Von der Leyen muss effektives Krisenmanagement betreiben
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat eine positive Bilanz ihrer ersten 100 Tage im Amt gezogen. Die Freien Demokraten kommen zu einer anderen Bewertung. Für Nicola Beer, Vizepräsidentin des Europaparlaments, sieht es bislang „nicht nach man-on-the-moon sondern eher nach Mondfahrt und Luftschloss aus.“ Man habe in den vergangenen Monaten positive Initiativen gesehen, aber es sei noch viel zu tun, um auch wirklich Lösungen zu liefern, hat auch FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff eher gemischte Gefühle. „Ihre Ankündigungen sind teils wichtig und richtig, teils überflüssig und unklar“, so der FDP-Fraktionsvize. „Die 100-Tage Bilanz der Kommissionspräsidentin ist bescheiden“, sagt FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai.
„Zwar ist Frau von der Leyen stets bemüht und hat sich ambitionierte Themenschwerpunkte gesetzt — Grüner Deal, Digitalisierung, Industriestrategie- dennoch blieben konkrete Umsetzungen bislang aus“, urteilt der FDP-Bundestagsabgeordnete. „Mit einer humanitären Katastrophe vor Europas Haustür und der Bedrohung durch das Coronavirus, muss von der Leyen nun effektives Krisenmanagement betreiben“, sagt Djir-Sarai angesichts der sich rasant ändernden politischen Großwetterlage. „Wie effektiv Frau von der Leyen diese enormen Herausforderungen meistert, wird auch den Erfolg ihrer Amtszeit mitbestimmen.“
Beer stellt fest: „Sie legt Tempo vor, wenn wir jetzt von Kalendertagen sprechen, ja dann geht es fix mit den hohen Ambitionen. In weniger als zwei Wochen lag der Green Deal auf dem Tisch, der Mann auf dem Mond-Moment, ihre erste Reise in der neuen Funktion ging nach Afrika. Das ist ungewöhnlich. Aber ob sich ungewöhnlich reimt mit liefern, das steht auf einem ganz anderen Blatt.“ In der EU-Afrika Politik vermisst Beer beispielsweise „einen echten politischen Impuls, wie in der Migrationsfrage konkret vorgegangen werden soll.“
Mit Blick auf den Green Deal merkt Beer an, der sei politisch wichtig und richtig — aber jenseits dieser Frage: „Er wurde im Eilverfahren durch den Dezember-Gipfel vergangenen Jahres gepeitscht, Polen wurde dabei auf der Strecke gelassen.“ Die Frage, die man sich mit Blick auf diese sehr kurze Zeitspanne für einen Legislativvorschlag als Abgeordnete stellt und noch mehr als EP-Vizepräsidentin: „Wie stark ist der Rückhalt in den Hauptstädten bei so einem Tempo? Sind da noch alle mit an Bord? Von der Leyen rennt durch dieses Dossier, dass man sich schon fragen darf, wieviel Substanz darin steckt.“
Auch FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff blickt auf das ehrgeizige Programm, das sich von der Leyen selbst vorgenommen hat. Er hat die EU-Kommissionschefin zu einer verbindlicheren Politik aufgefordert. Alle ihre Projekte würde verbinden, „dass es bei der Umsetzung noch sehr viele Fragezeichen gibt“, beklagte Lambsdorff. Er lobte aber die von der neuen EU-Kommission verstärkte EU-Forschungsstrategie – „besonders im Kampf gegen den Krebs“.
Gut sei auch, dass Europa bei der Künstlichen Intelligenz zusammenarbeiten soll – „das ist die einzige Chance, die wir haben, wenn es darum geht, globale Standards zu setzen“, sagte der frühere Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Er beklagte jedoch geringes Engagement in Handelsfragen: „Zu wenig ist von ihr zu neuen Handelsabkommen zu hören, auf die europäische Unternehmen angesichts der Lähmung der WTO angewiesen sind.“ Zudem sei der „Green Deal“ von der Leyens „überwiegend alter Wein in neuen Schläuchen“. Überdies sei ihr Versuch, Mindestlöhne einzuführen, „wenig zielführend“, denn dafür seien die EU-Gremien gar nicht zuständig. Das sei Sache der Mitgliedstaaten.
Nach Ansicht des FDP-Politikers hängt der Erfolg der Von-der-Leyen-Kommission maßgeblich von den EU-Mitgliedstaaten ab. So sei der Plan der CDU-Politikerin für das künftige EU-Budget gelungen, weil er den Fokus auf mehr Geld für Zukunftsaufgaben wie Forschung, Jugendaustausch, Grenzsicherung und Digitalisierung lege. „Dass ihr dieser gute Haushalt derzeit von den Mitgliedstaaten zerschossen wird, ist eine Tragödie – die Regierungen setzen auch in den nächsten sieben Jahren lieber auf Subventionen für Bauern und Bürgermeister anstatt die EU zukunftstauglich zu finanzieren“, sagte Lambsdorff dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.