LAMBSDORFF-Interview: Juncker ist auf Deutschland zugegangen

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab „FAZ.net“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Yves Bellinghausen:

Frage: Graf Lambsdorff, wie hat Ihnen die Rede von Herrn Juncker gefallen?

Lambsdorff: Im Großen und Ganzen sehr gut. Ich fand es richtig, dass er mehr Zusammenarbeit in der Inneren Sicherheit und bei der Terrorabwehr gefordert hat und da alle mit ins Boot holen will. Dass er die Verdienste Italiens in der Flüchtlingskrise hervorgehoben hat, dass er Vorschläge in Richtung Osten gemacht hat – ihm wurde ja ein gewisses Desinteresse für Osteuropa nachgesagt.

Frage: Meinen Sie mit den Vorschlägen die EU-weite Euroeinführung, die vor allem osteuropäische Staaten betrifft?

Lambsdorff: Auch, aber Juncker hat auch angesprochen, dass beispielsweise Fertiggerichte oder Nutella in Osteuropa von schlechterer Qualität sind als im Westen. Ganz allgemein hat er daran appelliert, den Graben zwischen Ost und West zu überwinden.

Frage: Hängen geblieben ist aber vor allem die Erweiterung der Eurozone.

Lambsdorff: In Deutschland, ja, das stimmt. Der Rest Europas hat ganz andere Schwerpunkte in der Rede gesehen.

Frage: Nämlich?

Lambsdorff: Die Osteuropäer haben aufgegriffen, dass er ihnen die Hand ausgestreckt hat, und die Franzosen, sprechen Sie Französisch?

Frage: Non.

Lambsdorff: Dann übersetze ich es Ihnen, ich habe hier gerade den Figaro offen, der titelt: „Juncker setzt sich von Macron ab“. Die Ablehnung des Eurozonenbudgets ist die wichtigste Nachricht in Paris. Aber die finden noch ganz andere Themen interessant als die Deutschen, zum Beispiel, dass Juncker mehr investieren will.

Frage: Warum ist Juncker so zurückhaltend?

Lambsdorff: Na, weil er die Brücke zwischen Paris und Berlin ist.

Frage: Könnte es auch etwas mit der Bundestagswahl in elf Tagen zu tun haben?

Lambsdorff: Klar, mit seiner Rede hat er ein Zugeständnis an die deutschen Befindlichkeiten gemacht. Doch unabhängig davon, wann er es sagt, ist er daran gebunden. Er hat gesagt, dass es kein separates Euro-Parlament und auch kein separates Euro-Budget geben soll. Das kann er jetzt nicht mehr einfach zurücknehmen.

Frage: Für die einen mag das zurückhaltend klingen. Dass jedes EU-Land den Euro übernehmen soll, kann aber auch die AfD stärken, zu deren Gründungsmythos Euro-Skepsis gehört.

Lambsdorff: Da muss man dann aber auch ganz klar sagen, dass diese Aussage eigentlich nichts Neues beinhaltet. Die meisten Länder sind durch den EU-Vertrag ohnehin verpflichtet, den Euro anzunehmen, auch wenn sie es gerade noch herauszögern. Er hat die Länder grade eigentlich nur daran erinnert, dass sie diese Verpflichtung haben. Zwingen könnte er ohnehin niemanden.

Frage: Vor allem Orban nicht, der neuerdings auch EuGH-Urteile ignoriert. Glauben Sie, der hat Lust auf Junckers Pläne?

Lambsdorff: Das ist ein sehr spannender Punkt. In Junckers Rede ging es wie gesagt nicht nur um den Euro. Juncker hat in seiner Rede auch die Osteuropäer mit ins Boot holen wollen, auch politisch und kulturell. Wenn Orban oder andere osteuropäische Staatsoberhäupter jetzt sagen: Das passt uns nicht, dann kann sich keiner beschweren, wenn wir bei der nächsten Rede zur Lage der Union etwas vom „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ hören.

Frage: In der Flüchtlingspolitik scheut sich Orban nicht, auf Konfrontation zu gehen.

Lambsdorff: Das stimmt, da bleibt er resolut. Aber Währungspolitik ist ein anderes Feld. Er kann ja auch nicht alle Felder der europäischen Zusammenarbeit über den Haufen werfen. Man muss sich auch immer wieder daran erinnern, dass er selber einen EU-Austritt Ungarns strikt ablehnt.

Frage: Flüchtlinge nein, Euro vielleicht? Machen wir da nicht wieder den gleichen Fehler, wie bei den Maastrichter Verträgen, wenn wir die Wirtschaftsunion nicht an eine Politische koppeln?

Lambsdorff: Eine politische Vertiefung hat er doch vorgeschlagen. Eine Art Finanzminister zum Beispiel oder sein eigenes Amt mit dem des Ratspräsidenten zu verschmelzen.

Frage: Macron ging da aber deutlich weiter, als er beispielsweise ein eigenes Euro-Parlament mit Budget gefordert hat.

Lambsdorff: Ja sicher, aber da ist Juncker auf Deutschland zugegangen, indem er beides abgelehnt hat. Ich denke, da könnte man auch eine gute Zwischenlösung finden. Ein eigenes Euro-Parlament brauchen wir nicht. Die EU-Parlamentarier, die Euro-Länder vertreten, könnten sich zum Beispiel gemeinsam treffen und die Angelegenheiten der Eurozone beraten.

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