Antragsbuch für den 74. Ordentlichen Bundesparteitag

LV Hessen

Krisen vermeiden statt Krisen bekämpfen: Solide Fiskalregeln für ganz Europa

Krisen vermeiden statt Krisen bekämpfen: Solide Fiskalregeln für ganz Europa

Die Eurokrise des Jahres 2012 stellte für die europäische Währungsunion eine Zäsur dar. Erstmals seit Einführung der gemeinsamen europäischen Währung wurde ernsthaft darüber diskutiert, ob einzelne Mitgliedstaaten die Union verlassen sollten. Zudem eröffnete die Eurokrise die rund zehnjährige Phase einer ultralockeren Geldpolitik, die erst angesichts der historisch hohen Inflationsraten ab 2021 ein Ende fand. Während dieses Jahrzehnts niedriger und teils negativer Zinsen im Euroraum mehrten sich die Stimmen, die eine Begrenzung staatlicher Ausgaben bzw. Kreditspielräume als „aus der Zeit gefallen“ ansahen.

Fiskalische Schuldenregeln haben aber nichts an ihrer Wichtigkeit für eine nachhaltige und stabilitätsorientierte Politik verloren. Sie sind langfristig sogar entscheidend für den Fortbestand der europäischen Gemeinschaftswährung; überdies sind sie zur Sicherung der Handlungsfähigkeit zukünftiger Generationen ebenso notwendig wie zur Vermeidung von Haushaltsschocks durch extrem steigende Zinsen auf übermäßige Staatsschulden. Wer die Verantwortung der Fiskalpolitik herunterspielt oder negiert, wer die Ursachen der Eurokrise verharmlost und die Vergemeinschaftung von Schulden als Wunderwaffe zur Sicherung der Stabilität des Euro anpreist, der gräbt langfristig das Grab der Gemeinschaftswährung.

Die Verantwortung für den Fortbestand des Euros darf nicht alleine der Geldpolitik aufgebürdet werden – die Geldpolitik hat der Fiskalpolitik Zeit gekauft, welche diese endlich nutzen muss; die fiskalpolitischen Akteure der Mitgliedstaaten müssen daher klare, strenge und durchsetzbare Schuldenregeln auf nationaler und ggf. europäischer Ebene einhalten, die auch konsequent anzuwenden sind. Die FDP begrüßt daher ausdrücklich die vom Bundesfinanzminister maßgeblich angeschobenen und von der Bundesregierung aufgestellten Prinzipien „für die Reformdiskussion zu den EU-Fiskalregeln“, in denen die Notwendigkeit von Fiskalregeln in einem gemeinsamen Währungsraum ausdrücklich betont wird, als gute Grundlage für die kommende Reformdiskussion.

Aus Sicht der Freien Demokraten ist es aber erforderlich, folgende zusätzliche Aspekte in den zukünftigen Verhandlungen über die Reform der EU-Fiskalregeln zu berücksichtigen:

  • Sämtliche Stabilisierungsmaßnahmen müssen stets an strukturelle Reformprogramme geknüpft werden; nicht konditionierte Programme sind zu vermeiden.
  • Das Verbot monetärer Staatsfinanzierung nach Art. 123 AEUV ist dahingehend zu erweitern, dass Ankäufe am Sekundärmarkt von Schuldtiteln staatlicher Emittenten, die nicht unter Art. 123 (2) fallen, grundsätzlich ebenfalls erfasst werden und nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen möglich sein sollen.
  • Die Funktion des Kapitalmarktes muss gestärkt werden, unter anderem durch die risikoadäquate Eigenkapitalunterlegung von Risikopositionen gegenüber öffentlichen Schuldnern.
  • Eine Ausweitung gemeinsamer Schulden der EU- oder Euroländer, gleichgültig ob zweckgebunden oder nicht, über bereits bestehende Programme hinaus, ist vor der Einführung und Durchsetzung strikter Schuldenregeln in den Mitgliedsländern und auf europäischer Ebene wegen ihrer negativen Anreizwirkungen und vor Einführung eines gleichen Wahlrechts für das gesamte Europäische Parlament nicht denkbar. Bestehende befristete Programme sollen bis dahin nicht verlängert werden.

