Der Staat darf sich an der kalten Progression nicht bereichern
Im aktuellen SPIEGEL-Interview sprach Bundesfinanzminister Christian Lindner über Inflation, die kalte Progression und über Themen, die ihm beim G7-Treffen besonders wichtig sind.
Jüngste Steuerschätzungen stellen dem Fiskus zusätzliche Einnahmen aufgrund der Preissteigerungen in Aussicht. Um Bürgerinnen und Bürger angesichts der Inflation und steigender Kosten zu entlasten, hat der Bundestag am 12. Mai finanzielle Hilfen in Höhe von insgesamt 30 Milliarden Euro beschlossen. Finanzminister Christian Lindner betonte, Mehreinnahmen in diesem Jahr gehen über die Entlastungspakete direkt an die Bürgerinnen und Bürger zurück. Zudem wolle er verhindern, dass es aufgrund der Inflation zu einer sogenannten kalten Progression komme.
Im Interview mit dem SPIEGEL unterstrich der FDP-Chef: „Meine Absicht ist klar: Der Staat darf sich an der kalten Progression nicht bereichern.“ Denn das wären Steuererhöhungen durch Unterlassung, die auch dem Koalitionsvertrag der Ampel widersprechen. „Fair wäre, wenn es für das kommende Jahr höhere Regelsätze bei der Grundsicherung gibt, einen höheren Grundfreibetrag und einen neuen Tarif der Einkommensteuer.“ Lindner kündigte an, dafür im Herbst Vorschläge zu machen.
Den Staatshaushalt aus dem Defizit führen
Angesichts der Inflation will Finanzminister Lindner die Menschen weiter entlasten. So müsse laut FDP-Chef nächstes Jahr der Grundsicherungsregelsatz erhöht werden. Auch der Grundfreibetrag in der Einkommensteuer müsse erhöht und der Tarif der Lohn- und Einkommensteuer an die Inflation angepasst werden, so Lindner. Zudem könne auch die Umstellung der Energieversorgung den Druck von den Preisen nehmen „und schließlich den Staatshaushalt aus dem Defizit führen, damit die Notenbank keine Rücksicht auf die Staaten nehmen muss.“
Investitionen dort, wo es preisdämpfend wirkt
Kritisch sieht der Finanzminister eine Senkung der Mehrwertsteuer. Dazu erklärte Lindner: „Ob die dauerhafte Senkung einer allgemeinen Verbrauchsteuer automatisch bei den Menschen ankommt, da habe ich Zweifel.“ Stattdessen müsse dort investiert werden „wo es preisdämpfend wirkt“, wie etwa bei der Finanzierung von Flüssiggasterminals. „Auch wenn wir die erneuerbaren Energien verstärkt ausbauen, machen wir uns unabhängiger von teuren Öl- und Gasimporten.“
Mehreinnahmen des Staates an Menschen zurückgegeben
Finanzminister Lindner warnte vor dem Eindruck, „es sei schon wieder ein Geldsegen ausgebrochen für alle möglichen wünschenswerten politischen Vorhaben.“ Es gebe keinen Anlass, neue Ideen für Staatskonsum und Umverteilung zu finden. Denn: „Das Gros der Mehreinnahmen wird an die Menschen zurückgegeben.“ Dazu habe die Regierung bereits zwei Entlastungspakete verabschiedet.
Lindners Versprechen bleibt: „Diese Regierung findet den Exit, nicht nur aus den pandemiebedingten Freiheitseinschränkungen, sondern auch aus der krisenbedingten Finanzpolitik.“ Lindner rechnet damit, dass im nächsten Jahr keine Aufwendungen für die Pandemiebekämpfung mehr aus dem Staatshaushalt aufgebracht werden müssen. Außerdem löse er Rücklagen auf, um so die Schuldenbremse zu erreichen. „Im Laufe des Jahrzehnts werden wir die Vorgabe des Maastricht-Vertrags von 60 Prozent bei der Staatsverschuldung einhalten.“ Denn das sei notwendig, um Sicherheitspuffer für künftige Krisen anzulegen, betonte der FDP-Chef im SPIEGEL-Interview. „Zudem wiegt die Pro-Kopf-Verschuldung bei einer alternden Bevölkerung schwerer. Deutschland muss in Europa seine Rolle als Anwalt der Stabilität ausfüllen.“
Deutschland steht an der Seite der Ukraine
Auch zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und das bevorstehende G7-Finanzministertreffen äußerte sich Lindner im SPIEGEL-Interview. „Die Priorität ist, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert und Putin ihn nicht gewinnt. Deshalb unternehmen wir im Kreis von EU und G7 Anstrengungen, um Unterstützung zu finanzieren.“ Deutschland sei dabei im Vergleich weit vorn. „Wenn ein Waffenstillstand oder gar Frieden erreicht ist, werden wir die Ukraine auch beim Wiederaufbau unterstützen“, kündigte der FDP-Chef an. So seien auch russische Reparationszahlungen Gegenstand der Verhandlungen. Lindner betonte: „Die Tapferkeit, mit der dort gekämpft wird, nicht zuletzt um westliche Werte, zeigt, dass die Ukraine ihre Rechte verteidigt. Klar ist, dass wir an der Seite der Ukraine stehen.“
Es braucht internationale Regeln
Die aktuelle Lage in Entwicklungs- und Schwellenländern macht dem Finanzminister Sorgen. „Durch die Verschuldung in Dollar in Verbindung mit Kosten für Nahrungsmittelimporte könnten sie in eine schwierige Lage geraten, wenn in den Industrieländern die Zinsen steigen.“ Daher werde Lindner beim G7-Treffen auch dafür eintreten, „dass wir in der internationalen Finanzpolitik zu Regeln kommen, um frühzeitig auf Schuldenkrisen zu reagieren.“ Hier sieht der FDP-Chef auch China in Verantwortung, da China inzwischen einer der wichtigsten Gläubiger der Welt sei.
„Und bei der Transparenz über diese Schulden bleiben Wünsche offen“, erklärte Lindner und warnte: „Wir sollten Gesprächspartner, auch wenn sie schwierig sind, nicht in einem Atemzug nennen mit Russland, das einen verbrecherischen Angriffskrieg in der Ukraine führt. Zugleich dürfen wir als liberale Demokratien keinen Zweifel daran lassen, dass für uns Menschenrechte, das Völkerrecht und die internationalen Institutionen von höchstem Wert sind.“ Das gelte auch gegenüber China.
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