Befreiung und Erneuerungsgeist in Stuttgart
Die Dreikönigskundgebung der Freien Demokraten in Stuttgart wurde medial intensiv verfolgt. Das Portal Liberal hat die Reaktionen der Presse auf die Reden für Sie zusammengetragen.
FDP-Chef Christian Lindners Ansprache beim Dreikönigstreffen sei „eine Rede, präzise, pointiert, logisch und kohärent, wie sie selten gelingt“, lobt Christoph Schwennicke auf Cicero.de. „Die Grundmelodie: Warum es keinen Sinn macht, einer Frau zur erneuten Kanzlerschaft zu verhelfen, die ihre ganz Regierungszeit von der ‚Reform-Dividende‘, wie Lindner es nennt, ihres Vorgängers gelebt habe, die zudem Probleme geschaffen habe, die man endlich wieder klein machen müsse, weil diese ‚die AfD erst groß gemacht haben‘. Die Lindner-FDP, so das Signal aus Stuttgart, ist jederzeit bereit für eine Zusammenarbeit mit einer neuen Generation der Macrons und Reformwilligen bei Union, Grünen und SPD. Nicht aber für das Ancien Régime einer Angela Merkel und all jener, die es stützen.“
Der Beifall für Lindner auf dem Dreikönigstreffen sei kräftig gewesen, berichtet Eckart Lohse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Unter normalen Umständen wäre das so überraschend wie die Wirkung der Erdanziehungskraft gewesen“, betont er. Doch die Umstände seien seit dem Ausstieg aus dem Jamaika-Sondierungen nicht normal. „Lindner brauchte allerdings die Bestätigung nicht. Es dürfte niemanden geben, der die Stimmung in der FDP so gut kennt wie er. Vier Jahre lang, bis zum Herbst vorigen Jahres, hat er tagein tagaus fast nichts anderes gemacht, als das Land zu bereisen und mit FDP-Mitgliedern zu sprechen“, hebt Lohse hervor. „Vielleicht kannte Helmut Kohl die CDU ähnlich gut, viele weitere Beispiele dieser Art fallen einem nicht ein.“
„Beim ersten großen Treffen der Liberalen nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen verteidigt FDP-Chef Christian Lindner seine Entscheidung und ruft zur Modernisierung Deutschlands auf“, resümiert Dana Heide für das Handelsblatt. Lindners Kernbotschaft für diesen Jahresauftakt: „Die FDP steht für Erneuerung, und das wäre in einer Jamaika-Koalition nicht möglich gewesen. Am Ende gibt es stehende Ovationen.“
Seit dem Ausstieg aus den Sondierungen gebe es zwar Gegenwind, so Ulf Poschardt in der Welt am Sonntag. Die Umfragen für die FDP hätten etwas nachgegeben, seien aber stabiler, als sich die Lindner-Apokalyptiker das wünschen würden. „Unter den galligsten Stimmen finden sich die Freunde einer schwarz-grünen Koalition, die bis heute nicht verwinden konnten, dass die über Jahrzehnte so geschmeidigen Koalitionsopportunisten aus dem Thomas-Dehler-Haus programm- und inhaltsdefinierte Sturköpfe geworden sind“, erklärt Poschardt. „Der Zorn von Unionisten wie Grünen über die FDP verdeutlicht, wie weitsichtig der Ausstieg aus den chaotischen Verhandlungen war. Die Gräben zwischen schwarzen und grünen Konservativen und der FDP sind tiefer denn je.“
In der Frankfurter Rundschau stellt Timot Szent-Ivanyi „nur leises Grummeln“ in den Reihen der FDP fest. „Die Partei weiß, wie viel sie ihrem Parteichef verdankt. Er hat die FDP vor dem Untergang gerettet und wieder in den Bundestag geführt. Trotz des Jamaika-Ausstiegs verzeichnet die FDP in diesem Jahr mit 12.300 Neumitgliedern einen neuen Aufnahmerekord, etwa sechs Millionen Euro wurden der Partei gespendet – das ist die höchste Summe seit der Gründung.“
Grund für Optimismus sieht Heike Göbel darin, dass das an den Freiheitsrechten des Bürgers orientierte Angebot der FDP eine wachsende Marktlücke im Wettbewerb der politischen Ideen füllen könne. Diese Lücke werde noch spürbarer werden, „wenn sich die geschrumpften Volksparteien abermals auf der Basis großer Ausgabenprogramme zusammentun, ohne Rücksicht auf Steuerlast, Sozialbeiträge, Fehlanreize“, kommentiert Göbel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Der FDP wird man umso eher zuhören, je mutiger sie für ihre Sache streitet und je ehrlicher sie argumentiert.“
Antje Sirleschtov verweist im Tagesspiegel auf die Bedeutung der anstehenden Wahlen in Bayern und Hessen. Sie vergleicht den jungen, intelligenten, eloquenten und mutigen Lindner mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, konstatiert jedoch, dass die Folgen des Jamaika-Ausstiegs für die FDP und ihren Chef noch ungewiss seien. „Seit jenem Tag schwankt die Republik zwischen Hochachtung vor diesem 39 Jahre alten Mann, und Verachtung“, so Sirleschtov. „Bis zu den Wahlen im Herbst hat Lindner also Zeit, zu beweisen, dass der Sieg 2017 keine Eintagsfliege war und die Entscheidung, Jamaika platzen zu lassen, strategisch richtig.“
„Es ist kein Zufall, dass Lindner und die Seinen auffällig häufig mutmaßliche Merkel-Skeptiker aus den Reihen der Union loben und zu einer lebhaften Debatte aufrufen“, argumentiert Thomas Maron für die Stuttgarter Nachrichten. Eine Antwort und ein Gegenmodell wolle Lindner so entwickeln zu den Regierungen der vergangenen Jahre, „in denen zwar Minister und die Juniorpartner SPD und FDP kamen und gingen“, aber die Kanzlerin stets geblieben sei. „Der von den Kritikern Gejagte will so selbst Jäger werden. Großwildjäger. Die Beute, die er an Dreikönig verspricht? Merkel. Und die Aussicht auf eine liberale Handschrift in einer Koalition mit einer erneuerten Union nach dem Ende der Ära dieser Kanzlerin. Mal sehen, wie lange die FDP bereit ist, auf den Zahltag zu warten.“
Für die dpa schreibt Ruppert Mayr: „Mit einer Portion Genugtuung dürfte Lindner beobachten, wie nervös man in der CDU nun unbedingt versucht, dass es doch noch mit der SPD klappt, um eine Minderheitsregierung zu vermeiden. Wenn es nicht klappen sollte mit der SPD, sitzt Merkel auf einem wackligen Stuhl, da dürfte sich auch die Kanzlerin keinen Illusionen hingeben.“ Doch vorerst beginne für die FDP die Oppositionsarbeit. (ch)