BEER-Gastbeitrag: Neue Qualität der Ignoranz

Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer schrieb für die „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Er hat es schon wieder getan. Justizminister Heiko Maas ist bereits in der Vergangenheit negativ aufgefallen: Zunächst wetterte er gegen die Vorratsdatenspeicherung, dann vollzog er, unbeeindruckt von Bundesverfassungsgericht, Europäischem Gerichtshof und Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags, eine Kehrtwende.

Jetzt allerdings geht er einen Schritt weiter. Die neueste Idee aus seinem Ministerium, inzwischen durch das Kabinett gewinkt, ist nun, Straftaten in sozialen Medien an Richtern und Staatsanwälten vorbei durch Anbieter direkt löschen zu lassen. Und wenn die nicht löschen, löschen, löschen, hagelt es Millionenbußgelder.

Die Diskussionen um die Einführung eines „Wahrheitsministeriums“ haben wir in den letzten Wochen alle mit Schrecken verfolgt. Bis zum 30. März 2017 waren Verbände, Experten und Zivilgesellschaft aufgefordert, den Gesetzentwurf zu kommentieren. Doch schon am 27. März reichte die Bundesregierung den Entwurf zur Notifizierung bei der Europäischen Kommission ein, man scherte sich nicht um Einwände und Sachverstand. Gleichzeitig wurde die Liste der Straftatbestände von 14 auf 24 Paragraphen erweitert. Bei einem solchen Vorgehen braucht man sich über politische Frustration in der Gesellschaft nicht weiter zu wundern.

Dabei ist schon der Anwendungsbereich völlig unausgegoren: Es ist unklar, wen die Pflicht zum Löschen treffen soll. Das Gesetz spricht von sozialen Medien mit mehr als zwei Millionen Usern; damit sind ganz sicher Facebook, YouTube und Twitter erfasst — was aber ist mit Chatrooms von Computerspielen oder Kundenrezensionen zu einem politisch nicht willkommenen Buch?

Durch Berichte über Löschpraktiken wissen wir, dass der Bearbeiter einer Beschwerde rund acht Sekunden hat, um zu entscheiden, ob ein Beitrag gelöscht oder gesperrt wird. In diesen acht Sekunden soll sich entscheiden, ob etwas Verbotenes vorliegt, ob ein Beitrag ironisch oder sarkastisch gemeint war, oder ob sich jemand legitim gegen eine Beleidigung gewehrt hat.

Diese Zeitspanne soll allen Ernstes eine Anhörung des Betroffenen und ein rechtsstaatliches Verfahren ersetzen?

Wir brauchen nicht lange nachzudenken, wozu dies führen wird: Bürger werden es sich nun zweimal überlegen, ob sie sich im Netz politisch äußern, es könnte ja Angriffspunkte bieten.

Und wer möchte schon Gefahr laufen, wegen einer falschen Gesinnung aus sozialen Netzwerken ausgesperrt zu werden. Vor allem aber werden die Betreiber darauf achten, keinen Anlass für Bußgelder zu geben und löschen, was das Zeug hält.

Übrig bleiben dann nur weich gewaschene Verlautbarungen. Ist es das, was ausgerechnet der Justizminister zu Wahlkampfbeginn erreichen möchte? Ein Klima der Angst und der Unterdrückung von Meinungen?

Natürlich müssen auch im Netz begangene Straftaten verfolgt werden. Doch auch erfundene oder verfälschte Nachrichten, die sich in sozialen Netzwerken und einigen Presseportalen, man denke an Satiremedien, finden, sind von der Meinungs- und Pressefreiheit abgedeckt. Andere Meinungen –  auch die, die uns nicht gefallen – gehören in einer freien Gesellschaft dazu; sie sind es, woraus sich die politische Willensbildung in einer Gesellschaft formt. Dies funktioniert jedoch nur, wenn man keine Angst haben muss, etwas Falsches zu sagen.

Wenn ein Justizminister jetzt noch schnell vor den Bundestagswahlen einen solchen Gesetzentwurf ohne Anhörung von Zivilgesellschaft und Betroffenen durchboxt, dann zeigt dies eine neue Qualität der Ignoranz. Deshalb fordern wir Freie Demokraten, dass Polizei und Staatsanwaltschaft Hass-Postings in sozialen Netzwerken, die Straftatbestände verwirklichen, konsequenter verfolgen. Hierzu muss die Ausbildung und Ausstattung dieser Behörden auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. Den Betreibern der Angebote dürfen diese Aufgaben hingegen nicht übertragen werden. Sie sind keine Zensurbehörde — eine Privatisierung dieser Aufgaben darf nicht stattfinden.

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