Parlament darf nicht länger nur Zuschauer sein
Wer in Grundrechte eingreift, muss das gut begründen. Es darf für die Bundesregierung keinen Blankoscheck bei Freiheitsbeschränkungen geben. Der im März verhängte Ausnahmezustand muss beendet werden, fordert Volker Wissing.
Am 25. März 2020 hat der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite ausgerufen — und damit die Bewältigung der Corona-Pandemie in die Hände der Bundesregierung gelegt. Deutschland wird also seit mehr als einem halben Jahr mittels Rechtsverordnungen ohne wirksame Parlamentsbeteiligung geführt. Wissing fordert, die Verantwortung so schnell wie möglich wieder dahin zu geben, wo sie hingehört: nämlich in den Bundestag. „Voraussetzung für eine epidemische Notlage ist eine systemische Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Die gibt es aber ganz offensichtlich nicht“, erklärt der Generalsekretär.
Die Regierungen in Bund und Ländern hätten entschieden, die Zahl der in den Krankenhäusern vorzuhaltenden Intensivbetten wieder zu reduzieren – das bedeute, dass die Gefahr trotz steigender Infektionszahlen abgenommen habe. „Deshalb muss der Ausnahmezustand beendet werden“, meint Wissing. Und deshalb habe die FDP-Fraktion im Bundestag die Rückkehr zu normalen parlamentarischen Verhältnissen gefordert – leider erfolglos.
Der FDP-Generalsekretär findet deutliche Worte: Der Bundestag muss seinen Job machen. „Ohne öffentlichen Diskurs keine Überzeugung, ohne Überzeugung keine Aktivierung von Eigenverantwortung der Bürger, die wir aber dringend brauchen, um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen“, erläutert Wissing. Es werde massiv in Grundrechte eingegriffen, um die Pandemie zu bekämpfen. Die Grundlagen dafür sollten möglichst weitgehend vom Parlament entschieden werden, nicht von Regierungen, stellt der Vize-Ministerpräsident klar. Je stärker sich das Parlament positioniere, um so stärker würden wir den Geist des Grundgesetzes leben.
Die Menschen gehen zunehmend auf die Straße und demonstrieren. Wissing glaubt, das liege daran, „weil viele Dinge nicht richtig verstanden werden, weil sie eben nicht öffentlich debattiert werden.“ Dabei sei die Verfassung in diesem Punkt sehr klar: Die staatlichen Eingriffe bedürfen der ständigen Rechtfertigung – nicht die Freiheitsrechte. „Wer in Grundrechte eingreift, muss das gut begründen. Der Grundrechtseingriff darf immer nur Ultima Ratio sein. Und er muss verhältnismäßig sein, also geeignet, erforderlich und angemessen. Und das gilt es im Parlament auszuhandeln“, erklärt der Generalsekretär.
Vieles sei in den letzten Wochen und Monaten gut geglückt in Deutschland. „Wenn wir allerdings Demonstrationen verbieten, wenn wir den Versuch diffamieren, Maßnahmen der Regierung infrage zu stellen, und wenn wir jeden, der Fragen aufwirft, als Covidiot bezeichnen, droht die Akzeptanz zu schwinden“, mahnt Wissing. „Je mehr wir Debatten zulassen, je mehr wir die Bevölkerung mitdiskutieren lassen und Maßnahmen erklären, je mehr wir in den Parlamenten entscheiden“, umso höher sei die Akzeptanz und damit auch die Bereitschaft der Menschen, Entscheidungen mitzutragen und zu akzeptieren, prognostiziert er.
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