LINDNER-Interview: Es kann zu einer Pleitewelle kommen

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Münchner Merkur“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Georg Anastasiadis, Mike Schier und Christian Deutschländer.

Frage: Herr Lindner, Sie sind zum Wahlkampfnach Bayern gekommen. Schütteln Sie noch Hände?

Lindner: Seit heute nicht mehr, weil die Gesundheitsbehörden Distanz empfehlen. Ich bin gesund. Aber jetzt muss jeder Verantwortung für Schwächere übernehmen. Ich liebe es, nach Auftritten und an Infoständen Selfies zu machen, mal jemanden in den Arm zu nehmen – aber gegenwärtig ist nicht die Zeit dafür.

Frage: Wie groß ist Ihre Sorge vor dem Virus?

Lindner: Ich bin kein Mediziner. Ich sehe aber, dass andere Länder teils sehr drastische Maßnahmen ergreifen. Die Warnung der Experten verschärft sich. Wir müssen alles tun, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Wenn massenhaft viele Menschen gleichzeitig in die Klinik müssen, kann das unser Gesundheitssystem überfordern.

Frage: Erst jetzt ist die Kanzlerin vor die Presse getreten. Zu spät?

Lindner: In einer akuten Krise möchte ich nicht kleinlich Zensuren verteilen. Meine Sorge ist, dass die Folgen noch unterschätzt werden. Die Große Koalition hat am Sonntag Maßnahmen zur Begrenzung der wirtschaftlichen Risiken beschlossen, die heute schon wieder als viel zu klein dimensioniert erscheinen.

Frage: Wie wollen Sie die deutsche Wirtschaft schützen?

Lindner: Eigentlich gesunden Firmen kann eine Pleitewelle drohen, wenn Lieferketten unterbrochen werden und Umsätze einbrechen. In drei zeitlichen Phasen muss ganz entschlossen gegengesteuert werden. Erstens muss man sofort die Zahlungsfähigkeit der Betriebe und Selbständigen sichern, indem der Staat zum Beispiel alle Steuervorauszahlungen zinsfrei aussetzt. Kurzarbeitergeld muss flexibler werden. Die Sozialbeiträge sollten nicht im Voraus, sondern wieder nachträglich überwiesen werden. Wir sollten die Frist für die Einreichung von Insolvenzanträgen von drei auf sechs Wochen verlängern. In einer zweiten Phase muss man prüfen, wie öffentliche Förderbanken durch Bürgschaften und Programme Restrukturierungskredite erleichtern können. Und drittens wird es spätestens im Frühsommer um die Stärkung des Wachstums gehen. Dazu gehören dann etwas die Senkung der Stromsteuer, die Abschaffung des Soli und Beschleunigung öffentlicher Investitionen.

Frage: Alles teuer. Stellen Sie damit die schwarze Null zur Disposition?

Lindner: Gegenwärtig muss man das noch nicht. Der Bundeshaushalt hat viele Milliarden Rücklagen. Die Spielräume des Staats müssen nun eingesetzt werden. Der Verzicht auf neue Staatsschulden ist in normalen Zeiten nötig und wichtig, um Generationengerechtigkeit zu sichern. Konsum, Subventionen und Wahlgeschenke auf Pump darf es nicht geben. In den Zeiten einer Krise darf die schwarze Null aber nicht zum Dogma werden, durch das wir die Handlungsfähigkeit des Staates fesseln und den Schutz wirtschaftlicher Interessen erschweren. Was nötig ist, muss getan werden. Wichtig ist nur, dass die Kreditaufnahme zur Krisenabwehr danach wieder getilgt wird.

Frage: Deutschland handelt bisher vor allem auf Ebene der Länder. Spahn mahnt, Söder macht.

Lindner: Ich beobachte, dass es innerhalb Deutschlands Unterschiede im Durchgriff gibt. Ich beobachte auch, dass andere europäische Länder wie etwa Österreich entschlossener handeln. Im Rückblick wird man sich anschauen müssen, was im Krisenfall funktioniert hat und was nicht. Jetzt aber geht’s darum, die Folgen dieser Krise für Gesundheit und Wohlstand möglichst klein zu halten.

Frage: Unsere Grenze für Veranstaltungsverbote ist bei 1000 – in Österreich 100. Sind die weiser als wir?

Lindner: Möglicherweise wird man erleben, dass die Personengrenze gesenkt wird. Die Kollegen in Österreich beschließen das nicht frei von medizinischem Fachverstand.

Frage: Blicken wir auf die Wahl: Nach Jamaika, nach Thüringen hätten Sie den potenziellen Wählern gerade viel zu erklären. Jetzt fallen die Infostände und Auftritte aus. Doof, oder?

Lindner: Ja, es ist bedauerlich. Mir macht Wahlkampf Freude. Aber die Gesundheit der Bürger geht vor. Hinsichtlich Thüringen haben wir schon vor Wochen Klarheit geschaffen. Die FDP hat die Verschlagenheit der AfD unterschätzt. Selbst Ministerpräsident Ramelow sagt, mit Thomas Kemmerich sei ein aufrechter Demokrat in die Falle der AfD gegangen. Aus dem Fiasko von Thüringen, das wir innerhalb eines Tages korrigiert haben, wollen manche parteipolitischen Profit schlagen. Es ist aber ganz klar: Die FDP ist eine Partei der Liberalität, im schärfsten Kontrast zur AfD. Wir schauen auf den Menschen als Individuum, die AfD nur auf das Volk als biologische Abstammungsgemeinschaft.

Frage: Was denken Sie, wenn Sie selbst in die rechte Ecke gestellt werden?

Lindner: Wenn anständige Menschen anderen anständigen Menschen den Anstand absprechen, dann hat die AfD genau ihr Ziel erreicht – nämlich die Parteien des demokratischen Zentrums zu entzweien. Manche wollen das politische Koordinatensystem nicht verschieben. Dem widersetzen wir uns. Nicht alles, was nicht links und nicht grün ist, ist automatisch undemokratisch und rechtsextrem.

 

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