KEMMERICH-Interview: Wir sind das Zünglein an der Waage

Der FDP-Spitzenkandidat zur Landtagswahl in Thüringen, Thomas L. Kemmerich, gab der „Thüringer Allgemeinen“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Martin Debes und Elmar Otto.

Frage: Herr Kemmerich, nach den Wahlschlappen in Brandenburg und Sachsen haben Sie ihrem Bundesvorsitzenden Christian Lindner einen bösen Brief geschrieben und gefordert: Wir müssen „klare Kante“ zeigen. Klingt gut, aber welche klare Kante meinen Sie?

Kemmerich: Ich habe konkret gefordert, dass wir uns auf die Kernthemen wieder fixieren, konzentrieren, die uns im Bundestagswahlkampf beispielsweise stark gemacht haben. Bildung, Wirtschaft, Digitalisierung, moderne Infrastruktur. Und dass wir bei diesen Kernthemen auch klare Kante zeigen und uns eben nicht argumentativ in sowohl als auch ergehen, sondern klar sagen: Dafür stehen wir. Das haben wir vor. Und das werden wir dann, auch wenn wir Regierungsverantwortung in Thüringen beispielsweise haben, umsetzen oder an der Umsetzung arbeiten und uns nicht vom Weg abbringen lassen.

Frage: Wofür steht denn Thomas Kemmerich bei dem Plan von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ein Viertel der aus Seenot geretteten Flüchtlinge aufzunehmen?

Kemmerich: Es geht mir um etwas anderes. Es geht mir darum, diejenigen, die vor Afrika in Seenot geraten: Dass es natürlich eine Pflicht, eine menschliche Pflicht ist, eine Pflicht der Europäischen Gemeinschaft, zu organisieren, dass dort keiner umkommt. Wir sehen das so, ich sehe das so, dass dann aber die Flüchtlinge, nachdem sie aus Seenot gerettet worden, zurück an den Ausgangspunkt gebracht werden. Wir erleben, dass mit Frau Rackete, drei Wochen vor den Gewässern Italiens gecruiset wird, bis eine Andock-Erlaubnis gegeben wird. Das halte ich für falsch. Zurück an den Ursprungsort, im europäischen Kontext, und dann ist es vor allem Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft in Afrika vor Ort zu organisieren zu gewährleisten, dass dort eine menschenwürdige Unterkunft existiert, ein menschenwürdiges Leben möglich ist und dass dort die Asylanträge gestellt werden können, damit wir vor Ort in Afrika entscheiden können, wer ist wirklich berechtigt nach Europa zu kommen.

Frage: Kommen wir zu den Umfragewerten der FDP: Die Erfahrung lehrt, die FDP kommt bei Landtagswahlen im Osten auf die gute Hälfte der Bundesergebnisse. In Thüringen sehen Sie die Umfragen bei fünf Prozent. Haben Sie Hoffnung?

Kemmerich: Ich habe nicht nur Hoffnung, sondern die Überzeugung, dass wir sieben, acht Prozent als Wahlergebnis einfahren werden können. Ich will Ihnen das auch kurz begründen. Erstens ist die Wahl in Thüringen nicht mit den Wahlen in Sachsen und Brandenburg vergleichbar aus vielerlei Gründen, die jetzt den Rahmen sprengen. […] Wir sind das Zünglein an der Waage für die Fortsetzung der bisherigen Koalition oder der Bildung einer neuen Koalition. Und das ist, was ich auf der Straßen höre von den Thüringer Mitbürgern, dass ihnen das sehr bewusst ist. Das andere ist, dass, ich denke, wir flächendeckend mit hoch motivierten Mitgliedern der Parteien und Unterstützern auch in der Lage sind, überall unsere Botschaften zu platzieren. […]

Frage: Rot-Rot-Grün geht nicht mit der FDP. Gilt das auch für eine Koalition mit der AfD?

