BFA Wirtschaft und Mittelstand
Chancen für den Tourismus eröffnen und Krisenresilienz fördern
Chancen für den Tourismus eröffnen und Krisenresilienz fördern
4,1 Millionen Beschäftigte arbeiten in Deutschland in Tourismuswirtschaft und Gastronomie (2,8 Millionen Direktbeschäftigte und 1,3 Millionen indirekt Beschäftigte), das entspricht 9 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese erwirtschaften eine Bruttowertschöpfung von insgesamt rund 216,4 Milliarden Euro (davon direkt 124 Milliarden und indirekt 92,4 Milliarden). Das entspricht 6,96 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.[1]
Die verbesserten statistischen Methoden zeigen die zunehmende Wirtschaftskraft des weltweiten Tourismus und der verbundenen Industrien auf. Kleine und mittelständische Betriebe sowie Familienunternehmen prägen die Branche. Sie halten dadurch Kapital im Land und sind starker Träger der Binnenwirtschaft. Tourismus bringt Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze vor allem auch in den strukturschwachen, ländlichen Raum und hält Regionen lebendig. Dabei ist im Deutschlandtourismus vor allem die Inlandsnachfrage hoch. Die Deutschen reisen aber auch sehr gerne ins Ausland und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt in den Zielländern. Darüber hinaus ist Reisen auch gelebte Völkerverständigung. Verantwortungsvoller Tourismus spielt eine wichtige Rolle beim Schutz von Natur und Umwelt.
Die Tourismusbranche schafft Begegnungsorte, an denen Menschen gemeinsam schöne Stunden verbringen und Erholung schöpfen können. 75 Prozent der Deutschen verbringen jedes Jahr mindestens eine Woche im Urlaub außerhalb der eigenen vier Wände. Kurz- und Tagesreisen, Städte- und Kulturreisen sind ein weiterer wichtiger Teil des touristischen Marktes.
Touristische Angebote schaffen Lebensqualität für Einheimische. Touristische Infrastruktur wie Bäder, Wellness, Freizeit- und Mobilitätsangebote kommen allen zugute. Die durch den Tourismus gesteigerte Nachfrage verbessert das Angebot in Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen. Gesundheitstourismus sorgt für ein breites Angebot an medizinischen Dienstleistungen.
Die Tourismuswirtschaft sieht sich derzeit jedoch gewaltigen Herausforderungen gegenüber.
Die Nachwirkungen der Pandemie, Krieg in Europa, Inflation, Energiekrise und der Arbeitskräftemangel belasten die meist klein- und mittelständischen Betriebe enorm. Mehr als 48.000 Betriebe in Hotel und Gastronomie haben seit 2020 geschlossen und es wird eine höhere Anzahl an Insolvenzen in diesem Jahr erwartet. Zusätzlich stellt der Klimawandel die Branche vor weitere Herausforderungen. Mobilität, ohne die Reisen nicht möglich ist, muss neu gedacht werden. Der digitale Wandel ist Herausforderung und Chance zugleich.
Wir Freie Demokraten erkennen den Wert des Tourismus als wichtigen Wirtschaftsfaktor und verbessern die Rahmenbedingungen, um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen und die Branche in der Transformation zu stärken. Wir erkennen ihre Besonderheit, die sich in hoher Kleinteiligkeit und niedrigem Organisationsgrad der zahlreichen Betriebe der Tourismuswirtschaft ausdrückt. Wir begreifen den Tourismus als ressortübergreifenden Wirtschafts- und Standortfaktor, der gestärkt werden muss. Der Großteil der Arbeitsplätze im Tourismus ist nicht verlagerbar. Es arbeiten überproportional viele Frauen in den dazugehörigen Branchen. Tourismuspolitik ist vor allem Mittelstandspolitik und ein Konjunkturprogramm für den ländlichen Raum.
