Wir brauchen wirkungsvolle Strukturreformen

Deutschland bleibt nach Prognose des IWF beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht der G7-Staaten. FDP-Parteichef Christian Lindner weist auf dringend nötige Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hin und fordert mehr soziale Marktwirtschaft.

Christian Lindner
Christian Lindner wirbt für mehr Ambition bei den ökonomischen Reformen in Deutschland. © Sebastian Rau, photothek

Statt weiterer Subventionen für einzelne Industrien plädiert der Finanzminister und FDP-Vorsitzende für „einen umfassenden Reformansatz, der unser Land nicht in eine gelenkte Subventionswirtschaft auf Pump führt“, sagte er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Wir müssen an die Standortbedingungen herangehen, damit die Menschen wieder Lust auf eigene Leistung haben, Freude am unternehmerischen Risiko zurückgewinnen und mit privatem Geld investieren, wovon alle durch Arbeitsplätze und wachsende Steuereinnahmen profitieren. Das ist mein Modell und es hat einen Namen: soziale Marktwirtschaft“, fasste der FDP-Chef seine Haltung zusammen.

„Wettbewerbssichere Strukturen kann man nicht am politischen Reißbrett planen und mit Subventionen finanzieren. Auf diesem Konzept, das noch in die Ära Merkel zurückreicht und das von Grünen heute noch vertreten wird, liegt für Steuerzahler und Arbeitnehmer kein Segen“, erteilte er den Plänen von Robert Habeck eine Absage. „Gute Wirtschaftspolitik geht also auch, ohne dafür einen Cent Steuergeld auszugeben“, sagt Lindner.

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Wir brauchen eine Bottom-Up-Transformation

Deutschland brauche eine umfassende Unternehmenssteuerreform, in einem Zwischenschritt soll es von „ungefähr 30 Prozent Belastung des effektiven Unternehmensgewinns rasch südlich von 25 Prozent ankommen“. In dieser Koalition sei aber eine Unternehmenssteuerreform ausgeschlossen, so Lindner. Im Gegensatz zu den Koalitionspartnern vertritt er die Ansicht: „Wir brauchen eine Bottom-Up-Transformation, die auf gute Rahmenbedingungen setzt, so dass Menschen mit ihren Ideen unser Land voranbringen.“

Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Wachstumsinitiative mit 120 Maßnahmen unter 49 Überschriften, die die Koalition schon auf den Weg gebracht hat: „Die Initiative erreicht schon viel: bessere Abschreibungen, Forschungszulage, Sanktionen für arbeitsverweigernde Bürgergeldempfänger und Anreize für längeres Arbeiten. Und wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass es möglich ist, das Lieferkettengesetz deutlich zu entschlacken?“ Damit gibt Lindner sich aber nicht zufrieden: „Deshalb werden wir in diesem Herbst besprechen, inwieweit wir das für das Land Nötige in der Ampel doch noch erreichen können.“

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Deutschland steht vor einer Richtungsentscheidung

„Wir sind im Moment nicht so erfolgreich, wie wir sein sollten“, erklärt Lindner. Seit 2014 habe Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Zu viel Regulierung habe Investoren etwa daran gehindert, in junge deutsche Firmen zu investieren. Aber die deutsche Wirtschaft sei im Kern immer noch stark, habe alle Voraussetzungen für den „Turnaround“. Auch habe die Koalition gerade erst einen zwölf Milliarden Euro schweren Fördertopf für Start-ups aufgelegt, der sich aus privatem Kapital speisen soll.

Deutschland stehe vor einer Richtungsentscheidung, sagt Lindner. Es gebe in Deutschland und innerhalb der Bundesregierung „zwei ökonomische Denkschulen“. Die eine will, dass Deutschland wie die USA über Defizite immer neue Subventionen verteilt. Und jene, die sich auf Strukturreformen fokussiert, die Rahmenbedingungen verbessert, so Lindner. „Wir sollten dem zweiten Weg folgen.“

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Wir haben uns in Grund und Boden reguliert

Vor allem die Klimaschutzpolitik will Lindner grundlegend ändern. „Wir sollten die gesamte Klimapolitik neu angehen“ so der FDP-Chef. „Wir haben das elegante Instrument des CO2-Zertifikatehandels in Europa.“ Daneben möchte er die Flottengrenzwerte für die Automobilindustrie „realistischer“ fassen und das Verbrennerverbot der EU 2035 kippen. Auch sollte die angestrebte Klimaneutralität erst ab 2050 und nicht schon ab 2045 gelten.

