TEUTEBERG-Interview: Die Frage nach milderen Mitteln ist zu stellen

Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg gab „Welt Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Ulf Poschardt.

Frage: Der Exit aus dem Ausnahmezustand wurde verkündet – er fällt sehr verhalten aus. Sind die Deutschen übervorsichtig, Frau Teuteberg?

Teuteberg: Nein, aber jeder kennt das: Beim ersten Spaziergang nach einer langen Ruhezeit ist man auch langsamer unterwegs als zuvor. Vorsicht ist keine Feigheit und Leichtsinn kein Mut. Das Problem ist nicht Übervorsicht, sondern der unheimliche Charme des Unbedingten, der bei manchen zu noch mehr Debattenverweigerung zum Beispiel über die Verhältnismäßigkeit von Freiheitseinschränkungen führt. Dabei braucht unsere Demokratie die offene Debatte wie die Luft zum Atmen. Das Ende eines Shutdown ist weit anspruchsvoller als der Anfang. Wir brauchen mehr und nicht weniger Debatte und parlamentarische Kontrolle, um komplexen Herausforderungen mit liberalen Antworten gerecht zu werden. Die Frage nach Gleichbehandlung und milderen Mitteln statt Willkür ist zu stellen, zum Beispiel beim Einzelhandel und bei der Ausübung der Religionsfreiheit durch Gottesdienste mit genügend Abstand zwischen den Teilnehmern.

Frage: Wie bewerten Sie den Machtkampf der beiden Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU)?

Teuteberg: Das werden die Delegierten der CDU beim nächsten Parteitag bewerten. Das zu bewerten ist nicht mein Job, ich werde dort nicht stimmberechtigt sein. Richtig an Armin Laschets Vorschlägen finde ich, dass er weiß, dass wir auf Dauer unser leistungsfähiges Gesundheitssystem nur aufrechterhalten können, wenn wir auch wirtschaftlich nicht auf die Intensivstation kommen.

Frage: Ist nicht Markus Söder der Mann der Stunde? In den Umfragen in Bayern kommt die FDP gar nicht mehr vor. Was heißt das für Ihre Wähler dort?

Teuteberg: Solche Krisen sind Stunden der Exekutive, die einen Vertrauensvorschuss bekommt auch in den Umfragewerten. Das gilt für jedes Bundesland ebenso wie für den Bund, und ich verteile da keine Noten. Ich arbeite damit.

Frage: Wie denn?

Teuteberg: Indem ich nicht den Eindruck zu erwecken versuche, als regierte ich gerade mit. Denn die Entscheidungen fallen derzeit in einem 16plus1 Format der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin. Bei den notwendigen Maßnahmen einzufordern, dass die Freiheit nicht der Willkür weicht und parlamentarische Kontrolle stattfindet, ist unsere Aufgabe. Und wir bereiten uns darauf vor, an der Folgenbewältigung dieser Entscheidungen mitzuarbeiten, denn die wird Jahre dauern und dafür müssen die Ideen und Pläne jetzt entwickelt werden.

Frage: Kommt die Opposition in diesen Regierungszeiten nicht mehr zum Zug?

Teuteberg: Ohne eine denkende und mahnende Opposition wäre es zu diesen Lockerungen nicht gekommen. Schon bei den Verhandlungen über das Infektionsschutzgesetz haben wir einiges erreicht: für die Bürgerrechte, indem wir gegen das vorgesehene Auslesen von Mobilfunkdaten eingetreten sind und jetzt nach freiwilligen, innovativen und datenschutzkonformen Lösungen gesucht wird, und für die Gewaltenteilung durch Befristung des Gesetzes und Entscheidung durch den Bundestag statt durch die Regierung. Nachbesserungen und fortlaufende parlamentarische Kontrolle sind notwendig und werden von uns ebenso eingefordert, wie wir verhältnismäßige Maßnahmen unterstützen. Manche diffamieren das als Ungeduld.

Frage: Wie nehmen Sie die Entzauberung der Grünen im Augenblick wahr?

