SUDING/LAUTERBACH-Interview: „Wir sind doch nicht in Ungarn“

Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Katja Suding und der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach gaben dem „Spiegel“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Markus Feldenkirchen und Konstantin von Hammerstein.

Frage: Frau Su­ding, „Was ist das Le­ben wert, wenn wir uns die Frei­heit zu le­ben neh­men las­sen?“ ha­ben Sie auf Twit­ter ge­fragt. Wie ka­men Sie dazu, die­se Fra­ge zu stel­len?

Su­ding: Wir er­le­ben ge­ra­de, dass un­se­re Grund­frei­hei­ten mas­siv ein­ge­schränkt wer­den. Wir dür­fen nicht mehr ein­fach so raus­ge­hen. Wir kön­nen nicht mehr un­ein­ge­schränkt un­se­ren Be­ru­fen nach­ge­hen. Ge­schäf­te lie­gen brach. Wir dür­fen un­se­re An­ge­hö­ri­gen in Pfle­ge­hei­men nicht mehr be­su­chen. Kin­der und Frau­en lei­den noch viel stär­ker un­ter häus­li­cher Ge­walt. Da sind wir als of­fe­ne Ge­sell­schaft ver­pflich­tet, im­mer wie­der zu fra­gen: Er­fül­len die be­schlos­se­nen Maß­nah­men tat­säch­lich den Zweck, un­se­re Ge­sund­heit zu er­hal­ten? Sind sie ver­hält­nis­mä­ßig? Sind wir auf dem rich­ti­gen Weg? Die­se Fra­gen müs­sen wir je­den Tag stel­len. Ich möch­te den vie­len Men­schen, die sich Sor­gen ma­chen, ein Sprach­rohr sein.

Frage: Herr Lau­ter­bach, Sie ha­ben di­rekt auf Frau Su­dings Tweet re­agiert. Was hat Sie so auf die Pal­me ge­bracht?

Lau­ter­bach: Die Kon­takt­sper­re ist ge­ra­de mal ein paar Tage in Kraft, und da stellt Frau Su­ding schon die Fra­ge, ob das Le­ben noch wert sei, ge­lebt zu wer­den. Das hat mich über­rascht. Ver­gli­chen mit Ka­ta­stro­phen wie dem Zwei­ten Welt­krieg ist es im Mo­ment doch noch ziem­lich harm­los. Dass un­se­re Frei­hei­ten ein­ge­schränkt wer­den, ist bit­ter, aber man muss es eben auch ins Ver­hält­nis set­zen. Zu fra­gen, ob das Le­ben noch le­bens­wert ist, wenn ich mal nicht ins Re­stau­rant oder zur Ar­beit ge­hen kann, hal­te ich für un­an­ge­mes­sen. Das Le­ben ge­winnt doch auch an Wert, wenn ich mich aus Über­zeu­gung eine Zeit lang ein­schrän­ke, um das Le­ben an­de­rer Men­schen zu ret­ten.

Frage: Ging es Ih­nen tat­säch­lich um Re­stau­rant­be­su­che, Frau Su­ding?

Su­ding: Nein, na­tür­lich nicht. Als ob es ums Wein­trin­ken oder den Fri­seur­be­such gin­ge, wie mir un­ter­stellt wor­den ist. Das ist zy­nisch und ver­kennt den Ernst der Lage. Jetzt ste­hen Men­schen, die sich über Jahr­zehn­te ein Busi­ness auf­ge­baut ha­ben, vor den Scher­ben ih­rer Exis­tenz. Klei­ne Re­stau­rants und Ein­zel­händ­ler. Ich höre bei Ih­nen, Herr Lau­ter­bach, so ein biss­chen raus, dass es ja auch mal ganz schön sei, sei­nen Kon­sum ein­zu­schrän­ken und sich ein we­nig selbst zu fin­den. Aber hier geht es nicht um Selbst­fin­dung. Die Men­schen ha­ben Angst, weil sie vor dem Ruin ste­hen. Das darf man nicht ab­tun, Herr Lau­ter­bach. Wir sind Ab­ge­ord­ne­te, un­ser Geld kommt wei­ter aufs Kon­to, wir lei­den kein biss­chen. An­de­re kön­nen vor Sor­gen nicht schla­fen und wis­sen nicht ein noch aus. Das kann man gar nicht ernst ge­nug neh­men.

