Lindner fordert Umkehr in der Haushaltspolitik
Christian Lindner hat nachdrücklich eine „Umkehr“ in der Haushaltspolitik der Bundesregierung eingefordert. Mit Blick auf drastisch steigende Zinskosten sprach Lindner in einer Rede vor dem Industrieverband BDI von „einer Steilwand“.
Die Teuerungsrate sei so hoch wie seit Jahrzehnten nicht und verändere vieles. Deswegen müssten jetzt im Haushalt Prioritäten gesetzt und Subventionen hinterfragt werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner wolle zur Schuldenbremse zurückkehren. Deutschland könne es sich nicht mehr leisten, immer neue Schulden zu machen, ergänzte Lindner. Im Staatshaushalt 2023 würden bereits 30 Milliarden Euro für Zinsen nötig. Im vergangenen Jahr seien es nur vier Milliarden Euro gewesen. „Das ist eine Steilwand, die sich vor uns auftut.“ Dies sei für ihn „ein Signal“. „Wir können uns zusätzliche Schulden nicht mehr leisten“, erteilte er Forderungen nach einer Lockerung der Schuldenbremse erneut eine Absage.
Lindner verwies auf gestiegene Zinsen und inflationsgesicherte Staatsanleihen. Ohne Rückkehr zur Schuldenbremse würde der Staat die Inflation noch verschärfen. Bei den Investitionen will Lindner allerdings nicht sparen. Bis 2026 seien 350 Milliarden Euro eingeplant plus 100 Milliarden zur Modernisierung der Bundeswehr. Absoluten Vorrang müsse die Bekämpfung der Inflation haben, sagte er weiter im Vorfeld von Spitzenberatungen der Koalition am Mittwoch.
Inflation nicht noch mit der staatlichen Feuerkraft verschärfen
„Priorität in diesen Tagen und Wochen ist die Bekämpfung der Inflation“, stellte Lindner seine Position klar. „Viele Menschen spüren die Inflation beim Blick in den Kühlschrank“, sagte er. Daher müsse es jetzt das vorrangige Ziel sein, „die Inflationsdynamik zu unterbrechen“. Der FDP-Minister kritisierte, in den vergangenen Jahren hätten sich die Regierenden auf niedrigen Zinskosten und einer vermeintlichen Friedensdividende ausgeruht. Dabei hätten sie „die Umverteilungsmarge immer weiter vergrößert“. In der Zeit der Corona-Pandemie sei dann noch einmal „eine extrem expansive Finanzpolitik“ hinzugekommen. „Nun ist die Inflation da in einem in Deutschland zuvor nicht gekanntem Maße“, sagte der FDP-Chef weiter. Diese Inflation dürfe man nicht mit immer neuen staatlichen Subventionen anschieben.
Im ZDF-“heute journal“ warnte Finanzminister Christian Lindner die Menschen in Deutschland vor einer langen entbehrungsreichen Phase aufgrund der gestiegenen Verbraucherpreise. „Meine Sorge ist, dass wir in einigen Wochen und Monaten eine sehr besorgniserregende Situation haben könnten“, sagte der FDP-Politiker am Dienstagabend. Es müsse, „die erste Priorität der Politik sein, die Inflation zu stoppen“, so Lindner. „Nicht nur wegen der Wirtschaft, sondern weil viele Menschen auch Sorgen haben, ob sie das Leben bezahlen können.“ Auch aufgrund der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs bestehe die Gefahr „einer sehr ernstzunehmenden Wirtschaftskrise aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise, aufgrund der Lieferketten-Probleme, aufgrund auch der Inflation.“
Jetzt müsse man die Rückkehr zur Schuldenbremse erreichen: „Weil wir sonst unsere Haushalte nicht unter Kontrolle bekommen und weil wir sonst die Inflation noch mit der staatlichen Feuerkraft verschärfen.“ Dies bedeute, dass es zwar „natürlich Aufgaben bei der Transformation“ gebe — es werde aber „nicht alles gleichzeitig möglich“ sein. Man müsse jetzt eine Konsolidierung „durch Priorisierung“ erreichen. „Erst muss der Wohlstand erwirtschaftet werden, bevor die Politik ihn ausgeben kann.“
Absage an Übergewinnsteuer
Eine Übergewinnsteuer für übermäßige Krisengewinne etwa von Mineralölkonzernen kommt für Lindner nach wie vor nicht in Frage. „Wer am Stammtisch entscheidet, was ein Übergewinn ist, gibt das deutsche Steuerrecht der Willkür preis“, warnte der FDP-Chef. Auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes zur Finanzierung von Entlastungen für kleinere oder mittlere Einkommen werde es mit ihm nicht geben. „Das wäre nichts anderes als Sabotage an der wirtschaftlichen Erholung unseres Landes zu betreiben“.
