Wir streben weiterhin die Erneuerung des Landes an

Die Entscheidung der FDP gegen Jamaika war "eine Investition in Glaubwürdigkeit und die Chance auf eine wirkliche Erneuerung des Landes, selbst wenn der Anlauf etwas länger ist", sagt Christian Lindner.

Christian Lindner
Christian Lindner ordnet das ereignisreiche Wahljahr 2017 ein
Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zieht FDP-Chef Christian Lindner positive Bilanz des bedeutsamen Wahljahres 2017. „Wir haben das Comeback geschafft. Die FDP regiert in drei Bundesländern und stellt eine starke Fraktion im Bundestag“, resümiert er. Bei Integration, Bildung, Digitalem und Energie setzten die Freien Demokraten neue Akzente in den Kabinetten. „Wir geben allen eine Stimme, die an die Selbstverantwortung der Menschen glauben und unser Land erneuern wollen“, verdeutlicht Lindner.

Ihren klassischen Werten sei die FDP treu geblieben, außerdem sei sie so unabhängig und angstfrei wie nie, so Lindner weiter. Die Entscheidung der FDP, die Jamaika-Gespräche zu beenden, sei „eine Investition in Glaubwürdigkeit und die Chance auf eine wirkliche Erneuerung des Landes, selbst wenn jetzt der Anlauf etwas länger ist“, betont er. Denn nach vier Wochen ernsthafter Sondierungen habe es keine gemeinsame Grundlage gegeben. „CDU und CSU strebten Kontinuität unter Frau Merkel an, also das Gegenteil von Veränderung oder Erneuerung. Die Grünen wollen Wirtschaft und Gesellschaft lenken und Menschen moralisch erziehen“, erklärt er. Beides passe nicht zu liberalen Werten: „Umso mehr staune ich über die Verwunderung, dass wir an unseren Wahlaussagen festgehalten haben. Wir sind mit unserer Entscheidung völlig im Reinen.“

Jamaika sei letztendlich nicht an der FDP gescheitert, sondern am Unwillen zu neuem Denken, stellt Lindner klar. „Die Klimaziele der Grünen hätte man nicht mit den alten Instrumenten von Quote, Subvention und gesetzlichem Kohleausstieg angehen sollen, sondern mit liberaler Technologieoffenheit und einem marktwirtschaftlichen CO2-Handel“, erläutert er. Auch die wichtige Aufgabe der Erneuerung Europas wäre aus seiner Sicht bei einer Jamaika-Koalition mit ihren fundamental unterschiedlichen Ansätzen denkbar schlecht aufgehoben gewesen. „Die Grünen wollen Risiken und Finanzen vergemeinschaften, wir wollen die finanzpolitische Eigenverantwortung und realwirtschaftliche Investitionen stärken.“ Dazwischen gebe es keinen Kompromiss.

FDP ist Anwalt der Mitte

Lieber stelle die FDP der Bundesregierung aus der Opposition heraus Konzepte entgegen, als im Kabinett den Bremsklotz zu spielen, so Lindner. „Eine solche Art von Koalition wäre zum Wählerbeschaffungsprogramm für die AfD geworden“, gibt er zu bedenken. Stattdessen wolle die FDP der Anwalt für die Mitte der Bevölkerung sein: „Als die Partei, die Fortschritt nicht fürchtet, sondern beschleunigen will. Und die an einem Erneuerungsprojekt für die nächste Dekade arbeitet, das an Gerhard Schröders Agenda 2010 anknüpft – oder das sich davon inspirieren lässt, was Macron in Frankreich macht.“ (ch)