Lau­ter­bach: Ich muss Ih­nen wi­der­spre­chen. Ich hat­te erst ein­mal an Sie ge­dacht. Denn Sie wa­ren es doch, die sich ge­fragt hat, ob das Le­ben von Ih­nen noch ei­nen Wert hat, wenn Sie so ein­ge­schränkt sind. Die Sor­gen der Men­schen, die ge­ra­de um ihre Exis­tenz kämp­fen, ver­su­chen wir doch ge­ra­de mit vie­len Hilfs­an­ge­bo­ten zu lin­dern. Im Worst Case müs­sen wir da­mit rech­nen, dass die Wirt­schafts­leis­tung um 20 Pro­zent ein­bricht. Dann gäbe es das Wirt­schafts­sys­tem, wie wir es ken­nen, gar nicht mehr. Be­kom­men wir Co­ro­na nicht un­ter Kon­trol­le, könn­ten al­lein in Deutsch­land mehr als eine Mil­li­on Men­schen ster­ben. Und es gäbe wahr­schein­lich Mil­lio­nen Men­schen mit schwe­ren dau­er­haf­ten Schä­den. Des­halb tre­ten wir jetzt auf die Brem­se. Weil es eine Not­si­tua­ti­on ist. Und des­halb fand ich es doch über­ra­schend, dass Sie schon nach ei­ner Wo­che la­men­tie­ren, Ihre Frei­heits­rech­te sei­en be­droht. Als Po­li­ti­ker soll­ten wir jetzt nicht la­men­tie­ren, son­dern den Bür­gern die har­ten, aber not­wen­di­gen Maß­nah­men er­klä­ren. Wer weiß, ob sie nicht so­gar noch ver­schärft wer­den müs­sen.

Frage: Wel­che Schick­sa­le und Schil­de­run­gen ha­ben Sie zu Ih­rem Tweet ver­an­lasst, Frau Su­ding?

Su­ding: Mei­ne Tan­te lebt in ei­nem Pfle­ge­heim, ich den­ke an sie und die un­zäh­li­gen an­de­ren Men­schen in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on, vie­le von ih­nen de­ment. Sie kön­nen kei­nen Be­such be­kom­men, man­che auch nicht te­le­fo­nie­ren. Sie wer­den oft nicht ver­ste­hen, war­um sich plötz­lich nie­mand aus der Fa­mi­lie mehr bli­cken lässt. Für sie und die An­ge­hö­ri­gen ist das ein ganz har­ter Ein­griff. Wie für vie­le an­de­re auch. Den­ken Sie an die wirt­schaft­li­chen Exis­ten­zen, die jetzt ver­nich­tet wer­den. Oder an die vie­len Schul­kin­der, die in sehr schwie­ri­gen Ver­hält­nis­sen le­ben. Wer jetzt zu Hau­se beim Ler­nen kei­ne Un­ter­stüt­zung von den El­tern be­kommt, fällt im Un­ter­richt noch wei­ter zu­rück und ver­liert Chan­cen im Le­ben.

Frage: Herr Lau­ter­bach, wie wür­den Sie der Tan­te von Frau Su­ding, die plötz­lich die Welt nicht mehr ver­steht, er­klä­ren, dass sie kei­nen Be­such mehr be­kommt?

Lau­ter­bach: Ich wür­de ihr in ein­fa­chen Wor­ten sa­gen, dass wir das zu ih­rem Schutz ma­chen. Ge­ra­de De­menz­kran­ke wer­den be­son­ders von der Krank­heit heim­ge­sucht. Ich wür­de ihr auch er­klä­ren, dass ein äl­te­rer Mensch, der meh­re­re Wo­chen be­at­met wur­de, ein deut­lich hö­he­res Ri­si­ko hat, im An­schluss eine De­menz zu ent­wi­ckeln. Vie­le ster­ben zwar nicht, aber müs­sen da­nach ins Pfle­ge­heim.

Su­ding: Das ist jetzt ein Scherz, oder? Das wol­len Sie mei­ner Tan­te er­klä­ren? Oder wol­len Sie es mir er­klä­ren? Ich ver­ste­he es, ein de­menz­kran­ker Mensch nicht.

Lau­ter­bach: Ich wür­de Ih­rer Tan­te er­klä­ren, dass sie be­son­ders ge­fähr­det ist und dass wir sie be­son­ders schüt­zen.

