LV Schleswig-Holstein
Zeitenwende: Das Land, das wir sein wollen.
Zeitenwende: Das Land, das wir sein wollen.
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat Europa in eine der schwersten Krisen nach dem Zweiten Weltkrieg gebracht. Auf dem Spiel stehen neben dem Bestand der Ukraine die Sicherheit und Stabilität in Europa sowie die weltweite Ächtung von Angriffskriegen. Kurz: Es geht um die Freiheit. Wir Freie Demokraten haben in der Koalition unmittelbar gehandelt: mit der Einleitung einer Zeitenwende und einem Sondervermögen zugunsten der Bundeswehr haben wir entschieden, die Zeiten des Stillstands hinter uns gelassen. Zudem haben wir Maßnahmen gegen den Energiemangel, die gestiegenen Strom- und Wärmepreise und die höchste Inflation seit 70 Jahren erreicht. Wir tragen dafür Sorge, dass Deutschland gemeinsam mit seinen Verbündeten die Ukraine langfristig unterstützt durch die Lieferung einer Vielzahl dringend benötigter Waffensysteme, die Ausbildung von Soldatinnen und Soldaten und die Bereitstellung von humanitären Hilfsgütern.
Der Krieg und seine Konsequenzen vergrößern die Ansammlung von Herausforderungen, denen wir als Gesellschaft gegenüberstehen: Globale Erderwärmung, unsicherer Wohlstand, Angriffe auf die Demokratie, Alterung der Gesellschaft, Artensterben, Gefahren durch Pandemien und Antibiotikaresistenzen sind einige davon.
Wir Freie Demokraten glauben, dass es in diesem historischen Moment eine Zeitenwende braucht, die größer und weiter ist als die Ertüchtigung unserer Bundeswehr. Genau wie Russland es ausgenutzt hat, dass wir vor dem Krieg in eine Abhängigkeit von russischen Energieimporten gebracht worden sind, so sind viele andere der aktuellen Herausforderungen – vom Klimawandel bis zur unsicheren Rente – heute nur deswegen so groß, weil wir nicht gestern schon gehandelt haben. Zum Teil wurde sogar aktiv entgegen der Realität gehandelt und Probleme verschärft, etwa durch die immer weitere Belastung der Rentenkassen. In jedem Fall war es Untätigkeit bei der Lösung der Herausforderungen. Dabei wussten wir es oftmals besser. Wir wissen, Untätigkeit hat seinen Preis.
Die Zeitenwende ist kein Anlass zum Umkehren und zur Aufgabe von unseren Werten. Wir haben in der Vergangenheit gerade als freiheitliche demokratische Gesellschaft die Herausforderungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, der Ölkrise, des Kalten Kriegs und das Geschenk der Wiedervereinigung gemeistert. All das ist uns nicht deshalb gelungen, weil wir unsere Werte aufgegeben haben, sondern weil wir unsere Werte auf der Höhe der jeweiligen Zeit mit Taten neu zur Geltung gebracht haben.
Nutzen wir die Zeitenwende als einen solchen Moment der Klarheit und Reflexion. Es ist Zeit, die Dinge anzupacken, von denen wir schon lange wissen, dass sie nicht richtig laufen und wir es eigentlich besser können. Für diese Zeitenwende stehen wir Freie Demokraten. Dabei muten wir uns auch Selbstkritik zu. Für eine Zeitenwende im Zeichen der freiheitlichen demokratischen Gesellschaft wollen wir Freie Demokraten unter anderem:
- die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr vollständig wiederherstellen. Unsere freiheitlich demokratischen Werte, strategischen Interessen und unsere NATO-Partner müssen es uns wert sein, dass wir sie auch tatsächlich verteidigen können. Daran dürfen in Zukunft keine Zweifel mehr bestehen. Wir können und dürfen den schlechten Zustand der Bundeswehr nicht als unlösbar hinnehmen. Dafür wollen wir Freie Demokraten, dass Deutschland dauerhaft mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Ausstattung und Unterhaltung der Bundeswehr einsetzt. Wir wollen nicht nur mehr Material und moderne Waffensysteme, sondern auch effiziente Entscheidungsstrukturen bei der Beschaffung und der politischen und militärischen Führung. Der wehrtechnischen Industrie muss langfristig Sicherheit gegeben werden, damit in kurzer Zeit Produktionskapazitäten bedarfsgerecht aufgestockt werden können. Eine einsatzfähige Bundeswehr ist notwendig für das Ziel einer handlungsfähigen Außen- und Sicherheitspolitik. Um die größtmögliche Souveränität und Sicherheit zu erreichen, gehen wir Freie Demokraten die nächsten Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Wir wollen die Stärkung der Bundeswehr als Beitrag dazu, genau wie die nachhaltige Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit als zivile Friedenssicherung und eine Anpassung des Zivil- und Katastrophenschutzes auch als Aufgabe der Länder und der Kommunen an die neue Bedrohungslage.
