LINDNER-Interview: Anhänger des starken Staates

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Behörden Spiegel“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte R. Uwe Proll:

Frage: Herr Lindner, was halten Sie eigentlich von Beamten und Beamtinnen?

Lindner: Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren des Staates. Gute Beamtinnen und Beamte können mitunter schlechte Gesetze kompensieren. Dies haben wir gerade im vergangenen Jahr bei der Flüchtlingskrise auch wiedergesehen. Die katastrophalen Fehlentscheidungen der Politik wurden von Beamtinnen und Beamten auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen aufgefangen. Dank der Beamtenschaft sind wir haarscharf am staatlichen Organisationsversagen vorbeigeschrammt.

Frage: Momentan sprudeln die Steuereinnahmen. Das weckt Lust, Mehrausgaben des Staates zu beschließen. Auch der Personalkörper soll drastisch erweitert werden. Man kann sicherlich von 100.000 Neueinstellungen ausgehen. Verschiebt sich da das Gewicht zwischen Zivilgesellschaft und starkem Staat zu Letzterem?

Lindner: Ich bin ein Anhänger der Idee des starken Staates, der in seinen Kernfeldern durch gute Ergebnisse überzeugt. Dazu zählen Polizei und Justiz, gewiss auch das Bildungswesen und die Garantie unserer äußeren Sicherheit. Das Gegenteil ist der ausufernde Staat, der sich überall einmischt und unter der mangelnden Fokussierung leidet – das ist leider dichter an der Realität. Denken Sie an die übermäßige Bürokratisierung, wie wir sie mitunter in der staatlichen Umweltverwaltung etwa in NRW erleben. Oder auch die 2.000 Neuanstellungen beim Zoll für die Kontrolle der Mindestlohn-Dokumentationsverordnung. Das halte ich persönlich für entbehrlich, weil wir an anderen Stellen sicherlich einen dringenderen Personalbedarf haben. Das gilt insbesondere für den Sicherheitsbereich. Wir brauchen mehr Polizei-Beamte. Um die Sicherheit weiter zu steigern und um die massiven Überstunden in den Griff zu bekommen. Die Polizei muss auch als Arbeitgeber attraktiver werden. Da müssen wir die Laufbahn meiner Überzeugung nach auch wieder für gute Realschüler öffnen. Ansonsten werden wir nicht alle Stellen dort besetzen können.

Frage: Es gibt einige Bundesländer, die nach wie vor eine dreigliedrige Laufbahn für die Polizei vorsehen und damit einen breiteren Bewerberkorridor ansprechen können. Die zweigliedrige Laufbahn, also der Beginn der Karriere eines Polizeibeamten als Kommissar, steht für Sie dabei zur Debatte?

Lindner: Wir sollten an der zweigeteilten Laufbahn festhalten, so wie das auch in Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Dennoch sollte hier der Eintritt für gute Realschüler mit Möglichkeiten des Aufstiegs Schritt für Schritt möglich sein.

Frage: In Berlin wird aufgrund der mangelnden Bewerberlage die Eingangsvoraussetzung für den Polizeidienst gesenkt. Sprachliche Kompetenzen werden hintangestellt. Aber es ist doch gerade die Sprache, die die wichtigste Waffe eines Polizeibeamten in der Kommunikation mit dem Bürger ist, oder?

Lindner: Ich bin strikt dagegen, dass Eingangsvoraussetzungen gesenkt werden. Der Öffentliche Dienst ist attraktiv und wir müssen mit Respekt über ihn sprechen und die Vorteile und Stärken betonen. Sicherlich hat es in den letzten Jahren in vielen Ländern Sparmaßnahmen gegeben, die an der falschen Stelle angesetzt haben. Hier insbesondere im Land Nordrhein-Westfalen, wo Beamtinnen und Beamte keine angemessene Anpassung ihrer Bezüge erfahren haben. Ab der Besoldungsgruppe A13 galt man im rotgrün regierten Land bereits als Besserverdiener, der noch nicht mal einen Inflationsausgleich verdient hat.

Frage: Sind föderale Strukturen in Anbetracht der terroristischen Herausforderungen eigentlich noch zeitgemäß?

Lindner: Wir müssen die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz stärken. Außerdem muss es mehrere länderübergreifende, nach regionalen Gesichtspunkten organisierte Zusammenschlüsse geben. Das würde auch den Abstimmungsbedarf minimieren. Das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum hingegen halte ich für dysfunktional und legitimatorisch für problematisch. Und wie wir es erleben, ist auch die politische Verantwortung unklar. Deshalb sollte dieses Provisorium in seiner jetzigen Form nicht fortgesetzt werden.