Eine liberale Tourismuspolitik ist nicht von Verboten geprägt, sondern will gewachsene touristische Strukturen erhalten, Neues ermöglichen und Bürokratie nicht zum Standortnachteil werden lassen. Sie ist Realpolitik, die durch kluge und angemessene Rahmenbedingungen die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft stellt. Sie setzt auf Ideen und Innovationen und will durch neue Technologien Wohlstand und Wahlfreiheit erhalten. Die Tourismusstrategie des Wirtschaftsministeriums versucht mit der Schaffung „Nachhaltiger Tourismuskommunen“ ein einheitliches Weltbild durchzusetzen und dies mit weiteren Abgaben zu finanzieren. Weltbild(en) und Erziehung der Konsumenten während ihres Urlaubs engen Freiheitsspielräume ein und sollten unterbleiben.
In fünf Handlungsfeldern – Tourismusstandort Deutschland krisenfest gestalten, Fach- und Arbeitskräftemangel, Mobilität, Nachhaltigkeit und Digitalisierung - wollen wir die Tourismusbranche in Deutschland sichern und ihre Potenziale fördern.
1. Tourismus belebt Regionen - Tourismusstandort Deutschland krisenfest gestalten
In der Tourismuspolitik verteilen sich die Zuständigkeiten auf viele Schultern. Hauptverantwortlich sind die Länder, in vielen Bereichen trägt jedoch der Bund Verantwortung, oftmals, wenn es um die Rahmenbedingungen geht, unter anderem bei den (vornehmlich touristisch genutzten) Nebenwasserstraßen, beim Baurecht, dem Emissionsschutz, der Bahn, dem Bau und Erhalt von Bundesstraßen und Autobahnen, der Digitalisierungsstrategie, dem Flugverkehr, der Visaerteilung oder bei Reisewarnungen.
Nicht zuletzt hat die EU regulatorische Kompetenzen, die auch touristische Betriebe betreffen, zum Beispiel beim EU-Binnenmarkt (Digital Services Act, Digital Markets Act, DAC7, Short Term Rental Initiative) oder der Regulierung von Künstlicher Intelligenz.
Die unterschiedlichen Zuständigkeiten führen zu mannigfachen Problemen. Es fehlt an ausreichender Abstimmung und Koordinierung zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den zuständigen Ressorts im Bund. Die neu geschaffene Position eines Koordinators für Tourismus sollte diese Lücke füllen und für bessere Abstimmung sorgen, wird diesem aber nur bedingt gerecht.
Ziel einer liberalen Tourismuspolitik muss es sein, politische Initiativen, die den Tourismus betreffen, effizient zu koordinieren und zu verzahnen. Der Bund muss sich zu seiner Verantwortung für touristische Themen und der Bedeutung der Tourismuswirtschaft für Deutschland bekennen und die Koordination zwischen den tourismuspolitisch Verantwortlichen stärken.
Mit der Nationalen Tourismusstrategie wurde ein Instrument auf den Weg gebracht, um die Herausforderungen analytisch und strategisch zu betrachten. Durch die Corona-Pandemie wurde der Prozess nicht zu Ende geführt. Wir setzen uns dafür ein, die Nationale Tourismusstrategie zu einer echten Strategie mit konkreten Handlungsmaßnahmen weiterzuentwickeln und die Nationale Plattform Zukunft des Tourismus konsequent dafür zu nutzen, konkrete Lösungsansätze zu erarbeiten.
Auch die Wechselwirkungen der Tourismuswirtschaft mit anderen Branchen und Aufgabenbereichen wie zum Beispiel Kultur, Landwirtschaft, Städtebau, Dorfentwicklung, Baukultur sowie Landschafts- und Naturschutz und Entwicklungshilfe. Tourismuspolitik muss auf allen Ebenen - in der Europäischen Union, im Bund, in den Ländern und auf kommunaler Ebene - besser koordiniert werden.
Das Tourismusbewusstsein der Kommunalpolitik und der Einheimischen wollen wir verbessern und Verständnis dafür schaffen, dass ohne Touristen vielfach das Aussterben ganzer Landstriche die Folge wäre. Gewachsene touristische Strukturen wollen wir erhalten. Tourismus kann nur dort gedeihen, wo die Menschen vor Ort damit einverstanden sind. Tourismusakzeptanz ist ein Schlüssel für erfolgreichen Tourismus.