- dem Kampf für die beste Bildung und Bildungsgerechtigkeit neue Kraft widmen. Wir Freie Demokraten müssen feststellen, dass wir bisher nicht die notwendige gesellschaftliche Bewegung für modernste Bildung in Deutschland ausgelöst haben. Dieses Land darf nicht weiter akzeptieren, dass der Bildungserfolg vom Elternhaus abhängt und in Deutschland 19 Prozent der Viertklässler selbst einfache Texte nicht verstehen und 22 Prozent nicht grundlegend rechnen können. Erreichen wir mehr für die Lebenschancen unserer Kinder und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wir Freie Demokraten mobilisieren, stellen Strukturen in Frage, starten neue Initiativen und fordern in den Ländern die politische Übernahme von Verantwortung bei schlechten Ergebnissen.
- die Wirtschafts- und damit die Wohlstandskraft nachhaltig stärken. Wohlstand bedeutet nicht zuletzt eine geheizte Wohnung, bezahlbare Lebensmittel und eine vernünftige Versorgung im Alter. Das wollen wir nicht aufs Spiel setzen. Dafür braucht es auch eine ökonomische Zeitenwende im Angesicht von teureren Energieimporten, einem veränderten Welthandel, dem Fachkräftemangel und dem falschen weltweiten Wettkampf um die höchsten Subventionen. Es ist Zeit, dass Deutschland sich um seine Wettbewerbsfähigkeit aktiv bemüht, den Freihandel gerade mit Demokratien stärkt und beengende Papier-Bürokratie nicht mehr als liebenswürdige deutsche Marotte hinnimmt. Entwickeln wir Lust, das Einwanderungsland für Menschen zu sein, die mit uns anpacken wollen. Machen wir es attraktiver und leichter, insbesondere für ältere Menschen und Frauen, zu arbeiten. Wägen wir vernünftig ab, ob anstelle von Importen auch die übergangsweise Nutzung einheimischer fossiler Energieressourcen sinnvoll ist. Dabei müssen Klimaschutz und grundlastfähige Energieversorgung zusammengehen, indem wir die Laufzeit noch aktiver Kernkraftwerke verlängern und die Reaktivierung kürzlich abgeschalteter Kernkraftwerke prüfen, um die Verbrennung insbesondere von klimaschädlicher Kohle zu vermeiden. Bei allem gilt: Wir wollen eine ökonomische Zeitenwende, die Wohlstand für alle bringt. Gerade mit Blick auf die Inflation braucht es in den nächsten Jahren konkrete Maßnahmen, damit die Menschen im Mittelstand am Wohlstandsgewinn teilhaben, ihre Kaufkraft wieder steigt und sie sich etwas aufbauen können. Deutschland kann Aufstiegsland sein.
- die Planung und den Bau von Großprojekten sowie insbesondere von Verkehrs- und Energieinfrastruktur beschleunigen. Wir stehen uns selbst im Weg beim Ausbau der Grundlagen, um unsere Ideen in die Realität umzusetzen. Eine 30jährige Baustelle wie die A20 oder über 15 Jahre für die SuedLink-Stromtrasse rauben Kraft für andere Projekte. Werden wir schneller bei allem, was uns nach vorne bringt, seien es z.B. Windkraftanlagen, Schienen, Straßen oder Energieleitungen. Was wir wollen, müssen wir auch umsetzen. Kein Projekt darf bewusst verzögert werden. Deswegen fordern wir in der Ampelkoalition die konsequente Einhaltung des Koalitionsvertrags durch die Halbierung der Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dazu gehört auch die Zustimmung zum Planungsbeschleunigungsgesetz.
- bisher ungenutzte Potentiale für den Klimaschutz mobilisieren. Zu lange wurde in Deutschland die Debatte um guten Klimaschutz verengt auf die Einsparung von Treibhausgasemissionen. So wurden Technologien zur Abscheidung von Treibhausgasen tabuisiert und Widerstände vermieden. Dabei geht auch der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) davon aus, dass zur Erreichung der Pariser Klimaziele bis zum Ende des Jahrhunderts im Mittel 665 Gigatonnen CO2 der Atmosphäre entzogen werden müssen. Das entspricht weit mehr als der Menge von zehn Jahren globaler Emissionen. Neben natürlichen Speichern, wie Wälder, Moore und Pflanzen, die durch die verfügbare Fläche begrenzt sind, tun wir daher gut daran, auch die sicheren und erprobten Technologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) sowie -Nutzung (CCU) anzuwenden. So haben beispielsweise geologische Untersuchungen gezeigt, dass sich die Sandstein-Formationen unter der deutschen Nordsee dazu eignen, bis zu 10 Gigatonnen CO2 zu speichern. Dies schafft neue Perspektiven für die Industrie und dadurch ein Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung. Denn eine nachhaltige Entwicklung beim Klimaschutz erreichen wir nur durch einen global erfolgreichen Klimaschutz. Klimaschutz hier muss Menschen weltweit überzeugen und andere Länder motivieren. Es braucht globalen Erfolg gegen die globale Erderwärmung. Zu einer umfassenden Antwort auf den Klimawandel gehört auch der Aufbau von Klimaresilienz, also Anpassung an und Widerstandsfähigkeit gegen die Folgen des Klimawandels. Dies steht nicht im Widerspruch zum Klimaschutz. Eine nachhaltige Entwicklung im Interesse der Menschen muss beides umfassen. Wir können den Klimawandel begrenzen, sind seinen Folgen aber auch nicht ausgeliefert.
