Bundesvorstand der Liberalen Senioren
Rente neu denken. 3-Phasen-Schritte umsetzen
Rente neu denken. 3-Phasen-Schritte umsetzen
In Deutschland ist die gesetzliche Rentenversicherung im sogenannten Umlageverfahren finanziert, das heißt, die aktiv arbeitenden Versicherungspflichtigen finanzieren die aktuellen Rentenempfänger und schaffen sich durch ihre Beiträge einen eigenen Rentenanspruch, der sich aus der Beitragshöhe, der Gesamtversicherungszeit und der Bewertung der „Rentenpunkte“ ergibt. Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland (demografische Entwicklung) führt dieses System mehr und mehr an die Grenze der Finanzierbarkeit. Standen 1950 einem Rentner noch sechs Beitragszahler gegenüber, sind es 2010 nur noch drei und in 15 Jahren nur noch zwei. Der Bundeshaushalt wird durch Ausgleichszahlungen in die Rentenversicherung – je nach Gesamtvolumen des Haushaltes – zwischen 20 Prozent und 25 Prozent belastet. Eine weitere Steigerung ist hier nur noch durch Streichung anderer Leistungen oder nicht mehr möglich. Die politischen Festlegungen zurzeit (Rentenniveau nicht unter 48 Prozent und Beitragssatz nicht über 22 Prozent) entsprechen nicht der demografischen Entwicklung und sind nicht ausreichend gegenfinanziert. Bereits jetzt fehlen nach wissenschaftlichen Berechnungen (Prof. Raffelhüschen a. a. O., 2022) im Jahre 2025 drei Billionen Euro als dafür notwendige Rücklage in der Rentenkasse. Trotz dieser – bekannten – Tatsachen haben die großen Koalitionen von 2013 bis 2021 die Leistungen aus der Rentenkasse ausgeweitet. Diese kommen in der Regel nur einem begrenzten Personenkreis zugute und sind ebenfalls nicht ausreichend gegenfinanziert bzw. setzen auf weiter steigende Einnahmen aus steigender Beschäftigung.
Beispielhaft seien erwähnt:
- Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren ohne Abschlag
- Mütterrenten I und II
- Aussetzen des Nachholfaktors
- Erhöhung des Reha-Budgets bis 31.12.2050
- Einführung der sogenannten Grundrente
- Die doppelte Haltelinie entgegen dem tatsächlichen Verlauf (Demografie !)
Alle diese Maßnahmen bewirken in Summe, dass der Anstieg der Finanzierungsbelastung in der Rentenversicherung durch die Demografie um 10 Jahre vorgezogen wurde. Beitragssatzsteigerungen und Beanspruchung des BIP sind nun bereits 2040 fällig, nicht erst 2050. Nur aus Änderungen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung oder Erhöhungen der Ausgleichszahlungen im Bundeshaushalt lassen sich die Probleme nicht (mehr) lösen. Der Ansatz muss breiter aufgestellt sein.
I. Phase „Änderungen vor Renteneintritt“
1. Potential älterer Arbeitnehmer heben
Das gesetzliche Renteneintrittsalter in Deutschland steigt kontinuierlich bis 67 Jahre. Der tatsächliche Renteneintritt ist zurzeit bei ca. 64 Jahren. Lange war für die Wirtschaft/Arbeitgeber die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer nur eine Kostenbelastung. Erst seit der Jahrtausendwende stellt sich hier eine Veränderung ein. Während im Jahr 2000 nur etwa jeder Neunte im Alter von 60 bis 64 Jahren einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachging, war es im Frühjahr 2022 bereits jeder Zweite (SPIEGEL, Nr. 8, 2023). Im Zusammenspiel zwischen Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften müssen diese Potentiale besser ausgeschöpft werden. Politische Fehlanreize zur Frühverrentung sind zu beseitigen. Dazu gehört auch, starre „Zwangsverrentungen“ durch Erreichen einer Altersgrenze abzuschaffen.
2. Potentiale der Arbeitslosen bzw. der Schulabgänger ohne Abschluss und/oder Ausbildung verstärkt fördern
Nach einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit ist ein großer Teil der arbeitslos gemeldeten Bürger nicht oder nicht mehr für den Arbeitsmarkt zu vermitteln (aus unterschiedlichen Gründen). Trotzdem bleibt eine große Zahl an Bewerbern übrig, die bei entsprechenden Anstrengungen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden können. Dazu ist ein Sonderförderprogramm in Abstimmung aller Beteiligten unverzüglich aufzulegen.
In der Schule und im Ausbildungsbereich bleiben zu viele Jugendliche ohne einen qualifizierenden Abschluss. Dies darf nicht mehr einfach hingenommen werden. Hier muss die Bildungspolitik deutlich stärker mit der Arbeitsmarktvorbereitung zusammenarbeiten. Wir können uns Schulabbrecher nicht mehr leisten.
3. Arbeitsaufnahme ausländischer Arbeitnehmer deutlich vereinfachen
Neben einem deutlich verbesserten Arbeitskräfteeinwanderungsgesetz ist vor allem die Gesetzes-/Vorschriftenlage zur Anerkennung ausländischer Diplome und Abschlüsse zu verbessern, vor allem zu beschleunigen. Es kann nicht sein, dass im Einzelfall bis zu 24 Monate vergehen, ehe eine ausländische Arbeitskraft die entsprechende Tätigkeit gemäß ihrer fachlichen Qualifikation in Deutschland aufnehmen kann.