Alles, was Tourismus und Gastronomie neben der Leistungserbringung (Beherbergung/Verpflegung) leisten, benötigt Sicherheit auf kommunaler Ebene. Wir müssen touristisch relevanten Kommunen haushaltsrechtlich die Möglichkeit einräumen, Tourismus als Pflichtaufgabe zu definieren.
Wir erkennen an, dass die gastgewerblichen Umsätze erheblich zum Steueraufkommen auf allen Ebenen beitragen und lehnen deshalb Sondersteuern im Tourismusgewerbe wie Betten- oder Übernachtungssteuern ab. Wir wollen touristisch relevanten Kommunen haushaltsrechtlich die Möglichkeit einräumen, Tourismus als Pflichtaufgabe zu definieren.
Attraktive Tourismusregionen sind auch ein wichtiger Standortfaktor zur Gewinnung von Fachkräften außerhalb Deutschlands. Investitionen in den Tourismus betrachten wir immer auch als Investitionen in die Lebensqualität der Einheimischen.
Um den nachhaltigen und digitalen Wandel zu befördern, setzen wir uns für die Einrichtung einer nationalen Tourismusbank nach Vorbild der Österreichischen Hotel- und Tourismusbank ein. Diese soll als Anlaufpunkt für Tourismusbetriebe fungieren, wenn es um die Finanzierung und Förderungsmöglichkeiten touristischer Projekte geht.
Wir setzen auf Qualitätstourismus, der auf eine hohe Gästezufriedenheit zielt und die Attraktivität des Reiseziels Deutschland untermauert.
Wir werden uns für Ausfallsicherungsmaßnahmen und die Möglichkeit einer steuermindernden Risikorücklagenbildung einsetzen.
Bürokratielasten treffen kleine und mittelständische Unternehmen besonders schwer. Wir setzen uns für Bürokratieabbau und die Vermeidung neuer bürokratischer Belastungen ein. So soll beispielsweise bei neuen Emissionsschutzgesetzen bestehenden Betrieben ein ausreichender Bestandsschutz gewährt werden, damit diese nicht aus angestammten Lagen vertrieben werden.
Neue Gesetzvorhaben auch auf EU-Ebene sollten dahingehend überprüft werden, ob diese zu unnötigen Doppelbelastungen, zum Beispiel durch Auskunfts- und Berichtspflichten, führen, um unnötige bürokratische Lasten zu vermeiden.
Wir wollen die Rahmenbedingungen für das Gastgewerbe verbessern, um dem Sterben von Beherbergungsbetrieben und Gaststätten vor allem auch im ländlichen Raum entgegenzuwirken. Wir wollen bürokratische Hürden bei der Übernahme von Betrieben abbauen, beispielsweise soll bei der Übernahme eines Gastbetriebs in einem historischen Gebäude der Bestandsschutz für Lärm- oder Brandschutz erhalten bleiben.
Wir setzen uns für den Abbau von Wettbewerbsnachteilen gegenüber dem benachbarten Ausland und eine Harmonisierung der Regeln im Rahmen der EU ein. Dazu gehören beispielsweise die Besteuerung bei der Überlassung von Dienstwohnungen oder die Anforderungen zum Erwerb eines Bus- und Berufskraftfahrerscheins.
Angebote im Städtetourismus und solche im ländlichen Raum wollen wir stärker verknüpfen, um eine konstante Verlängerung der Tourismussaison zu erreichen. Auch den Kulturtourismus wollen wir fördern. Voraussetzung hierfür sind attraktive Mobilitätsangebote und ein gut vernetzter Takt im ÖPNV, vor allem im ländlichen Raum.
Den Wassertourismus in Deutschland wollen wir stärken und dazu die Infrastruktur entlang der Flüsse ausbauen. Dabei kommt den Nebenwasserstraßen eine besondere Bedeutung zu. Wir setzen uns für eine ausreichende Finanzierung im Bund für Instandsetzung und Erhalt von touristisch genutzten Nebenwasserstraßen und Wasserrevieren ein.
