KUBICKI-Interview: Neue SPD-Chefs überstehen nicht mal das nächste halbe Jahr

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Peter.

Frage: Herr Kubicki, in diesen Tagen geht ein Jahrzehnt zu Ende. Das Land, die Gesellschaft haben sich in dieser Zeit verändert. Was ist der größte Unterschied, den Sie in ihrer Arbeit als Politiker spüren?

Kubicki: In Deutschland begeben wir uns in eine Phase des immer stärkeren Rigorismus und Alarmismus. Themen werden mit einer unglaublichen Geschwindigkeit gehypt. Gleichzeitig wird immer weniger darüber nachgedacht, wie man Konflikte friedlich und verträglich lösen kann. Viele Menschen stehen in der Debatte über Klima oder Migration denen, die es anders sehen als Sie, unversöhnlich gegenüber. Wenn alle nur auf der eigenen Haltung beharren, ist das schwierig für die Gesamtgesellschaft.

Frage: Angela Merkel ist seit 2005 Bundeskanzlerin, eine Vertreterin eines sehr nüchternen Politikstils. Kommt dieses Modell jetzt an ein Ende?

Kubicki: Kanzlerin Merkel weicht Konflikten aus, statt sie auch mal anzunehmen. Sie stellt sich erst an die Spitze der Bewegung, wenn sie weiß, wohin die Bewegung läuft. Lieber nichts sagen, als etwas Falsches zu sagen — das ist in einer Welt, in der Menschen auch nach Orientierung suchen, zu wenig.

Frage: Die SPD ist in Umfragen tief gestürzt – auch die Union tut sich schwer zu alter Größe zu kommen. Ist das Konzept der Volkpartei, wie wir es mal kannten, am Ende?

Kubicki: Die alte Volkspartei ist tot. Auch das hat mit dem gewachsenen Rigorismus zu tun, also damit, dass sich Leute nur mit denen an einen Tisch setzen wollen, die es exakt so sehen, wie sie selbst. Bei der SPD kommt hinzu, dass sie selbst keinen Schimmer hat, wo sie hinwill.

Frage: Was trauen Sie der neuen SPD-Führung zu?

Kubicki: Die SPD hat mit ihren neuen Vorsitzenden ein Riesenproblem. Wenn Erfahrungs- und Ahnungslosigkeit zum Kriterium dafür werden, dass man Parteichef wird, ist eine Partei am Ende. Norbert Walter-Borjans hat als Landesfinanzminister mit verfassungswidrigen Haushalten Rechtsgeschichte geschrieben. Bei Saskia Esken hätte ich mir nie vorstellen können, dass man ihr mal mehr Verantwortung überträgt als die stellvertretende Leitung eines SPD-Arbeitskreises.

Frage: Das klingt vernichtend.

Kubicki: Ich bin sicher, dass beide das nächste halbe Jahr als SPD-Chefs nicht überleben werden. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sind, wie Trump in den USA, durch das Ausspielen der Anti-Establishment-Karte ins Amt gespült worden. Sie haben bei ihren Zuhörern eine gewisse Erwartung auf das Ende der großen Koalition zumindest geweckt. Diese Hoffnungen enttäuschen sie nun. Gleichzeitig werden sozialdemokratische Mandatsträger bis in die Kommunen hinein um ihre Ämter zittern: So tief wird der Sturz der SPD sein.

Frage: Warum profitiert die FDP nicht vom Niedergang der Volksparteien?

Kubicki: Auch die viel gepriesenen Grünen werden wieder in der Realität ankommen. Sie profitieren momentan nur von der Schwäche der SPD. Wenn die Union bei 13 Prozent läge, hätte die FDP auch Umfragewerte von 20 Prozent.

Frage: Die Amerikaner haben Trump zum Präsidenten gewählt, die Briten haben für den Brexit gestimmt. Sind die Deutschen mit gerade mal 12,6 Prozent für die AfD in Wirklichkeit im internationalen Vergleich besonders vernünftig?

