RÜLKE-Interview: Wir brauchen wieder vollen Schulbetrieb

FDP-Präsidiumsmitglied, Sprecher der FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz und FDP-Spitzenkandidat zur Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg Hans-Ulrich Rülke gab der „Schwäbischen Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Katja Korf.

Frage: Herr Rülke, Sie ziehen für die FDP als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf. Wie viel Prozent der Wähler wollen Sie von den Liberalen überzeugen?

Rülke: Der Gnade des Herren soll man nach oben keine Grenzen setzen.

Frage: Und nach unten?

Rülke: So viel, dass wir gebraucht werden für eine Regierungsbildung.

Frage: Als einzige Bedingung für eine Regierungsbeteiligung hat die FDP, dass eine neue Wasserstoffstrategie verabschiedet werden soll. Aber es gibt doch schon eine Roadmap der jetzigen Landesregierung?

Rülke: Das ist kein Programm, sondern allenfalls ein Progrämmle. Die Grünen behaupten ja, Wasserstoff sei zu teuer um damit die Energiewende zu schaffen. Im Moment ist da etwas dran, aber das muss man ändern. Viele Experten sagen, ohne klimafreundlich produzierten Wasserstoff werden wir die Ziele der CO2-Einsparung bis 2050 nicht erreichen können. Aber wir müssen das schaffen, um den Klimawandel zu bremsen. Leider fokussieren sich die Grünen beim Thema Mobilität auf batterieelektrische Lösungen. Sie wollen nichts wissen von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen, wenn es um zukunftsweisende Technologien für den Individualverkehr geht.  Das sehen wir grundlegend anders.

Frage: Warum?

Rülke: Wir müssen Arbeitsplätze in Baden-Württemberg erhalten. Die technologische Kompetenz bei der batterieelektrischen Mobilität liegt vor allem in China und den USA. Wir sind führend bei der Entwicklung und Produktion von Verbrennungsmotoren. Wir sind gut beraten, den Verbrennungsmotor nicht kaputt zu machen und damit den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen. Mit Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen lassen sich diese Motoren klimafreundlich betreiben. Im Übrigen leistet die batterieelektrische Mobilität nicht den Beitrag zum Klimaschutz, den die Grünen behauten. Sie wollen diese Form der Mobilität durchdrücken. Dafür kehren sie wesentliche ökologische Nachteile unter den Teppich. Zum Beispiel die Rohstoffgewinnung, die Entsorgung und die Frage, ob der Strom für die Batterien klimaneutral erzeugt wurde. Die Verkehrspolitik der Grünen in diesem Punkt ist Selbstbetrug, aber kein Klimaschutz.

Frage: Welche anderen Inhalte sind Ihnen neben dem Wasserstoff wichtig?

Rülke: Auf jeden Fall die Bildungspolitik. Baden-Württemberg bewegt sich da seit einigen Jahren in allen Bildungsrankings nach unten. Das liegt daran, dass sich die letzten Landesregierungen nicht mit Qualität im Unterricht beschäftigt haben, sondern mit Schulstrukturen. Das muss ein Ende haben, wir müssen uns um besseren Unterricht kümmern. Außerdem bekennen wir uns klar zur beruflichen Bildung. Die Gemeinschaftsschul-Ideologie der Grünen und der SPD besagt: Alle Kinder gehen zur selben Schule, machen möglichst denselben Abschluss und studieren. Das halten wir für das falsche Signal. Richtiges Signal ist: Handwerker und Akademiker sind gleichwertig.

Frage: Hat die FDP weitere Forderungen?