Wir wollen Erleichterungen beim Bau von Camping- und Wohnmobilstellplätzen schaffen. Diesen Tourismus-Segmenten rechnen wir ein hohes Wachstumspotential zu.
Wir sind uns der Bedeutung von Kinder- und Jugendreisen als einer gesellschaftlich besonders relevanten Form des Tourismus bewusst, betrifft sie doch die Förderung und Weitung des geistigen Horizonts und die Ausbildung sozialer Fertigkeiten unserer heranwachsenden Generation. Das Miteinander gemeinnütziger und kommerziell tätiger Anbieter in diesem Segment darf weder zur Benachteiligung der einen noch der Bevorzugung der anderen Anbieter führen. Wir setzen uns dafür ein, dass Teilhabe an Kinder- und Jugendreisen aus allen Einkommensgruppen der Bevölkerung möglich ist.
Geschäftsreisen, Messen und Veranstaltungswirtschaft sind ein wichtiger Faktor im Tourismus. Wir setzen uns für faire Rahmenbedingungen ein, die den Wettbewerb innerhalb der EU im B2B-Bereich nicht zu Ungunsten der Anbieter in Deutschland verzerren. Wir setzen uns für eine gerechte Harmonisierung der Margenbesteuerung ein.
Wir wollen die Handlungsfähigkeit der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) erhalten, damit wichtige Auslandsmärkte wie etwa in Asien, Nord- und Südamerika nicht verloren gehen. Eine Benachteiligung von Ziel- und Quellmärkten, die nur mit dem Flugzeug oder Schiff erreichbar sind, lehnen wir ab. Es gilt, eine langfristig erfolgreiche, nachhaltig wirkende und effiziente Marketingarbeit zu sichern und weiterzuentwickeln. Jeder hierfür investierte Euro bringt erwiesenermaßen ein Vielfaches an Wertschöpfung und Steuereinnahmen ein.
Die DZT verfügt 2024 über ein Jahresbudget von 40,5 Millionen Euro, um die Reisedestination Deutschland weltweit zu bewerben und zu vermarkten und die Stärkung Deutschlands als Tourismusstandort zu koordinieren. Dabei ist dieser Etat coronabedingt angehoben worden, vor der Pandemie belief sich dieser auf 34 Millionen Euro. Zum Vergleich: Unser Nachbarland Österreich gab 2022 rund 50 Millionen Euro für das Auslandsmarketing aus. Das spanische Tourismusinstitut TURESPAÑA verfügte 2022 über rund 66 Millionen Euro, um für Spanien als Reiseziel im Ausland zu werben. Atout France, die französische Tourismusmarketingorganisation, verfügt über ein Gesamtbudget von rund 66,6 Millionen Euro.[2]
Auslandsvertretungen der DZT in Singapur, Australien, Brasilien und Argentinien mussten geschlossen werden. Das Tourismusmarketing ist dabei unerlässlich, um wichtige Quellenmärkte in Übersee weiter zu erschließen und sich im europäischen Wettbewerb der Reiseziele zu behaupten. Wir wollen deshalb erreichen, dass der coronabedingte Zuwachs der Haushaltsmittel der DZT weiter verstetigt wird.
Tourismusforschung ist eine notwendige Bedingung für die Innovationskraft und Attraktivität der Branche. Seit 2009 wurden Lehrstühle in erheblichem Umfang abgebaut (sechs von ursprünglich neun, derzeit gibt es vier Lehrstühle). Wir setzen uns dafür ein, die Tourismusforschung durch ein Förderprogramm des Bundes für neue Lehrstühle zu stärken.
2. Fach- und Arbeitskräftemangel im Tourismus
Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist im Tourismus besonders groß und hat sich durch die Pandemie noch einmal erheblich verschärft. Während dieser Zeit musste die Branche eine überproportional hohe Personalabwanderung verkraften. Jeder vierte Beschäftigte (216.000 Personen) in Tourismus, Hotellerie und Gastronomie hat 2020 der Branche den Rücken gekehrt[3]. Nur ein Drittel davon ist seitdem wieder zurückgekehrt.
