WISSING-Gastbeitrag: Deutschland braucht ein Sondereinsatzkommando für die Finanzaufsicht

Der FDP-Generalsekretär Volker Wissing schrieb für die „WirtschaftsWoche“ (aktuelle Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

„Während die Finanzwelt sich dramatisch verändert hat, weht bei der Finanzaufsicht immer noch der Geist einer deutschen Verwaltung. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen: Deutsche Behörden arbeiten in aller Regel präzise, zuverlässig und fleißig. Aber das reicht offenbar nicht mehr, um es mit international agierenden Finanzkonzernen aufzunehmen zu können.

Bereits die Pleite der Hypo Real Estate während der letzten Finanzkrise hat das gezeigt. Die deutschen Behörden hatten damals schon früh Hinweise auf die problematische Finanzierung des Unternehmens, das sich immer kurzfristiger refinanziert hat und dadurch immer krisenanfälliger wurde. Als die Liquiditätsversorgung dann im Zuge der Pleite der amerikanischen Bank Lehman Brothers plötzlich zum Erliegen kam, war das Unternehmen am Ende und musste mit Milliarden aus der Staatskasse aufgefangen werden. Es gab damals einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, der nur bedingt schmeichelhafte Erkenntnisse über die Struktur der deutschen Finanzaufsicht ans Licht brachte. Man wusste schon frühzeitig um die Gefahren, nicht nur auf Arbeits-, sondern auch auf übergeordneter Ebene. Unternommen hat man aber nichts. Getreu nach dem Motto „Es wird schon irgendwie gut gehen“, wurde eher weggeschaut. Die Bereitschaft, das Risiko einzugehen, in den laufenden Betrieb eines Dax-Unternehmens einzugreifen, war weder auf administrativer, noch auf politischer Seite vorhanden. Das Ganze gipfelte dann darin, dass man seitens des Staates den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank um Unterstützung bat, als die Insolvenz der Hypo Real Estate drohte, weil man sich auf staatlicher Seite dem Problem nicht gewachsen fühlte. Dass die deutsche Öffentlichkeit das damals so hingenommen hat, wundert bis heute. 

Bundesfinanzminister war seinerzeit übrigens ein Sozialdemokrat: Peer Steinbrück. Er reagierte wie Olaf Scholz heute mit Ausflüchten: Man habe nichts gewusst, sei nicht informiert und sei schon gar nicht verantwortlich gewesen. Die Ausreden, die schon damals wenig überzeugten, klingen auch heute nicht besser.

Während die Sozialdemokratie sich in finanzmarktkritischer Rhetorik kaum überbieten lässt, erweist sie sich in der Aufsichtspraxis als erstaunlich zahnlos. Sie setzt auf Bürokratie, wo Handeln gefragt wäre. Es fehlt der deutschen Finanzaufsicht nicht an Vorschriften, es fehlt ihr offensichtlich die Entschlossenheit, einzugreifen, wo Dinge erkennbar falsch laufen.  

Das Problem fängt bereits bei der personellen Aufstellung an. Die Besoldungs- und Vergütungsstrukturen der Deutschen Finanzaufsicht sind unflexibel und wenig leistungsorientiert. So kann sie kaum mit der Personalstruktur international agierender Finanzkonzerne mithalten. Andere Länder, etwa die Schweiz, sind hier wesentlich besser aufgestellt.

In einer funktionierenden Marktwirtschaft muss der Schiedsrichter durchsetzungsstark sein, insbesondere wenn starke Mannschaften auf dem Spielfeld sind. Dazu braucht er Rückendeckung der politisch Verantwortlichen. Sie dürfen den Konflikt mit den großen Playern am Markt nicht scheuen, sondern müssen bereit sein, gegen sie in den Ring zu steigen. Marktwirtschaft verträgt kein Laissez-Faire, wenn es um Verantwortungs- und Haftungsfragen geht. 

Deutschland braucht ein Sondereinsatzkommando für die Finanzaufsicht. Hoch motivierte, top ausgebildete und leistungsorientiert bezahlte Finanzkontrolleure, die keine Angst vor großen Namen und großen Summen haben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzaufsicht bringen viele dieser Voraussetzungen mit, allerdings fehlt es ihnen an Rückendeckung aufgrund mangelnder Risikobereitschaft der Politik. 

Solange die Finanzpolitik auf Risiko- und Konfliktvermeidung setzt, werden wir keine wirklich wirksame Aufsichtsstruktur haben. Wer die Gesellschaft vor Exzessen der Finanzszene schützen will, muss mehr verändern, als eine x-te Finanzaufsichtsverordnung  zu fordern, wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz es jüngst getan hat. Wer eine schlagkräftige Finanzaufsicht schaffen will, muss mit neuen Strukturen und einer neuen Einstellung anfangen. „Too big to fail“ heißt auf Ebene der Finanzaufsicht übertragen heute nichts anderes als „Too scared to control“. Das muss sich dringend ändern. 

Die deutsche Finanzaufsicht hat bei der Pleite der Hypo Real Estate nicht überzeugt und sie sieht auch im Wirecard-Skandal schwach aus. Auf einen weiteren Finanzskandal sollten wir es nicht ankommen lassen. Deutschland braucht eine Finanzaufsicht, die nicht vor der Finanzbranche zittert, sondern vor der die schwarzen Schafe der Finanzbranche zittern. Wenn Aufsicht versagt, entsteht gerade in der Finanzwirtschaft schnell ein Anreiz für alle, riskante Spiele mitzuspielen. Die Subprimekrise ist ein anschauliches Beispiel dafür. Die Branche wusste, dass das nicht lange gut gehen konnte, aber kaum einer ist ausgestiegen, solange die Aufsicht nur zugeschaut hat. Während noch kräftig Boni für hübsch aussehende Bilanzen ausgezahlt wurden, drohte der Ballon voll heißer Luft bereits zu platzen. Und als der Knall nicht mehr zu überhören war, haben die Aufsichtsbehörden weltweit Schuldige gesucht, anstatt sich zu entschuldigen. So kann die Struktur nicht bleiben.“

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