Su­ding: Net­ter Ver­such, aber das wird nicht viel nüt­zen.

Lau­ter­bach: Ich weiß na­tür­lich auch, dass man man­chen De­menz­kran­ken nicht mehr viel er­klä­ren kann. Aber ich wür­de ihr das Ge­fühl ge­ben, dass wir sie schüt­zen. Das ist die ein­zi­ge Mög­lich­keit. So er­klä­re ich auch mei­ner Mut­ter, war­um ich sie im Mo­ment nicht be­su­che. Sie ist 85 Jah­re alt und nicht de­ment. Ich be­su­che sie nicht, weil ich sie nicht an­ste­cken will.

Su­ding: Herr Lau­ter­bach wird das Pro­blem mit mei­ner Tan­te nicht lö­sen kön­nen, und das ist auch nicht sei­ne Auf­ga­be. Aber ich will dar­auf auf­merk­sam ma­chen, dass wir es im Mo­ment nicht mit ei­ner gro­ßen Py­ja­ma­par­ty zu tun ha­ben, wie of­fen­bar ei­ni­ge den­ken. Hey, wir blei­ben zu Hau­se! Nein, es gibt un­fass­ba­re Här­ten. Über die müs­sen wir re­den.

Frage: Aber was folgt dar­aus? Mei­nen Sie, die Maß­nah­men sind falsch?

Su­ding: Ich bin kei­ne Vi­ro­lo­gin. Ich höre un­ter­schied­li­che Mei­nun­gen, die sich zum Teil wi­der­spre­chen. Ei­nes ist doch klar: Wenn eine Re­gie­rung so dras­ti­sche Maß­nah­men be­schließt, muss sie sehr gut er­klä­ren, war­um sie not­wen­dig sind. Wie lan­ge braucht man sie? Was sind die Zie­le? Was sind die Kri­te­ri­en? Wann kön­nen wir sie lo­ckern, wann be­en­den? Da ist mir die Kom­mu­ni­ka­ti­on der Re­gie­rung nicht klar ge­nug, das geht viel bes­ser. Wenn Kanz­ler­amts­chef Hel­ge Braun dar­auf mal eben per Zei­tungs­in­ter­view ant­wor­tet, ist das kei­ne an­ge­mes­se­ne Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on. Wenn die Maß­nah­men des­halb im­mer we­ni­ger ak­zep­tiert wer­den, ha­ben wir ein ganz an­de­res Pro­blem.

Frage: Herr Lau­ter­bach, wie be­wer­ten Sie die Kom­mu­ni­ka­ti­on der Bun­des­re­gie­rung?

Lau­ter­bach: Ich ver­tei­le kei­ne No­ten. Wir ha­ben aber doch klar er­klärt, war­um wir all das ma­chen. Das ka­piert doch in­zwi­schen je­der. Wenn wir gar nichts tä­ten, wür­den sich bis zu 50 Mil­lio­nen Deut­sche in­fi­zie­ren, von de­nen im güns­tigs­ten Fall 500 000 Men­schen ster­ben wür­den. Vor­aus­ge­setzt, die Kran­ken­häu­ser wä­ren nicht völ­lig über­las­tet, denn dann könn­ten es mehr als eine Mil­li­on Tote wer­den. Des­halb die­se Voll­brem­sung über­all in Eu­ro­pa. Wir müs­sen die Pan­de­mie un­ter Kon­trol­le brin­gen. Und das wur­de auch oft ge­nug und klar ge­nug kom­mu­ni­ziert.

Frage: Wi­der­spruch, Frau Su­ding?

Su­ding: Wenn Frau Mer­kel sagt, die Fall­zah­len dürf­ten sich nur alle zehn Tage ver­dop­peln, be­vor ir­gend­et­was ge­lo­ckert wer­den kön­ne, fra­ge ich mich: War­um setzt sie das nicht ins Ver­hält­nis zu den Tests? Wenn wir dem­nächst ex­plo­si­ons­ar­tig mehr Tests ha­ben, wor­auf wir alle hof­fen, wer­den wir ja in je­dem Fall hö­he­re Fall­zah­len ha­ben. Das kann also kein taug­li­ches Kri­te­ri­um sein, um Maß­nah­men zu lo­ckern, zu ver­län­gern oder zu ver­schär­fen. Fall­zah­len müs­sen doch ins Ver­hält­nis zu der An­zahl der Tests ge­setzt wer­den.