Mehr als 40 Prozent der Stellen in der Gastronomie bleiben derzeit unbesetzt. 2023 fehlten in der Gastronomie 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Gesamtzahl der Beschäftigten liegt immer noch 11,8 Prozent unter dem Niveau des Vor-Coronajahrs 2019[4].
Der Mangel an Arbeitskräften zwingt Betriebe dazu, Angebote und Öffnungszeiten zu reduzieren oder sogar ganz zu schließen. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit von touristischen Standorten.
Bis 2050 prognostiziert das Fraunhofer Institut für die Tourismusindustrie sogar einen Mehrbedarf von mindestens 200.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, um die durch den demographischen Wandel gerissene Lücke zu schließen.
Personalknappheit betrifft aber nicht nur die Tourismusindustrie. Um im Wettbewerb um Arbeitskräfte eine Chance zu haben, muss die Attraktivität der Tourismusbranche wieder steigen. Viele Betriebe im Tourismus setzen verstärkt auf mehr Flexibilität bei Arbeitszeiten und Arbeitsorten (Homeoffice, Co-Working-Spaces und Workation, also die Arbeit an Urlaubsorten), um den Bedürfnissen ihrer Angestellten entgegenzukommen und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. Künstliche Intelligenz und Robotik unterstützen diesen Wandel und helfen, den Fach- und Arbeitskräftemangel einzudämmen.
Gastgewerbliche Betriebe sollen in Bezug auf Kurzarbeitergeld-Regelungen und die 70-Tage-Regelung als Saisonbetriebe anerkannt werden können.
Der Tourismus ist immer noch eine der ausbildungsstärksten Branchen in Deutschland – ohne Bewerber um die Plätze. Im kaufmännischen Bereich (Hotel-/Event-/Tourismus-Fachkraft) wird der Ausbau der dualen Ausbildung Entlastung bringen. Wir setzen uns für flexiblere Ausbildungsmodelle und mehr Chancen bei Fort- und Weiterbildung für Quereinsteiger ein.
Die Teilzeitquote in der Tourismuswirtschaft ist überdurchschnittlich hoch. 30,2 Prozent aller Mitarbeitenden aller Branchen in Deutschland arbeiten in Teilzeit. Im Tourismus liegt der Anteil bei 38,8 Prozent. Längst nicht alle tun das freiwillig: mangelnde Betreuungs- und Pflegemöglichkeiten sind für ein Drittel der Betroffenen Hinderungsgründe, die sie von einer Vollzeitbeschäftigung abhalten. Bessere Betreuungsangebote für Kinder und Pflegebedürftige sind Bedingung, das Beschäftigungspotential besser auszuschöpfen und den Wechsel von Teil- zu Vollzeit zu ermöglichen.
Wir setzen uns für eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten ein. Arbeitszeiten sollten sich an den Bedürfnissen der Unternehmen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer orientieren, die saisonal oder nach Lebensabschnitt variieren. Das Arbeitszeitgesetz sollte flexibilisiert werden, Vertrauensarbeitszeit und ein Jahresarbeitszeitkonto sollten ermöglicht werden, um mehr Flexibilität zu erlauben und gleichzeitig bürokratische Lasten abzubauen.
Hohes Potenzial bietet die Integration ausländischer Arbeitskräfte: Die Tourismuswirtschaft ist eine internationale Branche, die einen hohen Anteil von Arbeitskräften aus dem Ausland beschäftigt und viel Erfahrung hat, unterschiedliche Kulturen erfolgreich zusammenzubringen.