- unser Land und Europa als Ort der Forschung und Innovation neu beleben. In der Vergangenheit wurden Forschung und Innovation zu viele voreilige Grenzen gesetzt, aber gleichzeitig wurde von der Anstrengung anderer bereitwillig profitiert. Das gilt etwa für die im Ausland erzielten Erfolge bei der Embryonenforschung. Die Entscheidung Biontechs, einen Teil der Forschungsarbeit in Großbritannien und damit sogar außerhalb der EU durchzuführen, muss uns ins Handeln bringen. Unsere Zeitenwende verlangt mehr Offenheit bei der Forschung und eine aufgeklärte, risiko- und chancenbewusste Nutzung von Ergebnissen. Dies gilt auch für neue Züchtungstechniken in der Lebensmittelproduktion sowie Kernfusion und - spaltung. Technologieoffenheit ist dabei Grundprinzip eines Landes der Denker und Tüftler.
- ein gerechtes und funktionierendes System von Bleiberechten und Abschiebungen. Acht Jahre nach der Flüchtlingskrise schieben wir immer noch zu oft die Falschen ab und zu selten die Richtigen. Mit dem neuen Chancen- Aufenthaltsrecht erhalten bereits mehr fleißige, gut integrierte Flüchtlinge die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Aber der tödliche Messerangriff von Brokstedt hat uns schmerzlich daran erinnert, dass noch zu oft keine Abschiebung erfolgt, obwohl kein gesichertes Bleiberecht besteht oder ein entsprechendes abzuerkennen ist. Dies dürfen wir nicht akzeptieren. Dieser Zustand erschwert nicht nur Integrationsbemühungen, er beschädigt auch die Akzeptanz des Rechtsstaats und des Asylrechts und kann sogar eine Gefahr für Menschenleben sein. Damit Abschiebungen bei den Richtigen funktionieren, setzen wir Freie Demokraten auf eine verstärkte Zusammenarbeit von Strafverfolgungs- und Ausländerbehörden. Im Sinne eines Umgangs auf Augenhöhe mit den Herkunftsstaaten ist es zudem legitim, bei der Aushandlung von Rückführungsabkommen Erleichterungen bzw. Erschwernisse bei Visaregelungen in Aussicht zu stellen. Nicht zuletzt die aktuellen Herausforderungen bei der Unterbringung und Integration haben gezeigt, dass auch beim Zugang nach Deutschland weiterhin Handlungsbedarf besteht. Wir Freie Demokraten stehen für geregelte Aufnahme statt unkontrollierter Einreise. Unser Ziel ist daher eine europäisch getragene Lösung für eine steuerbare Aufnahme von Flüchtlingen.
- die Gesundheitsversorgung auch in der Fläche sicherstellen. Seit Jahren blicken wir in ländlichen Regionen auf einen zunehmenden Ärztemangel. Dabei verlangen nicht nur Chancengerechtigkeit zwischen Stadt und Land, sondern auch die Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft wirksame Gegenmaßnahmen. Wir Freie Demokraten werden daher insbesondere Maßnahmen ergreifen für eine bessere regionale Verteilung von Ärztinnen und Ärzten und eine Vergrößerung des Anteils an Allgemeinmedizinern in der Aus- und Weiterbildung.
- Europäische Demokratie und Bürgerkultur als zivilisatorische Errungenschaften nicht nur verteidigen, sondern auch weiterentwickeln. Zu lange haben wir die Angriffe von innen und außen gegen unsere Demokratie wenn dann nur abgewehrt. Zu wenig beschäftigen wir uns mit dem Anteil von Nichtwählern – bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr 40 bis 45 Prozent – und den Abgehängten und Enttäuschten in unserer Gesellschaft. Es ist Zeit, die Demokratie als Regierungs- und Lebensform auch neu zu entdecken, Bürgerkultur z.B. durch Einbürgerungszeremonien aktiver zu pflegen und Vorschläge für die nächsten Schritte auf dem langen Weg zu einem europäischen Bundesstaat zu machen.
Wir Freie Demokraten haben in der Ampelkoalition in vielen Bereichen bereits Fortschritte erzielt. Wir Freie Demokraten wollen diesen Weg weiter gehen. Es liegt in unser aller Hand und in der jedes und jeder Einzelnen, ob wir die Krisen nur überstehen, oder gestärkt aus ihnen hervorgehen.
Wir können das Land werden, das wir sein wollen. Es steckt in uns. Besinnen wir uns auf die Kraft der Freiheit.
Begründung
Erfolgt mündlich.