Lau­ter­bach: Das stimmt. Die Ver­dopp­lungs­zahl al­lein kann na­tür­lich nicht das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um sein. Mich hat die­se iso­lier­te Aus­sa­ge auch stark ver­wun­dert. Man muss noch ganz an­de­re Pa­ra­me­ter im Auge ha­ben.

Frage: Sind die Maß­nah­men also un­ver­hält­nis­mä­ßig?

Su­ding: Wenn man hier in Ham­burg an die Als­ter geht, ha­ben Sie das Ge­fühl, Sie wä­ren auf ei­nem Volks­fest. Da sind Jog­ger, es ist voll, und kaum je­mand kann den Ab­stand ein­hal­ten. Das also ist er­laubt, wäh­rend gleich­zei­tig der Ein­zel­händ­ler nicht öff­nen darf, selbst wenn er sei­ne Kun­den nur ein­zeln und brav hin­ter­ein­an­der be­dient. Das ist sehr schwer zu ver­ste­hen.

Frage: Herr Lau­ter­bach, uns wür­de der Maß­stab in­ter­es­sie­ren, den Sie an die Ein­schrän­kung der Frei­heit an­le­gen. Ist al­les ge­recht­fer­tigt, wenn da­mit auch nur ein Mensch ge­ret­tet wer­den kann?

Lau­ter­bach: Auf so eine Ethik­haar­spal­te­rei wer­de ich mich nicht ein­las­sen. Wir ver­su­chen ge­ra­de, die Pan­de­mie so ein­zu­däm­men, dass wir je­den ein­zel­nen In­fi­zier­ten wie­der nach­voll­zie­hen kön­nen. Ge­lingt uns das nicht, ha­ben wir nicht nur eine me­di­zi­ni­sche, son­dern auch eine öko­no­mi­sche Ka­ta­stro­phe. Hier geht es nicht um Ge­sund­heit ge­gen Wirt­schaft. Ge­rät die Pan­de­mie au­ßer Kon­trol­le, dann bricht die Wirt­schaft ein, noch be­vor die letz­ten Kran­ken ge­stor­ben sind.

Frage: Ist das Schwarz­ma­le­rei, Frau Su­ding?

Su­ding: Herr Lau­ter­bach hat ja voll­kom­men recht, dass man Men­schen­le­ben und wirt­schaft­li­che Frei­heit auf kei­nen Fall ge­gen­ein­an­der auf­wie­gen kann. Doch wahr ist na­tür­lich auch: Wenn un­se­re Wirt­schaft zu­sam­men­bricht, wer­den wir auch die Men­schen nicht mehr ver­sor­gen kön­nen. Dann bricht auch un­ser sehr gu­tes Ge­sund­heits­sys­tem zu­sam­men. Des­halb müs­sen wir bei­des zu­sam­men­den­ken, wir müs­sen die Ge­sund­heit der Men­schen schüt­zen, dür­fen aber nicht zu­las­sen, dass die Wirt­schaft kol­la­biert. Es muss da­her un­be­dingt schon jetzt eine Exit­stra­te­gie ent­wi­ckelt wer­den.

Frage: Ihr Par­tei­freund Mar­co Busch­mann hat im SPIEGEL vor ei­ner Ra­di­ka­li­sie­rung der Mit­tel­schicht und ei­nem „Zu­sam­men­bruch po­li­tisch ge­ord­ne­ter Ver­hält­nis­se“ ge­warnt. Tei­len Sie die­se Sor­ge?

Su­ding: Mir ma­chen die Ein­schrän­kun­gen der Frei­heits­rech­te mehr Sor­ge. Wir müs­sen uns über­le­gen, wie wir die schlimms­ten Aus­wir­kun­gen ab­mil­dern kön­nen. Das ist es, was mich um­treibt.

Frage: Herr Lau­ter­bach, die be­schlos­se­nen Maß­nah­men sind – viel­leicht auch we­gen der gro­ßen Eile – we­nig dif­fe­ren­ziert. Wäre es nicht sinn­voll, ge­ziel­te Maß­nah­men zu er­grei­fen, statt alle Men­schen in glei­chem Maße ein­zu­schrän­ken?