Einwanderungspolitik muss sich auch an den Belangen der Tourismusbranche orientieren. Um das zu erreichen, wollen wir Hürden bei der Einwanderung dringend benötigter Arbeitskräfte weiter abbauen. Der im Fachkräfteeinwanderungsgesetz vorgesehenen Ausweitung der Westbalkanregelung auf weitere Staaten müssen nun konkrete Vereinbarungen mit geeigneten Ländern folgen. Das Kontingent von derzeit 50.000 sollte bedarfsorientiert erhöht werden. Wir setzen uns außerdem für eine erleichterte Anerkennung von praktischer Berufserfahrung ein. Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen europäischen Staaten wollen wir konsequent abbauen und uns für eine Harmonisierung der europäischen Rahmenbedingungen einsetzen. Eine deutliche Beschleunigung der Visavergabe ist essenziell, um die Wirkung einer neuen Einwanderungspolitik zu entfalten.
3. Mobilität erhalten und moderne Mobilitätskonzepte fördern
Ohne Mobilität ist Reisen nicht möglich. Klima- und Nachhaltigkeitsbestrebungen erfordern eine Transformation, insbesondere fossiler Mobilität bis 2030. Im Deutschlandtourismus spielt insbesondere der individuelle, motorisierte Verkehr eine zentrale Rolle. Touristische Angebote befinden sich häufig im strukturschwachen Raum, wo oft keine ausreichenden Alternativen durch öffentlichen Nah- und Fernverkehr angeboten werden.
Das Deutschlandticket ist eine kundenfreundliche sowie günstige Alternative für den Umstieg auf Bahn und Bus und wird für Tagesausflüge und Kurzreisen gerne genutzt. Es sollte fortgeführt werden. Das löst jedoch nicht das Problem für die Regionen, in denen kein oder nur ein unzureichender öffentlicher Nahverkehr existiert.
Für Familien mit kleinen Kindern, Senioren und Menschen mit Behinderungen stellen sich zusätzliche Probleme, weil es nicht ausreichend barrierefreie und zielgruppengerechte Mobilitätsangebote in Bahn oder Bus gibt. Auch für Fahrradreisende gibt es oft keine ausreichenden Kapazitäten. Wir setzen uns dafür ein, dass Reisen für alle möglich wird und zielgruppengerechte Angebote konsequent ausgebaut werden.
Damit die Bahn eine Alternative auch im grenzüberschreitenden Verkehr wird, muss Bahnverkehr europäischer gedacht werden. Takte müssen verdichtet und besser aufeinander abgestimmt und grenzüberschreitende Tarife ermöglicht oder optimiert werden. Das Nachtzugnetz muss bedarfsgerecht ausgebaut werden.
Die Frage von Mobilität stellt sich nicht nur auf der ersten und letzten Meile bei An- und Abreise, sondern auch vor Ort, wo viele Freizeitangebote nur per individuellem Verkehr erreichbar sind. Der Radverkehr bietet zwar für einige Zielgruppen und Ziele eine Alternative, nicht aber für alle und auch nicht ganzjährig. Elektrisch angetriebene Kleinbusse ohne Fahrer (peoplemover) stellen eine Lösung dar, die auch für touristische Regionen relevant ist. Wir setzen uns dafür ein, intelligente „On-Demand-Services“ und vernetzte, multimodale Mobilität sowie die Radinfrastruktur auszubauen.
Es darf keine Benachteiligung von Destinationen oder Quellmärkten geben, die derzeit nur auf dem Luft- bzw. Wasserweg erreichbar sind. Stattdessen müssen Bemühungen verstärkt bzw. weiterverfolgt werden, den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu ermöglichen.
Als Innovationspartei setzen wir uns nicht nur dafür ein, bestehende Mobilitätsformen zu erhalten oder anzupassen, sondern auch dafür, alternative Mobilitätskonzepte- und arten technologieoffen zu entwickeln.
4. Nachhaltigkeit
Tourismus nachhaltig zu gestalten, liegt im ureigensten Interesse der Branche. Wie der Klimawandel Geschäftsmodelle bedroht, zeigt sich beispielsweise in den Skigebieten in den Mittel- und Hochgebirgen. Der Kreuzfahrttourismus wird beim Thema Overtourism oft als Negativbeispiel genannt. Aber auch der pandemiebedingte Ansturm auf touristische Hotspots wie Nord- und Ostsee oder das Allgäu hat Anlass zur Kritik gegeben.