Kubicki: In anderen Ländern sind die Rechtspopulisten deutlich stärker als in Deutschland. Die AfD ist an ihrer oberen Grenze angekommen. Mehr als 15 Prozent bundesweit wird sie nicht schaffen.

Frage: Wie hat sich das Parlament durch die AfD verändert und wie wird es sich weiter verändern?

Kubicki: Die AfD ist nicht im Bundestag, um parlamentarisch mitzuwirken. Sie will die Institution lächerlich machen und beschädigen. Die Art, wie die AfD auftritt, erinnert mich an die Endzeit der Weimarer Republik. Der Unterschied ist, dass unsere Demokratie heute so gefestigt ist, dass sie ihre Feinde aushält. Empörend ist die Respektlosigkeit der AfD gegenüber Frauen im Parlament. Fragen Sie mal Claudia Roth, wie viel ungehöriges Verhalten sie erlebt.

Frage: Wie stark haben das Internet und die sozialen Netzwerke die Arbeit von Politikern verändert?

Kubicki: Jüngere Abgeordnete sind ständig in den sozialen Medien unterwegs. Ich warne meine Kollegen immer davor, dass sie das, was sie dort erleben, mit der normalen Welt verwechseln. Es reicht nicht, sich seine Selbstbestätigung ausschließlich aus einer kleinen Blase zu ziehen, die ähnlich tickt wie man selbst. Die Realität besteht nicht nur aus Twitter.

Frage: Gerade in den sozialen Netzwerken schlägt Politikern oft ungefilterter Hass entgegen. Gab es den schon immer — oder hat sich hier etwas zum Negativen verändert?

Kubicki: Die Möglichkeiten zur Verbreitung haben sich dramatisch geändert. Früher mussten die Menschen einen Brief schreiben, der zunächst einmal nur den Empfänger erreichte. Jetzt können Schmähungen und Beleidigungen von jedem Menschen in der ganzen Welt gelesen werden. Das hat natürlich eine ganz andere Wucht.

Frage: Hat generell der Respekt gegenüber Politik und Amtsträgern nachgelassen? Fürchten Sie, dass das in kommenden Jahren noch schlimmer wird?

Kubicki: Ich glaube nicht, dass das Ansehen von Politikern je wesentlich besser war. Die Ausnahme sind Krisensituationen. Helmut Schmidt war nach der Geiselbefreiung in Mogadischu der große Held. Ansonsten wurde auch er erst nach Ende seiner Amtszeit verehrt. Klar ist: Die Achtung vor Institutionen generell hat abgenommen. Auch Polizeibeamte und Rettungskräfte müssen sich in Deutschland oft beschimpfen lassen. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Frage: Wer ist der talentierteste Nachwuchspolitiker außerhalb der FDP, von dem wir noch viel hören werden?

Kubicki: Kevin Kühnert hat auf dem SPD-Parteitag eine brillante Rede gehalten. Er hat sich strategisch und taktisch gut positioniert. In Talkshows argumentiert er stringent und in sich schlüssig, auch wenn ich inhaltlich überhaupt nicht mit ihm übereinstimme. Er lässt sich dort auch nicht aus der Ruhe bringen. Von ihm werden wir noch viel hören, wenn die SPD das nächste Jahr überlebt. Es spricht alles dafür, dass er mal SPD-Vorsitzender wird. Für ihn selbst wäre es besser, wenn er nicht zu früh ran muss.

Frage: Fürchten Sie, dass Sie der letzte Macho in der Spitzenpolitik sein könnten? Und: Wäre das schlimm?

Kubicki: Niemand muss so sein wie ich. Am Ende entscheiden immer die Wähler selbst, wem sie vertrauen. Aber ich glaube schon, dass sich viele Menschen von politischen Entscheidungsträgern wieder etwas mehr Führung wünschen. Das verlangt von Politikern auch Durchsetzungsstärke und ein robustes Selbstbewusstsein.

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