Lau­ter­bach: Dass wir jetzt alle tref­fen, liegt dar­an, dass wir tat­säch­lich alle im Mo­ment iso­lie­ren müs­sen. Es gin­ge gar nicht ge­ziel­ter, weil wir ja nicht wis­sen, wer in­fi­ziert ist. Min­des­tens 40 bis 50 Pro­zent der Be­trof­fe­nen wer­den von ei­nem Men­schen an­ge­steckt, der kei­ne oder nur leich­te Sym­pto­me zeigt. Im Mo­ment kann also je­der in­fek­ti­ös sein, egal ob sie oder er Sym­pto­me zei­gen oder nicht.

Su­ding: Aber was ist mit den Men­schen, die Co­vid-19 über­stan­den und be­reits An­ti­kör­per ge­bil­det ha­ben? An­ge­nom­men, ich wäre so ein Fall. Könn­te ich dann mei­ne Tan­te be­su­chen?

Lau­ter­bach: Wenn Sie kom­plett ge­ne­sen sind, na­tür­lich. Aber das be­trifft ak­tu­ell ge­ra­de mal ge­schätzt ei­nen von 300 bis 500 Men­schen in Deutsch­land. Ich bin ja völ­lig bei Ih­nen, dass wir die Auf­la­gen für die Wirt­schaft und das so­zia­le Le­ben drin­gend wie­der lo­ckern müss­ten. Aber das geht erst, wenn wir un­se­re Auf­ga­ben er­le­digt ha­ben.

Frage: Und die wä­ren?

Lau­ter­bach: Wir müs­sen die Test­ka­pa­zi­tä­ten sehr stark er­hö­hen, wahr­schein­lich auf bis zu eine hal­be Mil­li­on am Tag. Das wä­ren etwa sie­ben­mal mehr Tests, als das, was wir zur­zeit ma­xi­mal ha­ben. Ob uns das ge­lingt, ist völ­lig un­klar. Dann müs­sen wir die Ge­sund­heits­äm­ter so ver­stär­ken, dass wir bei je­dem ein­zel­nen Fall die Kon­tak­te re­la­tiv voll­stän­dig nach­voll­zie­hen kön­nen. Und wir brau­chen Schutz­ma­te­ri­al für alle, die in der Pfle­ge, in den Kran­ken­häu­sern und in den Pra­xen ar­bei­ten. Bis­her ver­brau­chen wir noch mehr, als wir nach­ge­lie­fert be­kom­men. Und schließ­lich müs­sen wir die Zahl der Neu­in­fek­tio­nen auf ma­xi­mal ein paar Hun­dert Fäl­le pro Tag run­ter­be­kom­men, bes­ser noch deut­lich we­ni­ger.

Frage: Was pas­siert, wenn das nicht ge­lingt?

Lau­ter­bach: Dann ist es sehr frag­lich, dass wir die Maß­nah­men nach dem 20. April schon lo­ckern kön­nen.

Frage: Frau Su­ding, wie miss­trau­isch sind Sie, wenn der Bund und die Län­der jetzt so mas­siv in die Frei­heits­rech­te ein­grei­fen? Sind Sie be­sorgt, dass die Rech­te län­ger als nö­tig ein­ge­schränkt wer­den?

Su­ding: Miss­trau­en ist das fal­sche Wort. Aber es ist doch mei­ne Pflicht als Ab­ge­ord­ne­te und Staats­bür­ge­rin ein­zu­for­dern, dass die Auf­ga­ben, von de­nen Herr Lau­ter­bach spricht, end­lich er­le­digt wer­den. Und im­mer wie­der zu mah­nen, dass klar kom­mu­ni­ziert wird, war­um eine Maß­nah­me statt­fin­det, wann sie wie­der auf­ge­ho­ben wer­den könn­te oder ob sie ver­schärft wer­den muss. Eine sol­che De­bat­te soll­te in ei­ner of­fe­nen Ge­sell­schaft selbst­ver­ständ­lich sein. Wir sind doch nicht in Un­garn, wo ge­ra­de die De­mo­kra­tie zer­stört wird!

Frage: Wer­den, wenn das Gan­ze ir­gend­wann vor­bei ist, die Frei­heits­ein­schrän­kun­gen tat­säch­lich kom­plett ver­schwin­den?

Lau­ter­bach: Ja, die Frei­heits­rech­te, die wir ge­habt ha­ben, wer­den kom­plett wie­der zu­rück­kom­men.

Su­ding: Das müs­sen sie!