Der Wandel zu einer nachhaltigeren Gesellschaft ist verankertes Ziel im Koalitionsvertrag. Die Fortführung der Nationalen Tourismusstrategie hat Nachhaltigkeit und Digitalisierung als Schwerpunkte; auch auf EU-Ebene laufen mit der „Fit for 55-Agenda“ und dem “European Pathway for Tourism” Projekte, die eine Transformation der Tourismuswirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit im Blick haben. Ein nachhaltiger Tourismus beschränkt sich dabei nicht allein auf ökologische oder ökonomische Aspekte, sondern bezieht sich auch auf soziale Aspekte wie gute Arbeitsbedingungen und hohe Tourismusakzeptanz.
Die nachhaltige Transformation muss so gestaltet werden, dass die von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägte Tourismusbranche Schritt halten kann. Das gilt insbesondere, weil viele Unternehmen durch die Krisen geschwächt sind und es an Kapital für Investitionen mangelt. Wir setzen uns dafür ein, dass der Wandel durch passgenaue Förderprogramme und niedrigschwellige Weiterbildungsmöglichkeiten unterstützt wird.
Wir unterstützen Bemühungen, touristische Angebote nachhaltig auszugestalten. Die Verwendung von regionalen und nachhaltigen Produkten und die Kreislaufwirtschaft bieten dafür gute Ansätze. Besucherleitsysteme können entscheidenden Anteil daran haben, Tourismusströme zu entzerren, Einheimische und Gäste zu entlasten und Konflikte zu vermeiden.
Qualitätstourismus ist nachhaltiger Tourismus. Wir setzen auf Qualität im Tourismus und untermauern damit den Anspruch, gute und verantwortungsvolle Gastgeber zu sein. Zertifizierungen sollten freiwillig erfolgen.
Nutzungskonflikte im touristischen Kontext, zum Beispiel die Waldnutzung von Wanderern oder Sportlern, wollen wir unbürokratisch und interdisziplinär lösen.
Der internationale Tourismus spielt eine wichtige Rolle bei Naturschutz, Chancengleichheit, Gleichstellung und Diversität. Tourismus schafft Anreize zum Schutz von Natur und Umwelt und versetzt Länder und Regionen wirtschaftlich in die Lage, in Natur- und Umweltschutz zu investieren. Tourismus schafft Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen. Tourismus ist aktive Entwicklungshilfe mit hohem Potential für eine nachhaltige lokale Entwicklung.
Gesetzesvorhaben wie ein europäisches Lieferkettengesetz oder Taxonomie müssen so gestaltet werden, dass auch kleine und mittelständische Betriebe nicht unverhältnismäßig belastet werden. Das deutsche Lieferkettengesetz belastet unsere Unternehmen überproportional und verzerrt den Wettbewerb zu europäischen und nicht-europäischen Konkurrenten. Es sollte abgeschafft werden.
5.Digitalisierung
Digitalisierung ist Zukunftsentwicklung. Bereits jetzt dominiert der Online-Reisemarkt die Buchungen. Neue Anwendungen und Künstliche Intelligenz werden dies weiter forcieren. Anwendungen bieten Innovationspotential für Unternehmen, Destinationen und Gäste. Smartphones haben unser Leben bereits jetzt grundlegend verändert. Eine Reise planen, die Unterkunft buchen, sich über den Urlaubsort informieren oder eine Reservierung stornieren, das geht nun alles mit ein paar Klicks bequem unterwegs. Die digitale Vermarktung ist für viele touristische Unternehmen essenziell. Web- und Social-Media-Auftritte sorgen für Aufmerksamkeit und erschließen neue Kunden.
Vor allem in Bezug auf den Fach- und Arbeitskräftemangel bieten sich durch den Einsatz von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (zum Beispiel bei Beratung, Buchung, Check-in und Kundenmanagement aber auch bei Schichtplänen oder intermodaler Mobilität) sowie Automatisierung und Robotik (Koch- und Servierroboter, höhenverstellbare Betten für leichtere Reinigung von Zimmern) erhebliches Potential, um Prozesse zu optimieren, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlasten und Kosten zu sparen. Digitalisierung und Automation können Aufgaben erledigen, für die es aufgrund des Fach- und Arbeitskräftemangels kein Personal gibt. Fortschritte auf diesen Sektoren werden zu weiteren Erleichterungen führen.
