Bei Corona-Maßnahmen nicht wieder übers Ziel hinausschießen
Die zweite Corona-Welle hat Deutschland erfasst. Der Bund will sie mit drastischen Kontaktbeschränkungen in den Griff bekommen. Die Freien Demokraten raten zu Augenmaß.
Volker Wissing blickt mit gemischten Gefühlen auf die angedeuteten Maßnahmen: „Man muss sehen, dass das Schließen der Kultureinrichtungen und auch das Schließen von Gastronomie natürlich auch massive Auswirkungen auf den Handel hat. Wenn die Attraktivitäten in kutureller und kulinarischer Hinsicht in den Städten nicht mehr angeboten werden, kommen weniger Menschen auch zum Einkaufsbummel.“ Man könne also nicht so tun, als sei hier der Handel außen vor. Das sei „schon eine schwierige Strategie, die hier gewählt wird. Eine echte Gratwanderung.“ Man schließe Einrichtungen, in denen es kein hohes Infektionsgeschehen gibt, um generell soziale Kontakte zu reduzieren. Das sei „eine verfassungrechtlich sehr dünne Basis“, auf der das Ganze stehe. Da übernimmt die Bundesregierung eine enorme Verantwortung.
Er halte es für dringend erforderlich, dass wir eine einheitliche Strategie entwickeln. „Wir müssen aber weiterhin bei der verfassungrechtlich gebotenen Präzision bleiben, regional unterschiedlich vorzugehen.“ Wenn es sehr hohes Infektionsgeschehen in einer Region gebe, dann müssten dort schärfere Instrumente aktiviert werden. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht eine nationale unter den Lädern abgestimmte Strategie brauchen.“ Es bleibe eine Gratwanderung, weil die Verfassung hier ganz klar sei: „Wir müssen bei jeder einzelnen Maßnahme den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten und ich würde mir auch dringend wünschen, dass wir beim Infektionsschutzgesetz Präzisierungen auf Bundesebene erhalten. Die Bundesregierung übernimmt sich, wenn sie glaubt, sie könne auf der Grundlage des Grundgesetzes hier alles auf Regierungsebene entscheiden.“
Bürger vor einem Wettrennen um die härtesten Maßnahmen bewahren
Aus Sicht der Freien Demokraten ist es erforderlich, gezielte Maßnahmen zu ergreifen. „Nämlich dort, wo wir wissen, dass es ein sehr dynamisches Infektionsgeschehen gibt“, so Buschmann. Das sei etwa in Krankenhäusern, in Altenheimen der Fall. „Dort müssen wir erstens dafür sorgen, dass die vulnerablen Gruppen stärker geschützt werden, aber zweitens auch zu neuen Maßnahmen kommen.“ Die Freien Demokraten seien weiterhin der Ansicht, „dass wir landesweit einheitliche Kriterien brauchen, wann eine Maßnahme ergriffen werden muss, aber dass die Frage, ob diese Kriterien vor Ort vorliegen, weiterhin in den einzelnen Regionen, in den Kommunen entschieden werden sollte. Wir erleben stattdessen, statt eines solchen gezielten Vorgehens, eine Art Wettrennen, wer in der Exekutive die härtesten und meisten Vorschläge dazu macht, wie man gegen die Pandemie vorgeht“, kritisiert Buschmann.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki bezeichnete die Pläne der Bundesregierung als „nahezu kompletten Lockdown“ und unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte. Für die Schließung von Hotels oder Restaurants sei eine Evidenz notwendig, „dass die Pandemie-Bekämpfung auch sinnvollerweise dort geschehen kann“. Sinnvoller sei es, sich auf den Schutz von Risikogruppen zu beschränken und so viel normales Leben wie möglich zuzulassen, sagte der Vizepräsident des Deutschen Bundestages.