Rülke: Wichtig für uns ist außerdem die Digitalisierung. In der Corona-Krise haben wir gesehen: Es ist schon richtig, dass der Bildungserfolg der Kinder auch am sozialen Status der Eltern hängt. Die Schlussfolgerung daraus lautet aber nicht: Gemeinschaftsschule für alle. Die Schlussfolgerung muss anders lauten: Wir müssen dafür sorgen, dass alle Kinder denselben Zugang zu Bildungsressourcen bekommen, Das hat viel mit Digitalisierung zu tun. Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Verlierer sind die Kinder, mit schlechten digitalen Endgeräten, in digital mangelhaft erschlossenen Regionen, deren Eltern sie nicht dabei unterstützen, die digital übermittelten Aufgaben zu bearbeiten. Deshalb sage ich: Wer mehr Bildungsgerechtigkeit in Baden-Württemberg will, der muss endlich aufhören, über Schulstrukturen zu diskutieren und seine Energie darauf verwenden, die digitale Infrastruktur unseres Bildungswesens zu verbessern.

Frage: Damit wäre das Problem mit Eltern, die sich nicht ausreichend kümmern, aber nicht gelöst…

Rülke: Damit hätten wir mal die Voraussetzung für Bildungsgerechtigkeit geschaffen. Die Schule kann nicht alles reparieren, was im Elternhaus schiefläuft. Deswegen gehört zur Bildungsgerechtigkeit mehr — zum Beispiel ein Ausbau der Schulsozialarbeit.

Frage: Wie muss es angesichts der Corona-Pandemie nach den Ferien in den Schulen weitergehen?

Rülke: Wir brauchen wieder den vollen Schulbetrieb. Dafür muss die Kultusministerin die Voraussetzungen schaffen. Der Unterricht muss wieder umfänglich erteilt werden, nicht nur in den Kernfächern, sondern auch in den Ergänzungsbereichen. Chor- und Orchesterangebote hat die Kultusministerin jetzt nur auf massiven Druck hin genehmigt. Es muss klar sein, dass jede Reduzierung des Bildungsangebotes an unseren Schulen Bildungschancen kostet. Wenn wir im Herbst, was keiner hofft, eine zweite Infektionswelle bekommen, muss man selbstverständlich reagieren. Dann aber gezielt lokal und regional. Wenn in Ravensburg eine Schule betroffen ist, muss nicht auch in Weingarten alles schließen.

Frage: Warum halten Sie das für verantwortbar?

Rülke:  Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir im Monat Juli drei Wochen lang keinen einzigen Todesfall durch Corona im Land hatten. Corona ist und bleibt eine gefährliche Erkrankung. Deshalb haben wir ja auch die einschneidenden Maßnahmen im März mitgetragen. Man musste damals unbedingt verhindern, dass wir Zustände wie in Nordfrankreich oder Italien bekommen – dass also das Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt, dass Ärzte entscheiden müssen, ob sie Patienten behandeln oder sie sterben lassen. Doch mittlerweile liegen die Dinge anders. Die Infektionszahlen sind niedrig, wir haben in Deutschland rund 9000 Corona-Tote. Das ist schlimm. Aber wir hatten 2018 in der Grippesaison 20000 Grippetote.

Frage: Hat die Landesregierung die Pandemie also nicht gut bewältigt?

Rülke: Zunächst durchaus, da haben wir ja, wie gesagt, alles mitgetragen. Man konnte einfach nicht absehen, wie sich die Situation entwickelt. Die Gesundheitsminister Spahn im Bund und Lucha im Land haben vor Ostern gewarnt, das Gesundheitswesen werde an seine Grenze stoßen. Dazu ist es zum Glück nicht gekommen. Deswegen ist es längst an der Zeit, neu abzuwägen. Der Gesundheitsschutz ist ein hohes Gut. Aber man muss die wirtschaftlichen und sozialen Kosten gegenrechnen. Und wenn durch die Einschränkungen Existenzen vernichtet werden, Firmeninhaber verzweifeln, wenn Familien wochenlang in engen Wohnungen sitzen und Kinder vermehrt Opfer von häuslicher Gewalt werden, muss man das mit in die Überlegungen einbeziehen. Es ist angesichts des Infektionsgeschehens nicht mehr angezeigt, die Wirtschaft zu behindern und die Freiheitsrechte drastisch einzuschränken.

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