Eine schlüssige Vision der Zukunft – eine Presseschau
Die FDP kann zufrieden auf ihren Bundesparteitag zurückblicken. Die Freien Demokraten gehen mit viel Zuversicht in den Wahlkampf für die Bundestagswahl.
Die FDP kann zufrieden auf ihren Bundesparteitag zurückblicken: Der Parteitag bestätigte Christian Lindner als Vorsitzenden und wählte Präsidium und Bundesvorstand neu. Rund vier Monate vor der Bundestagswahl hat FDP-Chef Christian Lindner die Liberalen auf ein gutes zweistelliges Ergebnis und eine anschließende Regierungsbeteiligung eingeschworen. „Unser Wahlziel ist, so stark zweistellig zu werden, dass sowohl schwarz-grüne als auch grün-rot-rote Mehrheitsbildungen ausgeschlossen sind“, sagte er am Freitag in Berlin beim digitalen FDP-Parteitag. Die FDP geht also mit viel Zuversicht in den Wahlkampf für die Bundestagswahl. Zu Recht, wie viele Beobachter festhalten. „Während die Grünen emsig damit beschäftigt waren, sich als Regierungspartner im Wartestand anzudienen, und die AfD aus den Flegeljahren nicht herausfindet, gelang es der FDP reibungslos, die drei klassischen Aufgaben einer demokratischen Opposition zu erfüllen: Kritik zu üben, zu kontrollieren und eine alternative Politik aufzuzeigen“, schreibt Jacques Schuster, Chefkommentator der „Welt“.
„Die FDP will endlich wieder raus aus der Opposition. Ihr Wahlprogramm bietet eine schlüssige Vision für die Zukunft“, kommentiert Hauptstadt-Korrespondentin des Deutschlandfunks, Ann-Kathrin Büüsker. „Doch die Vision bleibt immer gebunden an die Idee des schlanken Staats und an die Wirtschaft. Geht diese Rechnung auf? Die FDP entwickelt damit das Versprechen einer besseren Zukunft. Und hat das Potenzial, in dieser Situation viele Wählerinnen und Wähler anzusprechen – die politische Erzählung an dieser Stelle ist sehr gut entwickelt“, meint Büüsker. Und weiter: „Was man aber festhalten muss: Die Partei hat eine schlüssige Vision für die Zukunft, ein Angebot mit nachvollziehbaren Grundlagen.“
Der Reutlinger General-Anzeiger merkt an: „Was hat diese Partei alles mitgemacht. 2013 scheiterten die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde und flogen aus dem Bundestag. 2017 ließ Parteichef Christian Lindner eine mögliche Jamaika-Koalition platzen und handelte sich so den Unmut vieler Sympathisanten ein. Dann das Desaster in Thüringen, als sie sich auf einen FDP-Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD einlassen wollten. Dennoch sind die Liberalen zurück. Die FDP hat ihre Chance genutzt und im bundesdeutschen Parteiensystem Nischen besetzt, die die anderen offen ließen. Sie ist ein Regulativ in Zeiten von immer mehr Staatsgläubigkeit. Das ist das Fundament des Erfolgs“, analysiert der Reutlinger General-Anzeiger.
Die FDP will dem Staat Beine machen
Paul Starzmann vom Tagesspiegel hat beobachtet: „Tatsächlich scheinen die Freidemokraten nach einer langen Durststrecke dort angekommen zu sein, wo das ganze Land gerne wäre: am Ende der eigenen Krise. Mit zehn bis zwölf Prozent in den Umfragen steht die FDP doppelt so stark da wie vor einem Jahr.“
Thomas Sigmund vom Handelsblatt meint: „Lindner hat jetzt die Chance, in die Riege von Genscher und Scheel aufzusteigen“. Der Liberalismus in Deutschland habe wieder eine feste politische Heimat. „Parteichef Christian Lindner hat im Wahljahr wieder in die Spur gefunden. Er hat seiner Partei einen Oppositionskurs verordnet, der konstruktiv-kritisch ist. Die FDP bemängelt die schleppende Impfkampagne, sie kämpft für die Bürgerrechte etwa bei den Ausgangssperren und spielt bei Bildung und vor allem der Digitalisierung eine ihrer Stärken aus.“
Heike Göbel kommentiert in der FAZ: „Die FDP hat unter Lindner ihre Wachstumserzählung um eine neue Staatserzählung ergänzt. Anders als früher macht sie ihre Staatskritik nicht mehr in erster Linie an der im internationalen Vergleich hohen deutschen Steuer- und Abgabenlast fest. Sie konzentriert sich stärker auf die augenfälligen staatlichen Ineffizienzen – überlange Planungsverfahren, fehlende Digitalisierung und damit langsamer Service der Behörden und schlechte Ausstattung der Schule. Die FDP will den Staat also nicht zwingend kleiner machen, sie will ihm Beine machen.“
Jaques Schuster hebt in der „Welt“ hervor: „Wer die Debatte über die Aussetzung der Grundrechte in den vergangenen zwölf Monaten verfolgt hat, der muss endlich eine Behauptung ins Reich der Legenden verbannen, die seit Jahrzehnten in den Köpfen vieler Menschen steckt: Es ist nicht wahr, dass die Trophäen des Liberalismus längst Gemeingut aller großen Parteien sind – Union, Sozialdemokraten und Grüne mögen es noch so häufig von sich geben.“ Lindner habe zu Recht daran erinnert, wer die Bürgerrechtspartei in diesem Staat ist. „Es ist die FDP – nach diesem Jahr des Ausnahmezustands. Mehr noch: Sie ist die einzige Oppositionspartei.“
