ebenfalls neu gewählt wurden die Delegierten für den Rat der ALDE – die liberale Mutterpartei auf europäischer Ebene.
- Rede von FDP-Chef Christian Lindner
- Rede von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
- Eröffnungsrede von FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki
- Abschiedsrede von Harald Christ
- Vorstellungsrede Michael Link
- Vollständiger Livestream zum Parteitag (Samstag)
- Vollständiger Livestream zum Parteitag (Sonntag)
Weitere Videos vom Parteitag finden Sie hier.
Alle Beschlüsse können Sie hier einsehen.