Frage: Die Politik fordert von der privaten Wirtschaft über eine Quotenregelung mehr Teilhabe von Frauen in Führungspositionen Schaut man sich auf Bundes- und Landesebene die Besetzung der Abteilungsleiterposten an, stellt man schnell fest, dass Frauen hier unterrepräsentiert sind. Jetzt hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen den Mut aufgebracht und ein Gesetz verabschiedet, das Frauen bei der Besetzung von Führungspositionen ausdrücklich befürwortet. Das halten Sie für falsch?

Lindner: Die Landesregierung hat hier ohne Not die Grundsätze des Berufsbeamtentums mit Füßen getreten. Denn dazu gehört nun einmal auch das Leistungsprinzip – und das Gesetzesvorhaben der NRW-Landesregierung verstößt dagegen. Hier wird auch unter bestimmten Umständen eine schlechter bewertete Frau einem männlichen Bewerber vorgezogen. Der Grund sind offensichtlich befürchtete strukturelle Benachteiligungen von Frauen im Öffentlichen Dienst auch aus familienpolitischen Erwägungen heraus. Wir halten diese Herangehensweise für falsch und schlagen folgendes Gegenmodell vor: Die Bewertung im Öffentlichen Dienst muss modernisiert werden. Teilzeitarbeit und die familienbedingte Abwesenheit aus dem Beruf müssen anders in die Bewertung einfließen und dürfen nicht zu einer negativen Bewertung führen. Darüber hinaus sollten die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit nicht angetastet werden.

Frage: Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass nur eine Gewerkschaft, die über die Mehrheit ihrer Mitglieder in einem auch öffentlichen Betrieb verfügt, tariffähig ist. In Hamburg hat nun die DAK erklärt, nicht mehr mit dem Deutschen Beamtenbund reden zu wollen, sondern nur noch mit der dort vorherrschenden Gewerkschaft Verdi. Das würde die Gewerkschaftsvielfalt stark einschränken. Wie stehen Sie dazu?

Lindner: Die Koalitionsfreiheit ist eines der wesentlichen Grundrechte für unsere Wirtschaftsordnung. Dennoch bin ich oft darüber empört, wie Spartengewerkschaften die Flughäfen lahmlegen und auch andere Teile der Mobilität in Geiselhaft nehmen. Jede Freiheit ist auch an den verantwortlichen Umgang mit ihr gebunden. Nicht immer ist das eine Frage des Gesetzgebers.

Frage: Um die Gewerkschaftsvielfalt zu erhalten, haben einige Bundesländer Funktionäre kleinerer Gewerkschaften auf Kosten des Landesetats freigestellt. Halten Sie das für richtig?

Lindner: Das muss man sehr differenziert sehen und von der derzeit öffentlichen Aufregung loslösen. Wenn im Personalvertretungsrecht das Prinzip „The Winner takes it all“ gilt, kann man darüber nachdenken. Denn dies bedeutet ja, dass kleinere Gewerkschaften wie zum Beispiel die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) keine Freistellungen erhalten. Dies wäre aber durchaus sinnvoll, um deren Beteiligung am Meinungsprozess zu garantieren. Daher rege ich eine Debatte über das Personalvertretungsrecht an. Fraglich ist, ob künftig auch kleinere Gewerkschaften anhand ihres prozentualen Anteils am Gesamtergebnis der Personalratswahlen mit Freistellungen berücksichtigt werden.

Frage: Sie treten derzeit als Listenführer für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an. Sie haben bereits erklärt, dass Sie danach unmittelbar als Listenführer für die Bundestagswahl kandidieren werden. Ist das gegenüber dem Wähler in Nordrhein-Westfalen zu rechtfertigen?

Lindner: Wir wollen in Nordrhein-Westfalen einen politischen Wechsel erreichen. Ich will während der Zeit der Regierungsbildung hier voll handlungsfähig sein und mein Mandat als Landtagsabgeordneter ausüben. Außerdem können alle, die ein Comeback der FDP wünschen, bei der Landtagswahl bereits ein Signal in die Republik senden. Völlig klar ist aber, dass ich ab Herbst meine politische Arbeit im Bundestag fortsetzen will. Darüber gibt es kein Wackeln. Und mein Wort gilt selbst für den Fall, dass die FDP in Nordrhein- Westfalen Teil einer Regierung wäre. Kein Ministeramt der Welt könnte mich umstimmen.

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