Offene Debatte über längere Atomlaufzeiten führen
Und weil sich auf dem Tag der Industrie alles um das Thema Energie drehte, nahm Lindner auch dazu Stellung: Man dürfe in der derzeitigen Situation nicht wählerisch sein. Denn es gehe um drei bis vier, vielleicht fünf Jahre der Knappheit und dafür müssen man eine Antwort finden. Daher sei es notwendig, über alle Möglichkeiten zu sprechen. Es dürfe keine „Denktabus“ geben, so der Minister. Lindner beteuerte im ZDF-Interview: „Putin hat uns nicht in der Hand.“ Doch dazu müssten die Energieversorgung und die Lieferketten umgestaltet werden.
Deshalb forderte Lindner auch eine ideologiefreie Diskussion über längere Laufzeiten für die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland. Es gehe nicht um einen Winter, der überbrückt werden müsse, sondern um drei bis fünf Jahre der Sicherung der Energieversorgung in Deutschland und der Knappheit beim Gas. Noch so viele LNG-Terminals, selbst wenn sie schnell gebaut würden, würden diese Knappheit nicht beseitigen. „Deshalb bin ich für eine offene, unideologische Debatte darüber, ob wir übergangsweise auch die Nuklearkapazitäten in unserem Land erhalten“, sagte Lindner. „Es geht jetzt in einer Notsituation nicht darum, Reißbrett-Pläne zu machen. In einer Notsituation geht es darum, physikalisch zu jeder Zeit und an jeder Stelle unsere Energieversorgung zu sichern.“
Ähnlich äußerte sich auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr in Berlin. Im Vordergrund müsse stehen, „wie wir eine mögliche Stromlücke im Winter verhindern“. Dabei müsse Kernenergie in Deutschland eine Option bleiben. Deshalb müsse man „jetzt alle Ideologie beiseite“ legen. Die Bundesregierung solle prüfen, „inwieweit wir auch Kernenergie zur Überbrückung nutzen können“, so Dürr gegenüber dem Portal t-online.de.
Technologieoffenheit ist entscheidend
In der Debatte über die anstehende EU-Entscheidung zu Flottengrenzwerten beim Auto betonte Lindner, er halte ein Verbot des Verbrennungsmotors für falsch, „Ich habe deshalb entschieden, dass ich in der Bundesregierung dieser europäischen Rechtsetzung nicht zustimmen werde.“
Lindners Argument: Es werde Weltregionen geben, in denen die Elektromobilität für die nächsten Jahrzehnte nicht eingeführt werden könne. Wenn es ein Verbot der Neuzulassung des Verbrennungsmotors gebe, dann werde er auch nicht weiterentwickelt, zumindest nicht in Europa und Deutschland. „Technologieoffenheit“ sei ein wesentlicher Bestandteil der Marktwirtschaft, weswegen er eine Entscheidung, den Verbrennungsmotor de facto zu verbieten, für falsch halte, sagte Lindner.
FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, der sich bereits in der Vergangenheit sehr kritisch zu den EU-Plänen geäußert hatte stimmte Lindner zu und sagte beim Tag der Industrie, Finanzminister Lindner habe die richtigen Worte gefunden. Eine Universallösung, um Klimaziele zu erreichen, gebe es nicht. Es seien vielfältige Antriebe notwendig. „Deswegen müssen wir technologieoffen bleiben“, so Wissing.
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