Lau­ter­bach: Was wir uns jetzt an Frei­heits­be­schrän­kun­gen er­lau­ben, ist al­les nur ge­lie­hen zur Be­kämp­fung der Pan­de­mie und zum Er­halt un­se­rer frei­en Ge­sell­schaft. Das gibt es al­les wie­der zu­rück. Es darf nichts an Frei­heits­rech­ten durch die Hin­ter­tür ge­stoh­len wer­den. Die Pan­de­mie wird un­se­re Ge­sell­schaft stark ver­än­dern – aber nicht in die­ser Hin­sicht.

Su­ding: Ich bin froh, dass wir in ei­nem Land mit ei­ner Re­gie­rung le­ben, die das Wohl der Men­schen im Blick hat. Aber den­noch müs­sen wir uns als selbst­be­wuss­te Ab­ge­ord­ne­te das Recht si­chern, not­falls ein­zu­grei­fen und grund­recht­s­ein­schrän­ken­de Maß­nah­men be­en­den zu kön­nen. Wir dür­fen nicht naiv sein. Man kann nicht aus­schlie­ßen, dass es in Zu­kunft eine Re­gie­rung ge­ben könn­te, die an­de­re Ab­sich­ten hat.

Frage: Wir ha­ben jetzt viel über Leid und Be­schrän­kun­gen ge­spro­chen. Aber liegt in der Kri­se auch eine Chan­ce?

Su­ding: Ich fin­de es un­glaub­lich be­frei­end zu se­hen, wie vie­le Men­schen in die­ser schwie­ri­gen Si­tua­ti­on er­fin­de­risch und krea­tiv wer­den. Ob es der Ham­bur­ger Un­ter­neh­mer ist, der ein Fes­ti­val ins Le­ben ruft, das »Kei­ner kommt« heißt. Wo die Ein­nah­men als Spen­de für Künst­ler und klei­ne Klubs und Büh­nen wei­ter­ge­reicht wer­den. Oder wenn ich die Leh­rer sehe, die in die­ser un­glaub­lich schwie­ri­gen Si­tua­ti­on den Un­ter­richt di­gi­tal wei­ter­füh­ren. Ich fin­de es in die­ser Hin­sicht sehr er­mu­ti­gend, was ge­ra­de in die­sem Land pas­siert. Und ich hof­fe, dass die­ser Spi­rit an­hal­ten wird, wenn wir die Kri­se ir­gend­wann über­stan­den ha­ben.

Lau­ter­bach: Ich glau­be, dass wir auf die nächs­ten Pan­de­mi­en bes­ser vor­be­rei­tet sein wer­den. Es wird mehr die­ser Pan­de­mi­en ge­ben. Das ist jetzt ein tra­gi­scher, rie­si­ger Warn­schuss. Wenn wir gut durch­kom­men, steht auch fest, dass es nicht der Po­pu­lis­mus ist, der so eine Kri­se löst, son­dern de­mo­kra­tisch ge­wähl­te Par­la­men­te und Re­gie­run­gen, die in der Lage sind, selbst die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen zu meis­tern.

Frage: Was ver­mis­sen Sie bei­de in die­ser Pha­se der Ein­schrän­kung per­sön­lich am meis­ten?

Su­ding: Wenn ich ehr­lich sein soll: nicht all­zu viel. Die po­li­ti­sche Ar­beit geht wei­ter. Und ich habe zwei Söh­ne, 16 und 17 Jah­re alt, die zwar schon sehr selbst­stän­dig sind, bei de­nen ich das Ho­me­schoo­ling aber trotz­dem be­auf­sich­ti­gen muss. Beim Gro­ßen steht jetzt das Ab­itur an. Ich bin da­mit so sehr be­schäf­tigt, dass so­wie­so kaum Zeit blie­be, Freun­de zu tref­fen. Noch geht es also, aber fra­gen Sie mich in drei Wo­chen noch mal.

Lau­ter­bach: Ich ver­mis­se die Aben­de mit gu­ten Freun­den beim Wein. Und ich ver­mis­se die Tisch­ten­nis­tur­nie­re mit mei­ner Toch­ter, die für den 1. FC Köln spielt. Die Sai­son muss­te ja lei­der un­ter­bro­chen wer­den. Da­bei hat­te ich als ihr mehr oder we­ni­ger er­folg­lo­ser Coach dem Sai­son­fi­na­le schon sehr ent­ge­gen­ge­fie­bert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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