Lindner hält die Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen für nötig
Die Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen haben geräuschlos begonnen. FDP-Chef Christian Lindner ist sich sicher, dass sich auch im Bereich Finanzpolitik „mit gutem Willen aller Beteiligter ein Weg finden lassen“ könne.
Es sei ein Mythos, dass eine Entlastung der arbeitenden Mitte nur mit kompensatorischen Steuererhöhungen anderswo finanzierbar wäre, reagierte Lindner auf entsprechende Einlassungen von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Grünen-Chef Robert Habeck bei „Anne Will“. „Beim Ziel der Stärkung der Mitte, das drei Partnern doch gleichermaßen wichtig ist, sollte nicht Stillstand Programm werden“, sagte Lindner der „Bild am Sonntag“. Es sei nun einmal „Realität, dass SPD und Grüne nach ihren Wahlkämpfen für mehr Umverteilung die FDP-Forderung nach einer Steuerentlastung für alle ausschließen. Das müssen wir akzeptieren.“ Finanzierungsbedenken von SPD und Grünen weist Lindner zurück: „Die Kopplung von Entlastungen hier, an Steuererhöhungen dort vertritt die FDP ausdrücklich nicht. Im Gegenteil, mit neuen Substanzsteuern würde man Familienbetriebe mit Millionen Beschäftigten schwächen und so am Ende die Finanzierungsbasis unseres Staates beschädigen.“
Im Interview mit der „Rheinischen Post“ führt der FDP-Bundesvorsitzende aus, wie er die Verschuldung begrenzen und dennoch die Klimaschutz-Investitionen stark ausweiten will: „Der Staat hat viel Geld, aber oft fehlen Richtungsentscheidungen.“ Er schlägt vor, in den kommenden Jahren öffentlichen Investitionen Vorrang zu geben vor neuen Konsumausgaben des Staats. Helfen könnten steuerliche Super-Abschreibungen für Anlageinvestitionen in Klimaschutz und Digitalisierung. Das stärke Wachstum und Transformation zugleich. Lindner bekräftigt zudem: „Die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen halte ich für nötig. Mit gutem Willen aller Beteiligter kann sich ein Weg finden lassen, ohne an anderer Stelle die Belastungen zu erhöhen.“
Deutschland braucht eine stärkere wirtschaftliche Dynamik
Der FDP-Chef will private Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung durch die Beschleunigung betrieblicher Abschreibungen ankurbeln: „Wir können uns eine Beschleunigung der Abschreibungen bei der betrieblichen Steuer auf zwei oder drei Jahre vorstellen“, so der FDP-Vorsitzende gegenüber der „Rheinischen Post“. Deutschland brauche eine stärkere wirtschaftliche Dynamik. Steuerliche Super-Abschreibungen könnten Wachstum und Transformation zugleich stärken, so Lindner.
Er umriss zudem, wie privaten Investitionen mit Hilfe der staatlichen Förderbank KfW ein weiterer Schub gegeben werden soll: „Bei den Investitionen für Klimaschutz und Digitalisierung denken wir als Marktwirtschaftler natürlich vor allem an privates Kapital. Hier könnten öffentliche Förderbanken wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau hilfreich sein.“ Förderkredite würden private Mithaftung und Mitfinanzierung erfordern. Lindner ist überzeugt, dass es bessere Instrumente gibt „als Schattenhaushalte jenseits der parlamentarischen Kontrolle.“
Schuldenbremse fordert solide Finanzen
Mit Blick auf die Debatte über die Schuldenbremse betont er, diese fordere keine schwarze Null, sondern solide Finanzen. „Dafür stehen wir, aber eine Finanzplanung kann es wegen der unsicheren Konjunkturlage noch nicht geben.“ Ihm schwebt vor, Vorhaben in jedem Fall in eine Prioritätenfolge zu bringen. Denn: „Nicht alles geht sofort. Dann werden wir Subventionen prüfen. Wir geben zum Beispiel eine Milliarde Euro an Subventionen für Plug-in-Fahrzeuge aus, die keinen gesicherten ökologischen Nutzen haben. Er mahnt zugleich, Subventionsabbau dürfe nicht zu einer Steuererhöhung für die arbeitende Mitte werden, wie es bei der Pendlerpauschale der Fall wäre.
Sehr gelassen reagierte Lindner in dem Interview auf die Personalempfehlung zweier US-Ökonomen: „Manche Kritik muss man als Bestätigung der eigenen Position werten. Denn linke US-Schuldenökonomen hoffen geradezu auf Inflation“, so Lindner. Die Gefahr einer Geldentwertung beobachte er dagegen sehr aufmerksam: „In den USA könnte wegen der Inflationsrisiken eine Zinswende anstehen. Die entsprechende Handlungsfähigkeit der EZB ist infrage gestellt, weil bestimmte Euro-Länder sich ohne ihre Hilfe schwer refinanzieren könnten. Die Gefahr einer sogenannten fiskalischen Dominanz darf nicht vorsätzlich vergrößert werden.“ Deshalb rate er dazu, „dass wir in Europa und Deutschland an nachhaltig tragfähigen Staatsfinanzen festhalten.“
Auch im Gespräch mit der dpa hat sich Lindner besorgt über eine verlangsamte wirtschaftliche Erholung in Deutschland und die andauernde Inflation geäußert. „Die Risiken der ökonomischen Gesamtlage werden in der deutschen Politik momentan unterschätzt“. Inflation sei „ein Verarmungsprogramm gerade für Menschen ohne hohes Sachvermögen“. Die Bekämpfung der Geldentwertung sei Ausdruck sozialer Verantwortung. „Die öffentlichen Finanzen solide zu halten, ist dafür der wesentliche Baustein“, sagte er und warnte mit Blick auf die Europäische Zentralbank: „Wenn die EZB in das Schlepptau der Fiskalpolitik stark verschuldeter Staaten geraten würde, dann hätte sie kaum Möglichkeiten, die Inflation zu bekämpfen.“
Die Begrenzung von ausufernder Staatsverschuldung müsse daher auch Ziel einer künftigen Bundesregierung sein, so Lindner. „Deutschland hat hier eine Schlüsselstellung für die Stabilität ganz Europas. Investitionen sind dringend nötig, aber ihre Finanzierung kann nachhaltig solide gelingen, wenn nicht zugleich die Wünsche nach staatlichen Konsumausgaben durch die Decke gehen.“
Die Koalitionsverhandlerinnen und Verhandler von SPD, Grünen und FDP befinden sich derzeit in der Phase ihrer Detailgespräche in 22 Arbeitsgruppen zu einzelnen Politikfeldern. Die Gruppen sollen bis zum 10. November ihre Positionen erarbeiten. In der Woche ab dem 6. Dezember soll der neue Bundeskanzler gewählt werden. Olaf Scholz, bisher SPD-Vizekanzler und Finanzminister, will dann Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nachfolgen, die ebenso wie ihre Minister solange noch geschäftsführend im Amt bleiben. „Der Zeitplan ist ambitioniert, aber eine künftige Regierung muss das auch sein“, so Lindner. „Die Nikolauswoche ist erreichbar. Dabei wollen wir Nachtsitzungen mit übermüdeten Teilnehmern vermeiden.“