Daniel Brössler von der Süddeutschen Zeitung schreibt: „Am Ende, als es nicht mehr nur um Christian Lindner gehen soll, kommt Christian Lindner noch einmal richtig in Bewegung. Der FDP-Vorsitzende verlässt sein Pult und schreitet die im Halbrund um ihn herum gruppierten Präsidiumsmitglieder ab. Lindner lobt Generalsekretär Volker Wissing für den Entwurf des Wahlprogramms, Schatzmeister Harald Christ für die gute Finanzlage und Wolfgang Kubicki, seinen ‚väterlichen Freund und Partner‘, für dessen scharfe Zunge. Ein nettes Wort hier, eine Aufmunterung dort. Die Delegierten zu Hause an den Bildschirmen erleben einen Vorsitzenden, ruhend in sich selbst und voller Wohlwollen, im Kreise seiner Getreuen. ‚Das Team ist der Star‘, verkündet Lindner. Es ist die Bescheidenheit von einem, der sicher ist, sie sich leisten können. Später wählen ihn die Delegierten zum Spitzenkandidaten und bestätigen ihn mit 93 Prozent der Stimmen im Amt.“
Mit dieser FDP ist wieder zu rechnen
Gregor Mayntz findet in der Rheinischen Post: „Mit ihrem Parteitag hat die FDP durchbuchstabiert, wie die Freiheit des Einzelnen zum leitenden Prinzip bei der Bewältigung aller Probleme von der Corona über die Schulden- bis zur Klimakrise gemacht werden kann. Mit dieser FDP ist wieder zu rechnen.“
In der Neuen Osnabrücker Zeitung heißt es: „Anders als in früheren Wahlkämpfen beantwortet sich die Frage nach der Daseinsberechtigung der FDP vor dieser Bundestagswahl quasi von selbst. In den langen Monaten der Freiheitsbeschränkungen war es wichtig, ja unerlässlich, dass die Freien Demokraten nicht die Gefährlichkeit des Virus leugneten, aber immer wieder auf Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen drangen. Wie schnell selbstverständliche Grundrechte in der Krise ausgesetzt wurden, hat vor Augen geführt, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist — und einen Anwalt braucht. Zugleich ist eine Unwucht in Richtung Staatsgläubigkeit entstanden, die es nach der Krise wieder ins Lot zu bringen gilt.“
Die Nürnberger Zeitung schreibt: „Die FDP ist offensichtlich dabei, an einem neuen Verständnis von Staatlichkeit zu arbeiten — was ihr gut und dem Land nottut. Es geht nicht mehr um das schablonenhafte Mantra „möglichst wenig Staat», sondern um einen Staat, der dann stark ist, wenn er möglichst effizient handelt und den marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb fördert. Gerade beim Klimathema ist das der entscheidende Unterschied zu den Grünen. Und auch das Image, eine Partei der Zahnärzte und Steuerberater zu sein, will die FDP ablegen, indem sie die Leistungsbereiten und Aufstiegswilligen umwirbt — was die SPD aus den Augen verloren hat. Die FDP ist dabei, für bürgerliche Wähler wieder attraktiv zu werden.“
Die Mitte fest im Visier
Hans-Jürgen Deglow merkt in der Heilbronner Stimme an: „CDU/CSU waren für die FDP zwar stets Partner – sind aber heute mehr denn je Mitstreiter um Stimmen in der Mitte. Dabei spreizt sich die FDP maximal auf, vom Beschneiden des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bis zu einer Auszahlung einer Klima-Dividende an Bürger. Für die FDP kommt es darauf an, sich vorsichtig noch mehr Sahne von der schwarz-gelben Torte zu sichern, durch ein eigenständiges Profil sich als Alternative anzubieten. Spannend wird sein, wie die FDP ihre Forderung – Einhaltung der Schuldenbremse, keine Steuererhöhungen, sogar Steuerentlastungen für Unternehmen und alle Bürger – stemmen will.“„
Tobias Peter meint in seinem Leitartikel für die Hannoversche Allgemeine Zeitung: „Ist die FDP fit für eine Regierungsbeteiligung? Programmatisch könnte sie interessante Beiträge leisten. Und das nicht unbedingt, weil sie auf alle wesentlichen Fragen der Zeit umfassende Antworten hätte, sondern weil sie eine Perspektive einbringen könnte, die bei anderen Parteien oft zu kurz kommt: nämlich das Vertrauen in die Menschen und in die Chancen des technologischen Fortschritts. Die FDP kann damit ein guter Ergänzungsspieler in einer Dreierkoalition sein.“
Daniel Deckers analysiert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Selten konnten die Freien Demokraten so entspannt in einen Bundestagswahlkampf gehen wie in den des Jahres 2021. … Wenn sich die Partei heute geläuterter und seriöser darstellt, dann ist dies in erster Linie eine Folge des schon lange vollzogenen Abschieds von dem Modell einer Klientelpartei. Die Corona-Pandemie hat den Blick vieler politisch wacher Bürger dafür geschärft, dass Themen wie Bildung und Digitalisierung, die sich die FDP schon vor Jahren auf die Fahnen geschrieben hat, brennender sind denn je. Dasselbe gilt für den Umgang mit den Leistungsträgern dieser Gesellschaft. Die von den Corona-Maßnahmen der Regierung an den Rand ihrer Existenz (oder gar darüber hinaus) gebrachten Einzelhändler, Gastronomen sowie die Kunst- und Kulturszene zählen dazu ebenso sehr wie der oft ebenfalls marginalisierte Mittelstand.“