LAMBSDORFF-Interview: TV-Duell Macron und Le Pen war keine Sternstunde

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab dem „SWR2“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Florian Rudolph:

Frage: Wie groß sind Ihre Sorgen angesichts der Tatsache, dass am kommenden Sonntag die Kandidatin einer rechtsextremen und offen EU-feindlichen Partei nach dem Präsidentenamt in Frankreich greift?

Lambsdorff: Also, das muss man, glaube ich, auf zweierlei Art beantworten. Meine Sorge ist nicht besonders groß, dass sie gewinnt. Die französischen Umfragen bei der ersten Runde waren hochgradig präzise und die sagen alle einen deutlichen Sieg von Emmanuel Macron voraus. Also insofern bin ich da an der Stelle jetzt relativ gelassen. Ich glaube, Macron wird das gewinnen. Er gilt ja auch als Sieger des Duells gestern. Aber auf der anderen Seite und das ist der zweite Punkt, muss man sich schon fragen, warum über 30 Prozent der Franzosen einer Frau wie Marine Le Pen hinterherlaufen, ihr ihre Stimme geben, insbesondere auf der Linken viele sich nicht durchringen können, den sozialliberalen Macron zu unterstützen, sondern stattdessen entweder sich enthalten oder gar für Le Pen stimmen wollen. Das muss einem schon zu denken geben.

Frage: Muss man vielleicht aber auch den Eindruck haben, die Franzosen bleiben ein bisschen zu gelassen, vielleicht zu cool? Es ist ja kein Vergleich zu 2002, als Chirac gegen den Vater Jean-Marie Le Pen antrat und damals Millionen auf die Straße gingen.

Lambsdorff: Das ist richtig. Man hat sich an das Phänomen Le Pen gewöhnt. Das muss man einfach sagen. Die Familie Le Pen ist inzwischen ja seit Jahrzehnten jetzt Teil der französischen, politischen Landschaft. Marine Le Pen hat sich zum Ziel gesetzt, die politische Bewegung, den Front National, also die Nationale Front, man kann es ja auch auf Deutsch sagen, dann wird es vielleicht ein bisschen deutlich wie das Ganze klingt, aber sie hat sich zum Ziel gesetzt, diese politische Bewegung zu entgiften. Also von den antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Behauptungen ihres Vaters zu befreien, das ist ihr nur halbwegs gelungen. Hinter dieser Kulisse der Entgiftung, da findet sich doch noch sehr viel altes, rassistisches Denken mit Sympathien für ganz dunkle Phasen auch der französischen Geschichte.

Frage: Gestern haben sich die beiden Marine Le Pen und Macron ihr einziges, ein heftiges TV-Duell zur Stichwahl geliefert. Was ist denn Ihr Eindruck?

Lambsdorff: Also mein Eindruck ist, dass das ein Duell war, das man sich auch hätte sparen können. Beide sind im Grunde dem gerecht geworden, was zu erwarten war. Das Los hat hier entschieden, dass Marine Le Pen als Erste reden darf und das führte dann dazu, dass sie sofort und das ist ihre Strategie auch im Europäischen Parlament, wo ich sie ja öfter erlebe, dass sie sofort ihren Gegner persönlich angegriffen hat. Versucht ihn schlecht zu reden, in zu diskreditieren, ihn mit Dingen zu verbinden, die unpopulär sind, als Berater von François Hollande, als Wirtschaftsminister, als Banker und so weiter und so weiter. Es war für Macron nicht sehr leicht, dann sozusagen auf einem Niveau zu bleiben, wo man über Sachthemen redete, da er ständig quasi als Person angegriffen wurde. Also unterm Strich war das keine Sternstunde der französischen Demokratie.

Frage: Nun gehen Sie ja und die Umfragen bestätigen das ja, davon aus, dass Macron am Sonntag dann doch die Wahl gewinnt. Was würden Sie sich denn von einem Macron geführten Frankreich für die EU versprechen?

Lambsdorff: Dass Frankreich wieder stark wird. Ich glaube, das ist das Entscheidende. Macron vertritt, und deswegen ist ja dieser Begriff „Sozialliberaler“ entstanden, in der Wirtschaftspolitik Themen, die sehr ähnlich denen sind, für die wir hier als Liberale in Deutschland auch streiten. Also einen schlanken Staat, solide, öffentliche Finanzen, die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, die Verbesserung des Investitionsklimas, Investitionen in die digitale Infrastruktur. Also Macron, man hat eine ganze Reihe von Punkten, mit der Frankreich wirtschaftlicher wieder sozusagen erstarken kann. Und aus deutscher Sicht ist wichtig, dass wir in Europa ein starkes Frankreich an unserer Seite haben. Alle schauen sonst immer auf Deutschland und wir müssen uns sozusagen für Dinge rechtfertigen, die vielleicht gar nicht im deutschen Interesse sind, sondern europäisch insgesamt entschieden worden sind. Aber wenn Deutschland das einzige, größte, starke Land in Europa ist, ist das keine gute Situation. Das heißt für Macron ist, glaube ich, der erste Punkt der Agenda, Frankreich wieder stark zu machen und der zweite Punkt ist dann, gemeinsam mit Deutschland, die Europäische Union nach vorne zu bringen, weil in großen Themen, die wir alle kennen: Sicherung unserer Außengrenzen, gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Stabilisierung des Euro und Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Frage: Während der Frexit also eher unwahrscheinlich ist, ist der Brexit ganz real. Die britische Premierministerin May wirft der EU vor, mit Drohungen Einfluss auf die bevorstehenden Unterhauswahlen auszuüben. Ist da was dran an diesem Vorwurf?

Lambsdorff: Da ist nichts dran. Sondern es handelt sich dabei um das, was Frau May gerne tut, Brüssel für alles Mögliche im Moment zu beschuldigen. Sie weiß genau, dass die Verhandlungen über den Brexit keineswegs so leicht und locker laufen werden, wie Boris Johnson und andere Brexit-Befürworter das behauptet haben. Sondern das wird ein ganz schmerzhafter, schwieriger Prozess, für beide Seiten übrigens. Es geht nicht darum, dass wir irgendetwas gewinnen könnten in dem Prozess. Es geht darum, den Schaden zu minimieren. Aber in diesem Zusammenhang ist ja jetzt gestern vorgestellt worden, die Leitlinie für die Verhandlungen und da drin stehen einige Dinge, die Frau May nicht gefallen und deswegen behauptet sie jetzt, wir wollten den Wahlkampf beeinflussen von Brüssel aus. Wenn von Brüssel aus jemand beeinflussen wollte, dann höchstens in dem Sinne, dass Frau May möglichst gewinnen möge. Sie hat bisher 11 Stimmen Mehrheit nur im Unterhaus, ist sozusagen erpressbar durch die radikalen Europafeindlichen bei den Tories. Sie wird wahrscheinlich ein gutes Wahlergebnis bekommen und dann mehr gemäßigte Konservative als Unterstützer haben. Das gibt ihr die Flexibilität in den Verhandlungen, die wir brauchen. Also wenn überhaupt jemand etwas beeinflussen wollen würde, dann in ihrem Sinne und schon gar nicht gegen sie.

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