Digitalisierung ist ein Innovator, der nicht nur die Art wie wir reisen weiter verändern wird. Mit Web 3.0, Blockchain und Augmented Reality werden sich Produkte sowie B2B- und B2C-Beziehungen verändern. Hier bietet sich Potential für deutsche Entwickler, für Anbieter und für Destinationen. Besonderes Augenmerk richten wir hierbei auch auf KI-Anwendungen im Tourismus, die Reiseerlebnisse verändern, ergänzen und verbessern werden. Durch das Knüpfen unmittelbarer, sicherer Netzwerke (Peer-to-Peer) erhöhen Blockchains zum Beispiel die Sicherheit und Nachvollziehbarkeit von Zahlungen, können Check-in-Zeiten oder Gepäckverfolgung durch einen unternehmensübergreifenden Datenaustausch verbessern und maßgeschneiderte, personalisierte Reisen auf Basis von Kundenpräferenzen ermöglichen. Die Architektur der Blockchain erlaubt dabei eine hohe Datensicherheit, Kunden entscheiden selbst, mit wem sie welche Informationen zu welchem Zweck teilen.
Die Potentiale der Digitalisierung müssen im Tourismus besser genutzt werden, zum Beispiel bei der Abfertigung von Fluggästen oder der Erteilung von Visa. Digitalisierung hilft, Herausforderungen wie Overtourism zu meistern und Tourismusakzeptanz durch Besucherlenkung und Besucherinformation zu erhöhen. Zielgruppengenaue Informationen auf dem Smartphone oder Tablet erhöhen die Attraktivität von Destinationen.
Für touristische Betriebe ist eine gute Internetanbindung das A und O. Veranstaltungsbranche und MICE-Sektor sind ohne nicht denkbar. Urlaubsgäste suchen ihr Quartier nicht mehr nur nach Preis, Komfort und Lage aus. Eine schnelle Internetverbindung ist für die meisten auch im Urlaub Grundvoraussetzung, egal, ob in der Großstadt, auf der Nordseeinsel oder im Eifeldorf. Ohne schnelles und zuverlässiges Netz gehen Trends wie digitale Nomaden und Workation an Deutschland vorbei.
Deshalb setzen wir uns für einen flächendeckenden Ausbau des Glasfasernetzes und des 5G-Netzes ein. Wir machen uns für funktionierendes, schnelles WLAN in Fern- und Regionalbahnen sowie an allen Bahnhöfen stark.
Digitalisierung ist auch ein wichtiger Baustein zur Entbürokratisierung, zum Beispiel durch digitale Meldescheine und Kurkarten, Online-Registrierungsverfahren und digitale Plattformen für den Datenaustausch. Mit dem Wegfall der Meldepflicht für einheimische Touristen ist ein erster Schritt getan. Wir unterstützen die Anwendung von Open Source in den Destinationen, um den Austausch von Daten und die Verfügbarmachung von Angeboten zu erleichtern.
Wir setzen uns für einen bundesweiten digitalen Check-in, unter anderem für das Deutschlandticket, in allen Verkehrsmitteln ein, um das Personal zu entlasten und das Kundenerlebnis zu verbessern, indem Verzögerungen und Wartezeiten vermieden werden.
Wir setzen uns dafür ein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die digitale Innovationen zulassen und fördern. Zugleich muss durch eine maßvolle Regulierung ein fairer Wettbewerb gewährleistet sein, um insbesondere auch mittelständischen Anbietern zu ermöglichen, sich auf dem Reisemarkt erfolgreich zu etablieren.
[1] Destatis 2021
[2] Staatliche Ausgaben ausgewählter Länder für die touristische Auslandsvermarktung (Wissenschaftliche Dienste des Bundestages 2022)
[3] Bundesagentur für Arbeit 2022
[4] Destatis 2023