Der Bundestag wird ärmer

Die FDP scheitert an der Fünf-Prozent-Hürde – der Bundestag verliert damit seine einzige liberale Stimme. Ein Überblick über die Reaktionen in den Medien.

Kubicki, Dürr, Lindner, Buschmann und Stark-Watzinger am Wahlabend auf der Bühne.
Die Freien Demokraten werden sich neu aufstellen und weiterhin für die Idee der Freiheit kämpfen.

Das enttäuschende Wahlergebnis, das den Freien Demokraten den Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag verwehrt, stellt einen dramatischen Wendepunkt in der politischen Landschaft Deutschlands dar. Der Bundestag verliert damit seine einzige liberale Stimme. Doch an einem Punkt besteht dennoch kein Zweifel: Der Liberalismus ist und bleibt weiterhin eine unverzichtbare Kraft. Die Partei wird sich neu aufstellen und gestärkt zurückkehren. Die Presse reagiert auf das politische Beben und analysiert die weitreichenden Konsequenzen. 

Reinhard Müller bezeichnet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Ausscheiden der FDP als „Zäsur“ und einen „Verlust“. Denn es fehle nun eine liberale Stimme im Bundestag. Die FDP sei stets ein „Korrektiv zu den Bauchläden der Volksparteien“ gewesen. Müller fordert eine umfassende personelle Erneuerung an der Spitze der Partei, denn eine seriöse liberale Stimme, die mit beiden Beinen im Leben stehe, werde auch künftig gebraucht. Friederike Haupt zeigt sich in der FAZ optimistisch: „Mit der FDP geht es trotzdem weiter, irgendwie, sind die Liberalen überzeugt. Optimismus gehört zu ihrer DNA.“

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Der Bundestag wird „ärmer“

Josefine Fokuhl und Jan Hildebrand schreiben im Handelsblatt: „Dass er nicht gekämpft hat, kann man Lindner nicht vorwerfen.“ Der FDP-Chef habe allein 75 Wahlkampfauftritte absolviert und sei auf Social Media omnipräsent gewesen. Hildebrand ist überzeugt, dass ein Bundestag ohne liberale Stimme „ärmer“ werde. Gerade in einem staatsgläubigen Deutschland brauche es eine Partei, die individuelle Freiheit und Eigenverantwortung hochhalte. Kritik, dass sich die FDP zuletzt nur auf einen Liberalismus beschränkt habe, der bis zur nächsten Steuererklärung reiche, entkräftet Hildebrand: „In der Ampel hat die FDP Freiheit durchaus weitergedacht, hat etwa den Kurswechsel in der Coronapolitik durchgesetzt.“ Die Chance für eine Rückkehr sieht er in einer strategischen Neuausrichtung, bevor weitere Wähler zur AfD abwandern. Gelingt dies, könne es wieder Grund zum Feiern vor dem Genscher-Haus geben.

Thorsten Jungholt kommentiert in der Welt: „Bei keiner anderen Partei gilt das Leistungsprinzip in einer vergleichbaren Reinform. Entspricht die Performance der FDP in der Regierung nicht den Vorstellungen ihrer Wähler, dann wird sie durch Stimmentzug sanktioniert.“ Die Freien Demokraten seien an der massiven Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition und ihrer leistungsorientierten Wählerschaft gescheitert. 

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Der Liberalismus verliert seinen „drehmomentstärksten Motor“

Ulf Poschardt bedauert bei Welt insbesondere den politischen Rückzug von Christian Lindner. Er beschreibt ihn als letzten Vertreter eines umfassenden Aufstiegs- und Chancenversprechens, das die Bundesrepublik einst groß gemacht habe. „Jetzt verliert der deutsche Liberalismus seinen drehmomentstärksten Motor.“ Poschardts Fazit: Dies sei keine gute Nachricht für eine freie Gesellschaft. Lindner stehe für die letzte Blüte des politischen Liberalismus, eine Strömung, die es in Deutschland traditionell schwer habe. Dies liege daran, dass viele Deutsche eher an moralischen Lippenbekenntnissen als an handfesten Erfolgen interessiert seien. 

