Wirtschaft transformieren, Wohlstand erhalten
Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Frühjahrsgutachten die Wachstumsprognosen deutlich nach unten korrigiert. In einem Gastbeitrag schreibt Christian Lindner, dass die Widerstandsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft angesichts neuer Herausforderungen gestärkt werden müsse.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognose für 2022 von noch 4,8 Prozent im Herbstgutachten 2021 auf jetzt lediglich 2,7 Prozent drastisch nach unten korrigiert. Grund hierfür sind neben dem Verlauf der Pandemie auch der Krieg in der Ukraine. Die Inflationsrate wird den Berechnungen zufolge bei 6,1 Prozent liegen. Dem höchsten Wert seit 40 Jahren.
„Nach dem Jahrhundertereignis einer globalen Pandemie erleben wir nun etwas, das wir in die Sphäre der Geschichtsbücher gebannt sahen: einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Herzen Europas“, beschreibt Bundesfinanzminister Christian Lindner in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ die Rahmenbedingungen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Er warnt vor einer Phase der wirtschaftlichen Stagflation. „Wir müssen mehr in neue Technologien und in unsere Sicherheit investieren. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik darf es daher nicht darum gehen, den Status quo ante einzufrieren“, schreibt Lindner.
Um die wirtschaftlichen Folgen des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs in der Ukraine abzufangen, „sind kurzfristige Hilfen für Unternehmen und Haushalte, ähnlich wie ein Stoßdämpfer, notwendig“, erläutert der Finanzminister. Es gelte, Härten zielgerichtet abzufedern und gesamtwirtschaftliche Verwerfungen zu vermeiden, betonte Lindner. Dies reduziere Unsicherheiten und schaffe ein Umfeld, in dem sich Investitionen in die Zukunft lohnten.
Lindner betont, der Angriff Russlands auf die Ukraine treffe Deutschland in einer Phase des Umbruchs. „Bis 2045 wollen wir klimaneutral wirtschaften, die Digitalisierung wird unsere Arbeitsweise und viele Geschäftsmodelle fundamental verändern, und der demografische Wandel stellt uns vor große Herausforderungen. Unsere Welt wird nicht wieder so sein, wie sie einmal war.“ Jetzt müsse Deutschland „einseitige Abhängigkeiten reduzieren, sei es beim Energieimport aus Russland oder beim Export nach China.“ Dadurch könne auch die Dekarbonisierung mithilfe von Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen und anderen C02-neutralen Technologien vorangetrieben werden. Doch auch neue Geschäftsmodelle, neue Ideen, neue Lieferketten und neue Handelsbeziehungen brauche es.
Der Krieg markiere dabei nicht nur einen vorübergehende Krise, sondern für die Volkswirtschaft in vielerlei Hinsicht eine Zeitenwende. Die Kosten für fossile Energieträger würden langfristig hoch bleiben, schreibt der FDP-Vorsitzende im „Handelsblatt“. Höhere Preise seien aber auch notwendig, um Anreize für regenerative Energien zu setzen. „Wir reduzieren die Abhängigkeit von diesen Energieträgern und treiben so mit Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen und anderen C02-neutralen Technologien die Dekarbonisierung voran.“ Denn erneuerbare Energien seien Freiheitsenergien und können den Pfad zur Erreichung der Klimaziele und der geopolitischen Souveränität öffnen. Doch auch die Lieferketten müsse man in Zukunft diversifizieren.
Stoßdämpfer für vom Ukraine-Krieg betroffene Unternehmen
Die Bundesregierung hat zuletzt ein Maßnahmenbündel vorgestellt, um gezielt Firmen zu helfen, die wegen der hohen Energiepreise und der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine unter Druck stehen. „Wir gehen dabei stufenweise vor. In der aktuellen Situation geht es für viele Unternehmen vor allem darum, Liquidität sicherzustellen. Hierbei unterstützen wir mit zinsgünstigen Krediten und Bürgschaften sowie mit Liquiditätshilfen Unternehmen, die Strom und Erdgas an den Terminmärkten kaufen und verkaufen.“ So könne in begrenztem Maße direkte Kostenzuschüsse für Unternehmen mit hohen zusätzlichen Energiekosten oder gezielte Eigen- und Hybridkapitalhilfen zum Einsatz kommen.
Der Finanzminister warnt, die Gefahr der Stagflation dürfe jedoch nicht unterschätzt werden. „Wir dürfen uns finanzpolitisch jetzt nicht völlig verausgaben, sondern müssen unsere Handlungsfähigkeit erhalten, um auch auf neue Situationen reagieren zu können.“ Deswegen seien eine maßvolle Finanz- und eine geschickte Wirtschaftspolitik gefragt. Einen allgemeinen Verlust an Wohlstand könne man auf Dauer nicht mit den Mitteln der Finanzpolitik ausgleichen.
Müssen einseitige Abhängigkeiten reduzieren
Für Lindner ist klar: „Wir brauchen neue Geschäftsmodelle, neue Ideen, neue Lieferketten und neue Handelsbeziehungen. Wir müssen einseitige Abhängigkeiten reduzieren, sei es beim Energieimport aus Russland oder beim Export nach China.“ Haushalte und Betriebe dürften nicht zusätzlich belastet werden, es müsse vielmehr ein Belastungsmoratorium geben. Denn schon jetzt sei Deutschland im internationalen Vergleich ein Höchststeuerland.
Auch die Bürokratie müsse auf das notwendige Minimum reduziert, die Digitalisierung vorangetrieben, sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. „Nur so werden wir es schaffen, für den Umbau unserer Wirtschaft in großem Umfang das private Kapital zu mobilisieren, das wir dafür brauchen“, ist sich der Minister sicher.
„Ich habe großes Vertrauen in die Kreativität, Innovationskraft und den Erfindungsreichtum der deutschen Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmerinnen und Unternehmer.“ Die Entfesselung dieser Potenziale sei dabei oberstes Gebot der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Lindner betont: „Wenn uns dies gelingt, bin ich überzeugt, dass wir auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen werden.“