Statt des vom Bund angestrebten Lockdowns solle bei Infektionsherden angesetzt werden: Kubicki fragte, warum Mitarbeiter weiter ungetestet in Alten- und Pflegeheime dürften und dort keine FFP2-Masken verteilt würden. Außerdem sollten mehr Schulbusse sowie Busse und Bahnen im ÖPNV eingesetzt werden. Menschen in Restaurants und Hotels, die jetzt mit Hygienekonzepten ihre Existenz gesichert hätten, wieder mit einem „Komplett-Lockdown“ zu belegen, sei unverhältnismäßig und habe sicher auch vor den Gerichten nicht Bestand. Kubicki verwies auf Gerichtsentscheide, die Beherbergungsverbote in den Bundesländern gekippt hatten. Man könne Beherbergungsbetriebe nicht schließen, wenn es keine Evidenz gebe, dass dort das Infektionsgeschehen intensiviert werde. „Das Grundgesetz gilt auch während der Pandemie“, sagte er. Er plädierte auf unterschiedliches Vorgehen je nach Bundesland.
Gastronomie, Kultur und kleine Geschäfte nicht in Mithaftung nehmen
FDP-Fraktionsvize Christian Dürr warnt auch bei erneuten Schließungen von Betrieben in der Corona-Krise vor massiven Folgen für die Wirtschaft. „Ein neuer Lockdown wird vielen Betrieben den Boden unter den Füßen wegziehen. Bund und Länder hatten monatelang Zeit, sich auf die zweite Welle vorzubereiten. Statt die Gastronomie und andere Branchen stillzulegen, hätte ich erwartet, dass die Kanzlerin einen Akut-Plan für mehr Personal in den Gesundheitsämtern und Konzepte für eine digitale Kontaktnachverfolgung vorlegt.“ Es sei ein „Trauerspiel“, dass die Bundesregierung sich selbst nicht in die Pflicht nehme, etwas zu tun, aber den Bürgern und Unternehmen immer wieder neue Einschränkungen zumute, so Dürr.
FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle plädiert für einen Mittelweg zwischen den beiden Polen der Corona-Maßnahmen. „Ich finde es ganz problematisch, dass wir offenbar nur zwei Seiten haben“, sagte Kuhle. Auf der einen, „diejenigen, die sagen, es ist alles Quatsch, es gibt gar kein Corona“, und „Protagonisten auf der anderen Seite und da ist Herr Lauterbach ganz klar vorne mit dabei, denen die Maßnahmen nicht streng genug sein können“. Dabei müsse man aber auch die Auswirkungen auf das soziale und wirtschaftliche Leben bei den Gedankenspielen beachten, fordert Kuhle. „Deswegen müssen wir einfach berücksichtigen, was wir im Sommer gelernt haben und dazu gehört, dass wir Freiräume schaffen, auch für Gastronomie, für Kultur, für kleine Betriebe, die sich Mühe geben, auch unter den Bedingungen der Corona-Pandemiebekämpfung am Leben zu bleiben.“
Diese dürfe man nicht dafür bestrafen, dass sie Hygiene-Konzepte entwickelt und umgesetzt haben. „Wir dürfen nicht wieder übers Ziel hinausschießen.“ Schließlich zeigten die Statistiken, dass die meisten Ansteckungen im privaten Bereich stattfinden würden. „Natürlich kann man darüber nachdenken, ob man ähnlich zu den Regelungen im März und im April eine Beschränkung für die Zahl der Haushalte erlässt, eine Beschränkung für die Zahl der Menschen erlässt, die in einer Wohnung zusammenkommen können“. Hier sei jedoch Eigenverantwortung der Menschen gefragt. „Was nicht geht, ist es dass die Polizei dann klingelt und in Privatwohnungen ausforscht wie viele Personen sich dort aufhalten.“
Digitalisierung in Corona-Krise vorantreiben
Kuhle wünscht sich außerdem eine stärkere Einbindung des Parlaments in die Entscheidungsfindung, welche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossen werden. „Wir können nicht die Beschränkung der Gewaltenteilung und die Beschränkung der Rechte des Parlaments erhalten, weil es in der Pandemie bequem ist.“ Der FDP-Politiker fordert außerdem eine bessere Digitalisierung der Gesundheitsämter, damit die Infektionen schneller gemeldet werden können.
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