Poschardt würdigt Lindners politische Laufbahn, von der schwierigen Phase nach dem Bundestagsaus 2013 bis zur Reformierung der Partei. „Stoisch, bisweilen für sein Alter erstaunlich abgebrüht, hat Lindner schon in seiner Zeit als Generalsekretär versucht, seine Vorstellung von einem lebendigen Liberalismus, der weit über die Steuerfrage hinaus in die Feinstverästelungen des Sozialen und Kulturellen ragt, in die FDP zu implantieren und mit den aktuellen politischen Debatten zu verknüpfen.“ Mit Lindners Rückzug aus der politischen Landschaft verliere Deutschland einen seiner klugen und erfahrenen Köpfe. Das Positive daran? „Familie und Freunde bekommen ihn zurück: Bislang hat er sein Leben der res publica bis hin ins Selbstzerstörerische gewidmet – jetzt lässt er los.“

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Die Wirtschaft bedauert das Ausscheiden der FDP

Die dpa berichtet von Reaktionen aus der hessischen Wirtschaft auf das Ausscheiden der FDP. „Damit geht eine wichtige liberale Stimme verloren“, kommentierte Wolf Matthias Mang, Präsident der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU). Dies sei nicht nur ein herber Verlust für die Meinungsvielfalt im Parlament, sondern auch eine Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung. „Im dritten Jahr der Rezession brauchen wir schnell eine handlungsfähige Regierung. Die neue Bundesregierung muss endlich eine wirtschaftsfreundliche Wachstumspolitik machen und den Irrweg von Bevormundung und Überregulierung der letzten Jahre verlassen.“ Reformverweigerung habe zur längsten Rezessionsphase der Nachkriegszeit geführt und extreme Parteien an beiden politischen Rändern gestärkt.

In Deutschland geht die Idee der Freiheit verloren

Johannes C. Bockenheimer titelt in der Neuen Zürcher Zeitung: „Aus für die FDP: Deutschland entscheidet sich gegen den Liberalismus“. Er warnt, dass sich das Land zunehmend von der Idee der Freiheit verabschiede. Dies sei bereits im Wahlkampf spürbar gewesen: „Wo einst über Wachstum und Innovation gestritten wurde, dominierten diesmal Umverteilung, Transferleistungen und das ewige Mantra der sozialen Gerechtigkeit.“ Selbst die Union unter Friedrich Merz, der sich eigentlich als ordnungspolitisches Gewissen der Nation inszeniere, habe Wahlgeschenke wie eine „Frühstart-Rente“ versprochen. Das neue deutsche Credo: „Für jedes Problem gibt es eine staatliche Lösung.“ Der neue Bundestag spiegele diesen Zeitgeist wider: „Die Linkspartei, vor kurzem noch totgesagt, feiert ihre politische Wiederauferstehung – inklusive Sozialpopulismus mit TikTok-Appeal und einer Prise Wünsch-dir-was. Bedingungsloses Grundeinkommen, 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Mietendeckel bundesweit.“ Das Scheitern der FDP stehe „als Sinnbild für den Niedergang liberaler Ideen in einer zunehmend staatsgläubigen Republik“. 

Deutschland, einst Land der Ingenieure, Erfinder und Mittelständler, habe sich darüber hinaus in eine Bürokratie-Nation verwandelt: „Das Land, das der Welt einst den Buchdruck, das Automobil und das Aspirin schenkte, ist zum Meister der Formulare und Fördermittelanträge geworden.“ Diese Kritik sei nicht neu, sondern werde von Unternehmern seit Jahren vorgetragen. 

Die FDP hätte das Gegenmodell sein können. Vielleicht werde Deutschland aber eines Tages wieder erkennen, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist – und sich an jene Partei erinnern, die genau dafür steht.