Teuteberg: Corona bringt Fragen der wirtschaftlichen Existenz auf die Tagesordnung, und das entzieht manchen Angeboten im politischen Wettbewerb ihren Aufwind.

Frage: Zuletzt rutschte die FDP wieder nahe an die fünf Prozent in den Umfragen. Kostet Sie das Nerven?

Teuteberg: Nein. Aber ich sehe mit Interesse, dass die These der CDU, man könne von der AfD keine Wähler zurückgewinnen, widerlegt ist. Die neue Stärke der CDU verdankt sie dem harten Ordnungskurs, der AfD-Wähler zurückholt. Ich bin gespannt, ob und wie die CDU daraus ihre Lehren zieht.

Frage: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus für den Kurs Ihrer Partei?

Teuteberg: Keine. Unser Kurs hängt weder von Umfragen noch von der Positionierung von Mitbewerbern ab. Wir wenden uns an Menschen, die einen ebenso liberalen wie handlungsfähigen Rechtsstaat wollen. Der sich gerade in der Not an das Gebot der Verhältnismäßigkeit hält. Und seine Kernaufgaben wie Katastrophenschutz wahrnimmt, ohne sich zu verzetteln in der Hybris, der bessere Unternehmer oder Zensor privater Lebensentwürfe sein zu wollen. Sich als Regierung an die Regeln zu halten, ist gerade in Krisenzeiten besonders wichtig. Das unterscheidet Demokratien von Willkür.

Frage: Warum gelingt es der FDP nicht, in den Freiheitsdebatten, die gerade geführt werden, durchzudringen?

Teuteberg: Der Grat ist schmal zwischen einer mahnenden Stimme und einer Aufforderung, die nötigen Regeln zu missachten. Da ist es besser, nicht missverstanden zu werden, selbst wenn das zulasten der Lautstärke geht.

Frage: Die Kritik an der FDP von FDP-Freunden auf Social Media trifft den Parteichef und auch Sie. Sehen Sie sich das an, oder ignorieren Sie das?

Teuteberg: Wir wissen beide, dass wir schon bald wieder in der täglichen Auseinandersetzung an Wirkung zulegen werden. Wirtschaftspolitisch stehen die Zeichen auf Sturm, und da werden erfahrene Lotsen statt Postwachstumsromantik gebraucht.

Frage: Das klingt auch – bitte verzeihen Sie mir – etwas floskelhaft. Was meint das konkret?

Teuteberg: Wir tun das, was derzeit richtig ist. Und wenn wir dafür Zustimmung erhalten, freut uns das. Und wenn nicht, bleiben unsere Themen und Forderungen trotzdem richtig. Applaus ist nicht der einzige Maßstab für die richtige Überzeugung. Die jetzt dringliche medizinische Bewältigung wird im Nachhinein viel kürzer ausfallen als die wirtschaftliche Genesung. Darauf müssen wir uns jetzt schon einstellen. Der Exit ist das Eine, der Wiederaufbau wahrscheinlich eine Aufgabe von Jahren und kein Selbstläufer.

Frage: Was will die FDP wirtschafts- und finanzpolitisch? Steuersenkungen? Wie stehen Sie zur Vermögensteuer? Wie zu Konjunkturprogrammen? Müssen die Klimaziele ausgesetzt werden?

Teuteberg: Wie viel Platz bekomme ich für die Antwort? Allein unser Papier zu dem, was in Europa jetzt passieren muss, füllt mehrere Seiten. Denn passieren muss viel, um die Krise abzufedern und im Anschluss den Wiederaufstieg zu schaffen. Dazu gehören Entlastungen wie die vollständige Abschaffung des Solis, eine Unternehmensteuerreform und kurzfristige Steuerrückzahlungen für schnelle Liquidität kleiner und mittelständischer Unternehmen. Wir brauchen ein Aufholprogramm, um nach der Öffnung wieder aus dem Konjunkturtal herauszukommen. Die Neuverschuldung müssen wir im Anschluss konsequent und zügig abbauen. Nur mit solider Haushalts- und Wettbewerbspolitik sind wir für die nächsten Krise gerüstet. Auch beim Klimaschutz setzen wir weiter auf die Innovationskraft des Wettbewerbs. Die Vermögensteuer ist ein falscher Vorschlag zur falschen Zeit. Bürger und Betriebe verbrauchen gerade Ersparnisse und Eigenkapital. Die Rücklagen müssen neu aufgebaut werden: Nötig ist neue Substanz statt Substanzbesteuerung. Wir brauchen gerade auch private Investitionen. Nur durch Kostendisziplin und eine starke Wirtschaft kann der Staat aus den Schulden herauswachsen.