Kemmerich: Ja, absolut. Insbesondere mit der Funktionärsführung dieser AfD in Thüringen ist keine Zusammenarbeit denkbar. Aber es gibt mir Gelegenheit zu betonen, dass wir sehr wohl mit denjenigen im Gespräch bleiben und kommen wollen, die zurzeit darüber nachdenken, bei der AfD ihr Kreuzchen zu machen. Die sind zumindest zum großen Teil, ich sag mal, dem demokratischen Spektrum nicht entronnen. Und es ist für uns ganz wichtig, deren Sorgen, Nöte, vielleicht auch Frust, mal aufzunehmen. Mit ihnen zu sprechen und zu sagen, was bewegt sich denn dort dein Kreuzchen zu machen. Mach’s doch lieber bei der FDP oder einer anderen Alternative. Wir sehen uns als die Alternative für wütende Bürger. Weil wir sagen, gerade in den Themen, die Dich aufregen, diese Abgehängtheit im Land, das nicht mehr mögliche Karriereversprechen können auch wir lösen, in dem wir Bildung aufs Land bekommen, den Mittelstand auf dem Land halten und uns einfach dafür einsetzen, dass der Verkehrsverbund wächst über ganz Thüringen. Und ich denke, dass da noch eine Menge zu machen ist.

Frage: Weil Sie die Funktionärsebene angesprochen haben. Was wäre denn, wenn Björn Höcke keine  führende Rolle mehr spielen würde nach der Landtag möglicherweise? Wäre dann für Sie die AfD ein Gesprächspartner?

Kemmerich: Noch mal: Mir geht es um die Wähler der AfD, die Struktur der AfD ist nicht nur von besagtem Herrn abhängig, sondern die ist durch und durch durchsetzt von Leuten, die sich sehr leicht außerhalb unserer demokratischen Grundordnung bewegen, zumindest verbal. Und da ist eine Zusammenarbeit auf lange Sicht ausgeschlossen.

Frage: In Ihrem Wahlprogramm kündigen sie das Ziel an, in den ersten 100 Tagen bürokratische Hürden abzubauen und dadurch Verwaltungsabläufe zu Minutenangelegenheit zu machen. Daran scheitern die bisherigen Landesregierungen seit fast 30 Jahren.

Kemmerich: Es ist erst mal ein Wahlprogramm – und natürlich nach der Regierungsbildung muss es dann heißen. Der Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart von der FDP, der hat binnen der ersten 100 Tage ein sogenanntes Entfesselungsgesetz auf den Weg gebracht. Und tatsächlich 1000 überflüssige Vorschriften, das waren teilweise auch Halbsätze in Vorschriften gestrichen, die nicht nur den Bürgern, sondern auch den Mitarbeitern in den Verwaltungen das Leben erleichtern und das Leben auch nachvollziehbarer machen. […]

Frage: Wenn Sie wieder Aufgaben ans Land zurückholen, können Sie doch nicht gleichzeitig Personal einsparen.

Kemmerich: Sie müssen die 42.000 Menschen, die da im öffentlichen Bereich arbeiten, müssen sie in der Gesamtheit denken. Und da ist es dem Steuerzahler egal, ob […] das Geld in der Kommune für Personal ausgegeben wird, im Landkreis oder im Land. Ich muss insgesamt die Aufgaben straffen, eindampfen und auf eine bessere Beschäftigungsquote pro 1000 Einwohner kommen. Ob das dann direkt aus dem Landeshaushalt abfließt als Personalkosten und eingespart werden kann oder ob ich über den KFA die Personalkosten nicht mehr in der Weise ausweisen muss, das ist dem Steuerzahler egal.

Frage: Mit der FDP in der Landesregierung landen wir beim Personal bei welcher Zahl?

Kemmerich: Ich habe Kollegen schon mal aus Erfahrung aus anderen Ländern geantwortet, dass man 8000 Stellen einsparen kann.

Frage: In einer Legislaturperiode?

Kemmerich: In einer Legislatur. […]

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