Wir werden der Chatkontrolle nicht zustimmen
Die Chatkontrolle der EU würde Messenger wie WhatsApp zwingen, jedes versendete Bild auf verbotenes Material zu scannen. Die Freien Demokraten stemmen sich gegen diese Form der Massenüberwachung.
Die EU-Kommission hatte 2022 einen Vorschlag vorgelegt, wonach Anbieter wie Google oder Facebook unter bestimmten Umständen verpflichtet werden können, ihre Dienste mithilfe von Software massenhaft nach Missbrauchsdarstellungen von Kindern zu durchsuchen. Nachdem im Juni eine geplante Abstimmung zu dem Thema kurzfristig vertagt wurde, könnte nun Ungarn mit seinem jüngsten Anlauf zur Chatkontrolle scheitern. Die niederländische Regierung hat sich am Dienstag eindeutig gegen den Vorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft gestellt.
Auch die Freien Demokraten bleiben bei ihrem erheblichen Widerstand. Sie sprechen von einer „Chatkontrolle“ und fürchten Massenüberwachung. Bundesjustizminister Marco Buschmann sprach sich erneut vehement gegen die EU-Pläne aus. Er sagte, die Chatkontrolle bedeute „nichts anderes als das anlasslose und massenhafte Scannen — selbst verschlüsselter — privater Kommunikation“. Auch viele Daten in einer Cloud könnten so ohne konkreten Tatverdacht durchforstet werden. Ein derart schwerer Eingriff in die Privatsphäre der Bürger wäre unverhältnismäßig. Aufgrund der Erfahrungen mit zwei Diktaturen, die die Privatsphäre missachteten, achte Deutschland besonders auf den Schutz privater Kommunikation, so Buschmann.
In einem offenen Brief hatten die Freien Demokraten schon zuvor gemeinsam mit anderen Politikern aus Europa an die EU-Mitgliedstaaten appelliert, gegen die sogenannte Chatkontrolle zu stimmen. Man sei davon überzeugt, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen mit den europäischen Grundrechten unvereinbar seien, hieß es in dem Papier, zu dessen Unterzeichnern unter anderem Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Konstantin Kuhle sowie Moritz Körner gehören.
Chatkontrolle schafft keine zusätzliche Sicherheit für Kinder
„Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass ich einem staatlichen Aufseher etwa mein Fotoalbum zur Vorabkontrolle vorlegen müsste, bevor ich einem Freund meine jüngsten Urlaubsfotos zeige“, führte Buschmann aus. Er betonte: „Die Bundesregierung wird der Chatkontrolle nicht zustimmen.“ Sollte der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten das Vorhaben am Donnerstag dennoch durchwinken, „werden wir uns in den Trilog-Verhandlungen mit aller Kraft einbringen“.
Den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des offenen Briefes zufolge ist ein Ansatz nötig, der unter anderem den Schutz vor sexuellem Kindesmissbrauch in den Vordergrund stellt. Außerdem seien mehr Ressourcen und eine gezieltere Koordinierung der europäischen Strafverfolgungsbehörden nötig. Der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und ebenfalls Mitinitiator des Briefes, Maximilian Funke-Kaiser, sagte, die „Chatkontrolle“ schaffe keine zusätzliche Sicherheit für Kinder, sondern führe zum Ende der privaten Kommunikation über Messenger, wie man sie kenne.
Chatkontrolle mit aller Kraft verhindern
Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat entschlossenen Widerstand seiner Partei gegen eine allgemeine Kontrolle von Messenger-Diensten bekräftigt. „Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die europäische Chatkontrolle zu verhindern“, sagte Dürr der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Vorstellung, dass die Betreiber Chat-Nachrichten oder versendete Bilder ohne Anlass mitlesen könnten, sei „geradezu absurd“.
Dürr kritisierte: „Die angebliche Option, die Überwachung auf dem eigenen Gerät ablehnen zu können, ist in Wahrheit keine Option, sondern ein Zwang. Denn wer ablehnt, darf keine Bilder und Videos mehr verschicken.“ Der aktuelle Gesetzesvorschlag würde nach seinen Worten zu massiven Eingriffen in die Grundrechte führen. Er forderte: „Die Bekämpfung von Verbrechen muss sich gezielt gegen die Verbrecher richten und nicht gegen Millionen Menschen, die Messenger-Dienste nutzen, um mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben.“
Freie Demokraten wollen effektiv gegen Kindesmissbrauch vorgehen
In einem Beschluss des FDP-Präsidiums „Bürgerrechte stärken – Chatkontrolle verhindern“ plädieren die Freien Demokraten für eine Stärkung der Strafverfolgung von Kindesmissbrauch durch eine bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden. „Kindesmissbrauch ist ein grausames Verbrechen, das die Opfer ein Leben lang begleitet. Hinter dem Deckmantel eines freien Internets darf keine Gesetzeslosigkeit grassieren.“
Statt jedoch diese abscheulichen Verbrechen durch das unverhältnismäßige Aufgeben der Grundrechte aller EU-Bürgerinnen und -Bürger zu bekämpfen, sollte mehr in die Ausstattung der Polizei, der Europäischen Polizeibehörde Europol und in die zwischenstaatliche Zusammenarbeit der Behörden investiert werden. „Wir Freie Demokraten wollen mehr Prävention und Verfolgung von Kindesmissbrauch. Kinder werden durch mehr Personal für Polizei, Jugendämter und Justiz geschützt, nicht durch anlassloses Ausspionieren“, heißt es in dem Beschluss.
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