Zusätzliche Transfers verbessern nicht die Chancen
Die Kindergrundsicherung ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Im Gegensatz zu Familienministerin Lisa Paus begreift die FDP Kinderarmut jedoch nicht allein als monetäres Problem. Im FAZ-Interview erläutert FDP-Chef Christian Lindner, was er sich vorstellt.
Im Streit um die Kindergrundsicherung hat Finanzminister Christian Lindner klare Grenzen gesetzt. Der FDP-Chef sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Eine fünfköpfige Familie, die Bürgergeld bezieht, erhält heute schätzungsweise 36.000 bis 38.000 Euro im Jahr vom Steuerzahler.“ Aus seiner Sicht helfe es aber wenig, diesen Familien nun hohe zusätzliche Transfers zu zahlen, seien es 1.000 oder gar 3.000 Euro im Jahr. Solchen Familien „einfach nur mehr Sozialtransfers zu überweisen, verbessert nicht zwingend die Lebenschancen der Kinder“, sagte Lindner. Er sei nicht überzeugt, dass „mehr Geld an die Eltern zu geben, zwingend die Chancen von Kindern und Jugendlichen verbessert.“ Es gehe hier nicht nur um Geld, sondern darum, die Lebensperspektiven der Kinder und Jugendlichen zu verbessern.
Der Finanzminister machte deutlich, dass es nicht nur wegen knapper Haushaltsmittel Begrenzungen geben müsse. „Es muss auch spürbare Anreize geben, die Hilfen des Sozialstaats zu Sprachförderung, Qualifikation und Arbeitsaufnahme anzunehmen.“ Dies sei nicht zuletzt eine „zentrale Frage der Gerechtigkeit all jenen gegenüber, die für ihr Einkommen arbeite“.
Nicht die Herkunft soll über den Lebensweg entscheiden
Ihm gehe es darum, dass Kinder und Jugendliche gute Perspektiven haben, so Lindner. Nicht die Herkunft solle über den Lebensweg entscheiden. „Deshalb setzen wir uns gemeinsam für bessere Kitas und Schulen ein. Wir zahlen auch Sachleistungen aus und fördern über das Bildungs- und Teilhabepaket.“ Er gab außerdem zu bedenken: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kinderarmut. Sprachkenntnisse und Bildung, insgesamt die Arbeitsmarktintegration der Eltern, sind mitentscheidend für die Situation von Kindern. Unser Ziel muss es sein, dass Eltern ihr eigenes Einkommen erzielen.“
Jens Teutrine, Sprecher der FDP-Fraktion für Bürgergeld, pflichtete Lindner bei: Die Kindergrundsicherung sollte nicht dazu genutzt werden, „einfach x-beliebig Sozialleistungen zu erhöhen und individuelle Förderbedarfe zu ignorieren.“ Das gefährde am Ende den Lohnabstand und setze Fehlanreize für Erwerbsarbeit.
Zu Paus‘ Veto zum Wachstumschancengesetz sagte Lindner: „Es ist nicht hilfreich, ganz unterschiedliche Vorhaben sachfremd miteinander zu verknüpfen.“ Außerdem gelte: „Die logische Voraussetzung einer neuen Leistung wie etwa der Kindergrundsicherung ist, dass wir überhaupt eine prosperierende Wirtschaft haben.“ Es gebe zudem noch „kein geeignetes Konzept“ für eine Kindergrundsicherung. Deswegen sei die Höhe der notwendigen Mittel auch noch unklar. „Klar ist aber: Jede neue dauerhafte, gesetzlich fixierte Ausgabe ist nur dann verantwortbar, wenn es eine Gegenfinanzierung gibt.“ Die Sozialausgaben dürften der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht immer weiter enteilen.