Er kritisierte: „Europas Grundfehler ist der Irrglaube, mit einer umfassenden Regulierung und Subventionen die Wirtschaft erfolgreich steuern zu können. Wir haben Chemie, Pharma, Automotive, Energie sowie Banken und Versicherungen in Grund und Boden reguliert und jeder Dynamik beraubt. Nun müssen wir sehen: Der Rest der Welt ist uns auch nicht in die verheißene ökologische Transformation mit dem Label „Green Deal“ gefolgt. Ich bin nun strikt dagegen, unsere geringe Wachstumsdynamik noch mit überbordenden Schulden zu verbinden“, sagte er im Interview mit der WirtschaftsWoche.

Ausgleich bei der kalten Progression

Das Bürgergeld will Bundesfinanzminister Lindner ebenfalls reformieren. Er schlägt für Geflüchtete aus der Ukraine einen neuen Rechtsstatus vor, um die Kosten des Bürgergelds zu senken und mehr Sozialleistungsbezieher in den Arbeitsmarkt zu bringen. „Wir sollten für die aus der Ukraine Geflüchteten einen eigenen Rechtsstatus erwägen“. Ihm schwebt eine Kombination „von den Leistungen für Asylbewerber in Verbindung mit den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten des Bürgergeldes“ vor.

Außerdem arbeitet er weiter am Ausgleich bei der kalten Progression: „Die FDP muss hart dafür arbeiten, um die Bürgerinnen und Bürger vor heimlichen Steuererhöhungen zu schützen und beim Ausgleich der kalten Progression sogar überzukompensieren. Damit ersparen wir ihnen heimliche Steuererhöhungen in Höhe von 23 Milliarden Euro in den kommenden Jahren.“

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Habeck fordert eine fundamental andere Wirtschaftspolitik

Habecks Vorschlag, einen schuldenfinanzierten Fonds für Investitionen und Infrastruktur einzurichten, um die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft zu bekämpfen, lehnen die Freien Demokraten entschieden ab. „Das Grüne Wirtschaftswunder ist ein links-grünes Märchen aus der Mottenkiste und der Schuldenbremsenpopulismus eine alte Leier. Es ist schon mehr als bedenklich, dass der designierte grüne Kanzlerkandidat sein Ministerium für das Schreiben des eigenen Wahlkampfprogrammes nutzt“, sagte FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer. 

Christian Lindner stellte die Machbarkeit des staatlichen Investitions- und Infrastrukturfonds infrage. „Der Bundeswirtschaftsminister hat nicht einfach einen Vorschlag in die Debatte eingebracht, Robert Habeck fordert eine fundamental andere Wirtschaftspolitik für Deutschland“, sagte Lindner bei einem Besuch in New York. „Das ist schon ein Hammer.“ Er lasse in seinem Ministerium jetzt prüfen, was von dem Vorschlag überhaupt theoretisch umsetzbar sei — erst dann könne man in der Sache diskutieren. Unter anderem seien europäisches Beihilferecht und Fiskalregeln zu beachten. „Wir können schlicht nicht einfach so viel Geld ausgeben, wie manche wollen.“ Zugleich betonte Lindner: „In jedem Fall ist aber klar, dass genau diese Unsicherheit über die weiteren Rahmenbedingungen der deutschen Wirtschaft selbst Teil der Probleme unseres Landes geworden ist.“

FDP-Vize Bettina Stark-Watzinger meint: „Es ist kein überzeugendes Konzept, der deutschen Wirtschaft über beispiellos hohe Steuern und Abgaben Geld zu entziehen und es dann über einen Staatsfonds umzuverteilen.“ FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bezeichnete den Vorschlag als „kurzsichtig und nicht zielführend“. Denn „wahllos Subventionen auszuzahlen und dafür hunderte Milliarden Euro an neuen Schulden anzuhäufen, kann unseren Wirtschaftsstandort nicht nachhaltig stärken.“ Nötig seien umfassende Reformen zur Verbesserung der Standortbedingungen und Entfesselung des privaten Kapitals.

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