Begründung

Die Eurokrise des Jahres 2012 hat die Schwächen des Euroraums als Währungsgebiet verdeutlicht; diese liegen vor allem in unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen der Mitgliedsländer und der teils mangelhaften Haushaltsdisziplin einiger fiskalischer Akteure. Deutschland hat sich durch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, seine relative fiskalische Disziplin und die Verlässlichkeit seines Rechtssystems unter Investoren großes Vertrauen erarbeitet.

Bundesanleihen gelten heute unter Marktakteuren als „risikolos“. Deutschland dient – gemeinsam mit anderen solide geführten Staaten der Eurozone – als „sicherer Hafen“, der von Investoren angesteuert wird, wenn auf den internationalen Kapitalmärkten das Wetter stürmisch wird. Schuldenregeln, die die fiskalische Disziplin stärken, sind ein wichtiger Wellenbrecher dieses Hafens. Zudem haben sie Deutschland in die Lage versetzt, auch während der Corona-Pandemie finanziell handlungsfähig zu bleiben. Wer Schuldenregeln aufweichen oder abschaffen will, baut letztlich diesen sicheren Hafen zurück.

Eine solide Fiskalpolitik in allen Mitgliedstaaten ist somit die Grundlage eines stabilen Euro – und sie muss flankiert werden von einem funktionierenden Kapitalmarkt. Denn in einer Marktwirtschaft werben öffentliche Schuldner neben privaten Kreditnehmern um finanzielle Mittel der Investoren. Dass ein Kreditgeber genau prüft, wem er zu welchen Konditionen Geld leiht, ist selbstverständlich. Deshalb ist es wichtig, dass Finanzmarktakteure fiskalpolitisches Handeln hinterfragen. Während der Eurokrise spiegelten sich in dem Misstrauen der Investoren gegenüber den Krisenländern somit vor allem Sorgen bezüglich der Konsequenzen einer unzureichend soliden Haushaltsführung und mangelnder Produktivität. Solches staatliche Handeln nicht zu finanzieren mag kurzfristig Verwerfungen begünstigen; mittelfristig wird es staatliche Akteure disziplinieren und stabilisierend wirken. Deshalb muss die Privilegierung staatlicher Schuldner beendet werden. Dazu gehört, dass Forderungen gegenüber öffentlichen Stellen risikoadäquat mit Eigenkapital unterlegt werden.

Die Verantwortung für den langfristigen Fortbestand des Euros liegt bei der Fiskalpolitik. Leider haben die Erfahrungen während der Phase der außerordentlich expansiven Geldpolitik des Eurosystems bis 2021 gezeigt, dass Staaten ohne verbindliche Reformvorgaben zumeist keine ausreichenden Anstrengungen unternehmen, strukturelle Defizite zu beseitigen. Damit verbieten sich künftig nicht-konditionierte Hilfsprogramme. Tatsächlich muss die Konditionierung eine conditio sine qua non zur Gewährung von Hilfsprogrammen sein. Ansonsten wird die Zentralbank gezwungen sein, öfter als absolut nötig auf ihre Funktion des Kreditgebers der letzten Instanz zurückzugreifen. Dies fördert inflationäre Tendenzen und stärkt die Fliehkräfte innerhalb der Währungsunion.

Deshalb ist auch die Ausweitung bzw. Fortsetzung der gemeinsamen Schuldenaufnahme über die EU abzulehnen, insbesondere, solange keine strengen und verbindlichen Schuldenregeln auf nationaler und europäischer Ebene implementiert sind und durchgesetzt werden. Ansonsten setzen gemeinsame Schulden der Euro- oder EU-Staaten – gleichgültig ob ohne oder mit Zweckbindung, wie sie sich auch im aktuellen Vorschlag eines grünen Industrieplans der EU Kommission findet – Fehlanreize für die nationale Fiskalpolitik und schwächen die Schuldentragfähigkeit jedes einzelnen Landes.

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