BFA Internationale Politik
Den Wiederaufbau in der Ukraine an liberalen Prinzipien ausrichten
Den Wiederaufbau in der Ukraine an liberalen Prinzipien ausrichten
Seit über einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Der völkerrechtswidrige Überfall und Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat den Krieg wieder nach Europa gebracht. Was sich niemand auszumalen wagte, ist seit über einem Jahr grausame Realität und ein Überlebenskampf für Tausende von Menschen in der Ukraine geworden. Tausende Soldaten und Zivilisten haben bereits ihr Leben verloren und über vier Millionen Menschen sind auf der Flucht. Derzeit gehen Militärexperten davon aus, dass der Krieg noch länger andauern wird. Die Ausmaße unvorstellbarer Kriegsverbrechen können nur erahnt werden, kommen aber bereits vereinzelt ans Tageslicht. Die Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Versorgung der Menschen sowie auf das Atomkraftwerk in Saporischschja werden immer gezielter als Kriegswaffen eingesetzt.
In dieser Lage ist es schwer, an den Wiederaufbau der Ukraine zu denken. Es ist aber notwendig, gut vorbereitet zu sein und damit ein Signal der Hoffnung an die ukrainische Bevölkerung zu senden, dass es eine Zeit nach dem Krieg geben wird. Deutschland und die Europäische Union stehen fest an der Seite der Menschen in der Ukraine und werden sie beim Wiederaufbau so unterstützen, wie sie es für richtig halten. Dabei haben die humanitäre Hilfe, der Wiederaufbau aller lebensnotwendigen Versorgungslinien, die kritische Infrastruktur und die Wiederherstellung der Eigenversorgungsfähigkeit der Menschen vor Ort absolute Priorität. Jetzt gilt es, die G7-Beschlüsse von Elmau zur Schaffung einer inklusiven und transparenten Geber-Plattform anhand der sieben Prinzipien von Lugano ebenso rasch umzusetzen wie die folgenden liberalen Prinzipien zugrundezulegen:
1. Wiederaufbau und europäischen Integrationsprozess verbinden
Damit die Ukraine zügig die vollständigen Voraussetzungen gemäß den Kopenhagener Kriterien für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union erfüllt, gilt es, den Wiederaufbau von Beginn an den Anforderungen des europäischen Integrationsprozesses auszurichten. Dies impliziert auch eine starke Rolle der EU und ihrer Institutionen in der internationalen Wiederaufbauarchitektur. Wichtig wird eine enge Verzahnung mit künftigen EU-Beitrittsverhandlungen und dem Wiederaufbau-Prozess der Ukraine. Hierbei kommt es auf eine rasche Integration der Ukraine in den EU-Binnenmarkt für den Aufbau des Wirtschaftsstandortes Ukraine nach europäischen Standards an.
2. Die Rolle von Privatkapital beim Aufbau des Wirtschaftsstandortes Ukraine stärken
Der Wiederaufbau der Ukraine ist nicht nur eine entwicklungspolitische Aufgabe, sondern wird vor allem auch zum Ziel haben müssen, die Ukraine als attraktiven Wirtschaftsstandort für ausländische Unternehmen und Investitionen wiederherzustellen. Daher ist es unerlässlich, den Wiederaufbau auch unter enger Einbeziehung von Privatkapital und unternehmerischer Expertise zu gestalten. Die Ukraine verfügt über aussichtsreiche Wirtschaftssektoren, wie zum Beispiel den Landwirtschafts- und IT-Sektor, die beim Wiederaufbau besondere Berücksichtigung finden sollten. Gleiches gilt für den Energiesektor und den Übergang der ukrainischen Energiewirtschaft zu Erneuerbaren Energien als wichtiger Bestandteil im ukrainischen Energiemix.
3. Reformorientierten Ansatz beim Wiederaufbau zugrunde legen
Nach der „Lugano-Deklaration“ vom 5. Juli 2022 zum Abschluss der Ukraine Recovery Conference (URC2022) soll der Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes nach sieben Prinzipien erfolgen. Danach müssen Transparenz und „good governance“ essenzielle Kriterien für den Wiederaufbau sein. Der Wiederaufbau selbst muss zur treibenden Kraft für weitere Reformen in allen staatlichen und privaten Lebensbereichen der Ukraine sein. Hierbei kommen der Justizreform und der Bekämpfung der Korruption durch unabhängige Institutionen höchste Priorität zu, wie auch der Dezentralisierung, Subsidiarität und guten Unternehmensführung zentrale Bedeutung beigemessen wird.
4. Eingefrorenes russisches Vermögen zu Reparationszahlungen heranziehen
Die russische Föderation und das kleptokratische Putin-Regime sind alleiniger Aggressor in diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine und damit auch für das kriegsbedingte Leid und die enormen Schäden in der Ukraine verantwortlich. Vor diesem Hintergrund ist nicht vermittelbar, dass nur Gelder der Ukraine und ihrer Verbündeten für den Wiederaufbau eingesetzt werden, während der russische Aggressor nicht für die durch ihn verursachten Schäden aufkommen muss. Daher sind die G7-Staaten und die dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) angehörenden Staaten aufgefordert, nach allen rechtsstaatlichen Möglichkeiten zu suchen, das eingefrorene russische Staatsvermögen sowie die Eigentümer gesperrter russischer Privatvermögenswerte, sofern sie eine (Mit-)Verantwortung für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg trifft oder aus diesem einen Vorteil gezogen haben, für den Wiederaufbau der Ukraine sicherzustellen und einzusetzen. Auf eine entsprechende einheitliche Linie im europäischen und internationalen Rahmen sowie auf entsprechende europäische und nationale Rechtsgrundlagen sollte die Bundesregierung hinarbeiten.
5. Ukraine-Wiederaufbaufonds zügig einrichten
Laut Weltbank und EU werden die Kosten für den Wiederaufbau der kriegsversehrten Ukraine gegenwärtig auf mindestens 350 Milliarden Euro geschätzt, die hingegen der ukrainische Ministerpräsident Denis Schmihal auf der URC2022 in Lugano bereits auf 750 Milliarden US-Dollar bezifferte. Seit Kriegsbeginn betragen die deutschen Unterstützungsleistungen insgesamt 14,2 Milliarden Euro, einschließlich ca. 7 Milliarden Euro Beitrag zur EU-Hilfe. Eine effektive Mitwirkung an der beim G7-Gipfel in Elmau beschlossenen Geber-Plattform setzt kohärentes staatliches Handeln voraus. Die bestehenden Streitigkeiten über Ressortzuständigkeiten verlangsamen dessen Effizienz und sind beschämend angesichts des Leids der Menschen. Deshalb ist die zügige Einrichtung eines konsolidierten, ressortübergreifenden Ukraine-Wiederaufbaufonds dringend erforderlich, der sich nicht auf die Addition bereits laufender Hilfsmaßnahmen beschränken darf. Die hierfür benötigten zusätzlichen Mittel sollten neben der Einbeziehung des Privatsektors unter anderem auch durch Haushaltsumschichtungen erwirtschaftet werden.
Begründung
Erfolgt mündlich.