Terroranschlag: FDP beschließt Konzept gegen Antisemitismus
Es helfe nicht weiter, „die Gamerszene unter Generalverdacht zu stellen, wie es der Innenminister nun tut“. Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle kommentierte: „Die Neunzigerjahre haben angerufen und wollen ihre Killerspiel-Debatte zurück.“ Digitaler Rechtsextremismus sei ein enormes Problem. „Das hat aber nichts mit der ‚Gamer-Szene‘ zu tun, sondern mit Kommunikation über Twitch, Steam“ und ähnliche Plattformen. Kuhle hatte im April in einer Kleinen Anfrage thematisiert, wie der Staat mit rechtsextremistischen Inhalte und Amoklauf-Ankündigungen auf Spieleplattformen im Internet umgeht.
FDP-Chef Christian Lindner erklärte zu den Seehofer-Äußerungen, „mir fallen so viele Maßnahmen ein, die ergriffen werden sollten, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen – die Gamerszene unter Generalverdacht zu stellen ist keine davon.“ Am Montag hat sich das FDP-Präsidium mit einem solchen Konzept für den Kampf gegen Antisemitismus auseinandergesetzt. „Im Rahmen einer Sofortinitiative fordern wir, bis zu 20 Millionen Euro bereitzustellen, um die Förderung von Programmen, Maßnahmen und Aktionen gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausländerhass sowohl in Politik und Gesellschaft zu verstärken“, heißt es in dem Beschluss.
„Wir treten allen Formen des Antisemitismus entschlossen und ohne falsch verstandene Toleranz entgegen“, unterstrich Teuteberg nach der Sitzung. Jüdische Einrichtungen in Deutschland bräuchten jetzt in einem ersten Schritt Polizeischutz, fügte sie hinzu. „Das eigentliche Problem ist aber der Sumpf, in dem Hass und Terror ihre Wurzeln haben“, so die Generalsekretärin. Der müsse trockengelegt werden — dazu leisteten Seehofers Äußerungen über die Gamerszene aber eben keinen Beitrag.
Mit ihrem Zehn-Punkte-Plan setzen die Freien Demokraten darauf, die föderale Sicherheitsarchitektur neu zu ordnen, um auf dem Feld des Verfassungsschutzes klare Zuständigkeiten und Befugnisse zu erhalten. Die Staatsanwaltschaften sollten Schwerpunkte für das Vorgehen gegen antisemitische Straftaten bilden. Die FDP verlangt zudem, die rechtsextreme Szene zu entwaffnen. Ein entschiedeneres Vorgehen gegen illegale Waffen müsse dabei insbesondere auf das neue Phänomen von Hybridwaffen gerichtet sein, deren Baupläne im Internet kursierten und die auf 3-D-Druckern auch von Privatleuten hergestellt werden könnten.
Das Phänomen des Schwarmterrors
Die Freien Demokraten warnen vor einer neuen Art von Terrorismus in Deutschland. Es handele sich hier nicht mehr um organisierte Terrorzellen. Stattdessen seien es bislang unauffällige Täter, „die im Schwarm mitschwimmen, sich dann aber nach und nach selbst im Netz radikalisieren und dann plötzlich aus dem Schwarm ausscheren“.
In ihrem Konzept fordert die FDP, das Phänomen des „Schwarmterrors“ stärker in den Blick zu nehmen. „Auch Täter, die im strafrechtlichen Sinne als Einzeltäter ohne Hintermänner oder Gehilfen handeln, wissen sich getragen und geistig unterstützt von einer weltweit wachsenden rechtsextremen Szene, die sich im Schutz der Anonymität des Internets gegenseitig anstiftet und ermutigt“, mahnen die Freien Demokraten. „Gegen dieses neue Phänomen des ‘Schwarmterrors’, aus der jederzeit ein bislang individuell nicht in Erscheinung getretener Einzeltäter hervorbrechen kann, müssen die Sicherheitsbehörden Konzepte zur frühzeitigen Erkennung und Beobachtung entwickeln“, wird in dem Papier weiter ausgeführt.
Verbot der Identitären Bewegung prüfen
„Zudem muss die Sicherheitsarchitektur in Deutschland grundlegend umgebaut werden“, sagt der Innen- und Rechtsexperte der FDP, Stephan Thomae. „Wir brauchen mehr digitale Vernetzung und digitale Kompetenz bei den Sicherheitsbehörden, sowie eine bessere technische und personelle Ausstattung, um gegen Radikalisierung im Netz vorzugehen.“
Konstantin Kuhle fordert zudem ein Verbot der „Identitären Bewegung“. Die spiele bei der Unterwanderung bestimmter Subkulturen und Milieus durch Rechtsextreme eine Schlüsselrolle und werde aus diesem Grund zu Recht vom Verfassungsschutz beobachtet, sagte Kuhle dem Handelsblatt. „Der Bundesinnenminister sollte gerade nach dem antisemitischen Terroranschlag in Halle die gesamte Klaviatur der Innenpolitik nutzen.“ Der Verfolgungsdruck in die rechtsextreme Szene müsse „spürbar“ steigen. „Dazu gehört auch, jetzt ein Verbot der Identitären Bewegung zu prüfen.“
Sicherheitsbehörden müssen ein zu 100 Prozent extremismusfreier Ort sein
Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag legt nun nach: Sie bringt die Forderung nach einem Sofortprogramm gegen Antisemitismus noch diese Woche in den Bundestag ein. In dem 13-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus der Innenpolitiker Benjamin Strasser und Konstantin Kuhle plädieren die Freien Demokraten für die Entwicklung eines gemeinsamen Gesamtkonzepts gegen Rechtsextremismus von Bund und Ländern. Besonders der „Verfolgungsdruck auf die gewaltbereite Szene“ müsse deutlich erhöht werden. Eine konkrete Forderung betrifft den Waffenbesitz sogenannter Reichsbürger. „Diese Szene muss konsequent entwaffnet werden“, heißt es.
Dafür müsse illegaler Waffenhandel besser bekämpft werden, vor allem Handelsströme aus Balkanstaaten und ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken. „Liegen Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Einstellung vor, muss dies zur Folge haben, dass ein Antragsteller erst gar keine waffenrechtliche Erlaubnis bekommt“, sagte Kuhle im Gespräch mit WELT. Zudem fordert die FDP ein härteres Durchgreifen gegen rechtsextremistische Tendenzen in Bundesbehörden.
Bei Neueinstellungen der Polizeistellen sollten künftig verschärfte obligatorische Sicherheitsprüfungen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (SÜG1) durchgeführt werden. „Unsere Sicherheitsbehörden müssen ein zu 100 Prozent extremismusfreier Raum sein“, sagte Strasser. Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz hätten früher reagieren müssen. Kuhle wies darauf hin, dass seit 1990 im Kontext mit rechtsextremer Gewalt 170 Menschen in Deutschland ums Leben gekommen seien.