Frage: Was könnte die FDP besser machen?

Teuteberg: Es gibt vieles, was schon vorhanden ist und mit mehr Selbstbewusstsein nach vorn gestellt werden kann beim Wiederaufbau, der jetzt ansteht. Die wahren Herausforderungen stehen ja noch bevor. Wir sind vielleicht am Wendepunkt des Fiebers, aber der Weg zur alten Stärke wird noch hart und ohne wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz nicht zu schaffen sein. Der 155-Milliarden-Schluck aus der Pulle wird noch schwer zu verdauen sein.

Frage: Im Justemilieu gibt es einen neuen antiliberalen Sound, der seit der Schande von Erfurt FDPler und AfDler in einen Topf werfen will. Wie gehen Sie damit um?

Teuteberg: Getretener Quark wird breit, nicht stark. Wir dürfen uns nicht falsche Debatten aufzwingen lassen.

Frage: Waren das Nein zu Jamaika und die Blamage in Erfurt ein Doppelschlag, den Sie bis zur Bundestagswahl nicht mehr korrigieren können?

Teuteberg: Die Corona-Krise hat für alle die Karten völlig neu gemischt. Wie gesagt, die harten Zeiten des Wiederaufbaus kommen erst. Das wird eine Zeit mutiger Konzepte für die Zukunft und lässt keinen Raum für Nabelschau und vergossene Milch.

Frage: Was meint das konkret?

Teuteberg: Dass sich nicht heute, sondern in einigen Monaten zeigt, wie Deutschland durch die Krise kommt. Da sind Antworten gefragt, die Existenzen sichern, und da werden praxistaugliche Konzepte wie unser Vorschlag, mit einer Steuererstattung ebenso schnell und unbürokratisch wie passgenau Liquidität zu sichern, mehr Gehör finden. Und am besten auch umgesetzt werden.

Frage: Warum kümmert sich die FDP nicht mehr um das Thema Bildung?

Teuteberg: Das tun wir. Besonders in den Ländern, in denen darüber entschieden wird. Für die Digitalisierung in der Bildung haben wir uns nachdrücklicher eingesetzt, als manch anderen lieb war, die Neuland lieber nicht betreten und erst jetzt die Notwendigkeit erkennen. Gerade das Drängen auf eine rechtzeitige Debatte über eine Öffnungsstrategie ist für mich auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit: Bildung als Rüstzeug für ein selbstbestimmtes Leben und als Teil des Aufstiegsversprechens unserer sozialen Marktwirtschaft ist so wichtig, dass wir nicht hinnehmen können, gerade die Kinder, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, durch dauerhaften Unterrichtsausfall zurückzulassen. Dass dafür in den letzten Wochen die Voraussetzungen noch nicht geschaffen wurden, beweist gerade die Notwendigkeit der Debatte.

Frage: Niemand würde bei der Frage nach Bildungskompetenz jetzt auf die FDP kommen. Oder übersehen wir hier was?

Teuteberg: Ja, zum Beispiel unsere Bildungspolitik in den Ländern. Im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW stellen wir mit Yvonne Gebauer die Bildungsministerin und auch in den anderen Landesregierungen mit FDP-Beteiligung nehmen wir auf die Bildungspolitik Einfluss.

Frage: Also ist alles gut bei Ihnen?

Teuteberg: Wir kreisen nicht um uns selbst. Für niemanden in Deutschland werden die nächsten Monate leicht werden. Das nehmen wir Freie Demokraten sehr ernst. Wir arbeiten dafür, dass wir unser Land nach dieser Krise als offene Gesellschaft, liberalen Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft wiedererkennen.

 

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