4. Niedriglohnsektor überprüfen
Mit der „Agenda 2010“ wurde in Deutschland der Zugang zum sogenannten „Niedriglohnsektor“ wesentlich erleichtert, um hauptsächlich Beschäftigung zu schaffen. Dies ging allerdings oft zulasten der beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. In Deutschland sind ca. 20 bis 25 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor tätig. Im europäischen Vergleich stehen wir damit an der Spitze. Wer nur im Niedriglohnsektor arbeitet, hat keine Chance, eine ausreichende Rente über Grundsicherungsniveau zu erreichen, sofern überhaupt Beiträge für die Rentenversicherung geleistet werden. Der Zugang in diesen Bereich ist zu prüfen (zum Beispiel Leiharbeit). Ziel muss ein stärkerer Anteil „vollwertiger“ Beschäftigungsverhältnisse mit Versicherungspflicht sein.
5. Pflicht zur Rentenversicherung für Selbständige
Eine große Zahl Selbständiger arbeitet ohne bzw. ohne ausreichende Absicherung für das Rentenalter, viele davon als sogenannte „Soloselbständige“ im Niedriglohnbereich. Wir fordern deshalb eine Pflicht zur Versicherung für alle Selbständigen bei freier Wahl des Versicherungsträgers. Selbstverständlich gelten bisherige Verträge bzw. berufsständische Regelungen vorrangig. Ziel ist eine Absicherung über Grundsicherungsniveau.
II. Änderungen im Rentensystem
1. Überprüfen bzw. Beenden von „Sonderregeln“
Leistungen, die nur einen begrenzten Personenkreis betreffen und nicht durchfinanziert sind, müssen überprüft werden. Ziel ist, keine weiteren Anwartschaften in diesen Sektor Leistungen zu schaffen. In bestehende Verträge wird nicht eingegriffen.
Beispiele sind hier die Rente mit 63, die Grundrente ohne ausreichende Gegenfinanzierung und die Fortführung der doppelten Haltelinie entgegen der demografischen Entwicklung über 2025 hinaus.
2. Prüfen der Anspruchsberechtigung für die gesetzliche Rentenversicherung
In Deutschland besteht zurzeit ein Rentenanspruch nach 60 Beitragsmonaten. Das Haushaltsbegleitgesetz von 1984 hatte damals die Wartezeit für einen Rentenanspruch auf das Altersruhegeld von 180 auf 60 Monate gesenkt. Eine Erhöhung der Anwartschaftszeit auf 180 Monate ist zu prüfen. Damit würden auch einige „Geringrenten“ verhindert, die deutlich unter der Grundsicherung bleiben.
3. Kapitalgedeckte Rentensäule ausbauen
Die demografische Entwicklung in Deutschland macht eine kapitalgedeckte zweite Säule zwingend notwendig. Die bereits vorhandene Anschubfinanzierung ist kontinuierlich auszubauen.
Nachrichtlich: um den Beitragssatz in der Rentenversicherung um einen Prozentpunkt zu senken, müsste der Kapitalstock bei einer Dividendenrendite von 5 Prozent ca. 340 Milliarden Euro betragen.
III. Forderungen zur Umgestaltung
1. Keine Scheinlösungen umsetzen
Das große Problem der gesetzlichen Rentenversicherung ist die Demografie. Diese betrifft aber alle Versicherungsformen.
Die oft geforderte Einbeziehung von Beamten, Selbständigen und Mandatsträgern ist dafür keine Lösung, denn sie schafft die demografische Entwicklung nicht ab. Außerdem erhöht die Zahl „neuer“ Beitragszahler auch die Anspruchsberechtigten. Das bleibt ein „Nullsummen-Spiel“.
2. Betriebliche Zusatzversorgung und private Altersvorsorge fördern und vernetzen
Ohne zusätzliche Versicherungen für den Ruhestand ist die Aufrechterhaltung eines angemessenen Lebensstandards nicht mehr möglich. Die gesetzliche Altersrente kann diesen Effekt immer weniger leisten.
Der Gesetzgeber muss deshalb die Angebote der betrieblichen Zusatzrenten erweitern, die Einführung erleichtern und die Verfügbarkeit für den Arbeitnehmer auch bei Arbeitgeberwechsel sicherstellen. Zusätzlich muss die Notwendigkeit für zusätzliche Altersvorsorge durch öffentliche Information deutlich gemacht und durch die steuerlichen Rahmenbedingungen auch möglich gemacht werden.
Begründung
Die bisherige gesetzliche Rentenversicherung kann aufgrund der demografischen Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland weitgehend nur noch eine Grundabsicherung sein. Eine Fortführung des bisher geltenden Systems ohne weitere Änderung würde ab 2035 (dem Eintritt der sogenannten „Babyboomer“ in das Rentenalter) zum Anstieg der Rentner um 4 Millionen und umgekehrt zum Verlust von ebendiesen als Beitragszahler führen. Die Finanzierung der Rentenansprüche wäre dadurch erschwert bzw. unmöglich. Eine offene, an der Sache orientierte Diskussion ist deshalb sowohl dringend notwendig als auch unausweichlich.