Studie stützt Lindners Position zur Kindergrundsicherung
Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft stützt in der Debatte um die Kindergrundsicherung die Position des Finanzministers. Am wirksamsten werde Kinderarmut durch den gezielten Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit bei Migranten und Alleinerziehenden bekämpft, so der Autor der Studie. Lindner hatte zuvor betont, dass es „einen ganz klaren Zusammenhang“ zwischen Einwanderung und Kinderarmut gebe, weshalb vor allem Geld notwendig sei, „um Kitas und Schulen zu verbessern und um Sprachfähigkeit und Integration der Eltern zu verbessern.“
Staat steht sich selbst im Weg
Lindner äußerte Verständnis für Bürger, die den Staat derzeit für überfordert halten. Er bleibe unter seinen Möglichkeiten. „Wir lähmen uns derzeit durch Bürokratismus. Der Staat steht sich selbst im Weg. Er ist enorm kostenträchtig.“ Lindner betonte: „Bis heute machen wir keinen Haushalt, der Mittel einspart. Wir begrenzen nur das zusätzliche Ausgabenwachstum. Aber wir schaffen es gegenwärtig trotzdem nicht, mit den enormen Finanzmitteln die wirklichen Probleme zu lösen. Das Problem besteht aus immer mehr Umverteilung durch einen immer weniger treffsicheren Sozialstaat.“ Darum fehlten die Mittel dort, wo sie für Modernisierung gebraucht würden. „Das muss sich ändern, dann wächst auch wieder das Vertrauen der Menschen in den Staat.“
Er rechne noch im August mit einer Einigung innerhalb der Ampel-Regierung zu den angedachten milliardenschweren Steuerentlastungen für Unternehmen. „Ich hoffe nun auf eine rasche Klärung.“ Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen unterstütze seine Pläne.
Hintergrund
Die Regierung will mehr Chancen für mehr Kinder schaffen. Deshalb hat sie mit der Erhöhung des Kindergeldes, der schnelleren Anpassung der Regelsätze der Grundsicherung für Kinder an die Inflation und dem erhöhten Kinderzuschlag bereits Entlastungen für Familien mit Kindern auf den Weg gebracht. Sieben Milliarden Euro mehr werden dafür jetzt jährlich bereitgestellt. Mit der Kindergrundsicherung will die Koalition eine echte Reform der Sozialverwaltung einleiten, statt immer neue Sozialleistungen zu schaffen. Denn: Bei 150 Familienleistungen kann niemand behaupten, dass es zu wenig finanzielle Hilfen gibt. Doch sie sind zu kompliziert zu beantragen und kommen gerade bei denen nicht an, die sie am meisten brauchen.
Beispiel Kinderzuschlag: Nur rund 30 Prozent der Berechtigten beantragen überhaupt die Leistung. Bei den Leistungen für Bildung sind es sogar weniger als 20 Prozent. Deshalb besteht die Aufgabe jetzt darin, den Leistungsdschungel zu lichten, Familienleistungen zusammenzuführen, zu vereinfachen und vor allem sicherzustellen, dass sie bei den Familien überhaupt ankommen – im besten Fall durch eine automatisierte Auszahlung.
Jetzt geht es darum, die Vereinfachung, Digitalisierung und Bündelung der kindesbezogenen Familienleistungen zu erreichen. Dazu zählen das Kindergeld, der Kinderzuschlag, die Regelsätze im Bürgergeld und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes. Ziel der Reform ist es, dass alle Familien, die Anspruch auf Unterstützung haben, diese auch erhalten, ohne Antragsflut und unnötige Behördengänge.
Nach Ansicht der Freien Demokraten könnten betroffene Familien mit einem Kinderchancenportal schon jetzt unterstützt werden. Dort soll eine übersichtliche Auswahl von Angeboten, etwa von Vereinen, und sogar die automatisierte Abrechnung der Bildungs- und Teilhabeleistungen möglich sein.
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- rp-online.de: „Effektivstes Mittel gegen Kinderarmut sind vernünftige Jobs für die Eltern“
- tagesspiegel.de: „Lindner, arme Kinder und die Zuwanderung: Zuhören statt aufregen“