Antragsbuch für den 74. Ordentlichen Bundesparteitag

LV Baden-Württemberg

Die Lehren aus der russischen Versorgungsabhängigkeit ziehen – langfristig sichere, bezahlbare und verlässliche Energieversorgung durch Wettbewerb und Technologieoffenheit

Die Lehren aus der russischen Versorgungsabhängigkeit ziehen – langfristig sichere, bezahlbare und verlässliche Energieversorgung durch Wettbewerb und Technologieoffenheit

Die Folgen des russischen Überfalls auf die souveräne Ukraine haben deutlich gemacht, wie abhängig Deutschland von Energieimporten aus dem Ausland ist. Die Strategie, einerseits zeitgleich aus der Kernenergie und der Kohleverstromung auszusteigen, und andererseits die Abhängigkeit von russischem Gas zu erhöhen, hat sich als Sackgasse entpuppt.

Die Menschen und Unternehmen in Deutschland brauchen heute, morgen und übermorgen eine sichere, bezahlbare und verlässliche Energieversorgung. Appelle zum Energiesparen und Verzichtsforderungen sind in einem Industrieland wie Deutschland kein Ersatz für eine Energieversorgungsstrategie. Deutschland muss seine eigenen Energiepotenziale ausschöpfen und nutzen. Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wir können von anderen Ländern nicht fordern, uns aus Gründen der Solidarität im Krisenfall mit Strom und Flüssigerdgas zu beliefern, und gleichzeitig die Technologien, mit denen diese Länder ihren Strom und ihr Flüssigerdgas produzieren, für Deutschland ablehnen.

Für uns Freie Demokraten ist klar: Wir dürfen uns nie mehr in einseitige Abhängigkeiten von einem einzelnen Land als Energielieferant begeben. Wir müssen neben multilateralen politischen Maßnahmen vor allem bei der Diversifizierung von Lieferländern, -routen und -quellen sowie der Energieeffizienz ansetzen.

Der Umstieg von einer fossil dominierten Energieversorgung zu den Erneuerbaren Energien wird die Bedeutung und Rolle der Stromversorgung verstärken. Die Stromversorgung gehört zu den kritischen Infrastrukturen, deren Ausfall oder Beeinträchtigung dramatische Folgen hat. Sämtliche Technologien und Energieträger müssen daher die Chance bekommen, sich marktwirtschaftlich zu behaupten und eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Dabei müssen alle Technologien gleichermaßen volkswirtschaftlich betrachtet werden und der komplette Prozess von der Rohstoffgewinnung über den Betrieb bis zu Entsorgung und Recycling berücksichtigt werden.

Wir Freie Demokraten bekennen uns zu den Pariser Klimazielen. Als wirksamstes Instrument zur Erreichung dieser Ziele hat sich der von unserem damaligen FDP-Europaabgeordneten Manfred Vohrer 1991 mit dem „Bericht zu ökonomischen und fiskalischen Instrumenten der Umweltpolitik“ in die politische Debatte eingebrachte Europäische Emissionshandel (EU-ETS) erwiesen. Wir unterstützen die laufenden Bestrebungen zum weiteren Ausbau und zur Stärkung dieses marktwirtschaftlich organisierten Instruments.

Damit es im Rahmen des EU-ETS einen fairen Wettbewerb der Technologien geben kann, müssen jedoch zahlreiche politisch gesetzte Rahmenbedingungen geändert werden. Dazu gehören die folgenden Handlungsfelder:

1. Erdgas

Auch in den nächsten Jahren wird Erdgas aller Voraussicht nach weiter eine Rolle als eine Übergangsenergie spielen. Der Ausbau der Flüssiggas (LNG)-Terminals verringert unsere Abhängigkeit von den Terminals unserer europäischen Nachbarn. Das Angebot an importiertem Flüssiggas wird voraussichtlich langfristig über unseren bisherigen Kosten des Gaseinkaufs bleiben. Hinzu kommt, dass der Transport über weite Strecken weder ökologisch noch ökonomisch effizient ist. Deshalb wollen wir es gesetzlich ermöglichen, kurzfristig und für die Absicherung des Übergangs in die klimaneutrale Energieversorgung, auch die deutschen Erdgasvorkommen zu nutzen. Grundsätzliche und politisch motivierte Verbote der Erschließung von Gasfördermöglichkeiten lehnen wir ab.

Beim Ausbau der Versorgungs- und Verbrauchs-Infrastruktur (Pipelines, Speichersysteme, Turbinen) ist maximale Kompatibilität mit zukünftiger Wasserstoffversorgung sicherzustellen. Um die Einspeisung von Biogas bzw. Biomethan zu vereinfachen, fordern wir die Anpassung der Netzzugangsverordnung.

2. Photovoltaik, Windkraft und Biomasse

Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen wird maßgeblich zur energiepolitischen Unabhängigkeit Europas beitragen, während wir uns nicht der Illusion hingeben sollten, Deutschland könne im nationalen Alleingang zukünftig energiepolitisch autark werden. Wir wollen vielfältige Potentiale heben, dazu gehört explizit auch der Import von Erneuerbaren Energien etwa aus sonnenreichen Regionen in Südeuropa oder Wind- und Wasserkraft aus unterschiedlichsten Gegenden. In ganz Europa wollen wir diese Freiheitsenergien schneller und effizienter ausbauen. Die FDP hat in der Bundesregierung bereits erste Voraussetzungen für einen schnelleren Ausbau von Erneuerbaren Energien in Deutschland geschaffen. Durch den Abbau von Bürokratie und schnellere Genehmigungsverfahren müssen weitere Hemmnisse abgebaut werden.

Erste Priorität beim Ausbau von Photovoltaik (PV) muss die Nutzung von bereits versiegelten Flächen sein. Hierbei sehen wir insbesondere die Eigentümer von Liegenschaften in öffentlicher Hand in der Pflicht, von denen zum Beispiel in Baden-Württemberg leider erst weniger als fünf Prozent über eine PV-Anlage verfügen. Als zusätzlichen Anreiz für die Nutzung von PV auf Mehrfamilien- oder großen Einfamilienhäusern wollen wir die Vereinfachungsregel zur Einkommensteuerveranlagung nicht mehr nur für Anlagen bis zu 10 kWp geltend anwenden, sondern diese Grenze aufheben.

Auch die zahlreichen bürokratischen Hürden für den Bau von Windenergieanlagen sind zügig abzubauen. Der Bescheid über die Genehmigung einer Anlage muss innerhalb eines Jahres erfolgen können. Hierzu müssen unter anderem Konflikte mit dem Natur- und Artenschutzrecht ausgeräumt und Standards für Genehmigungsverfahren vorgegeben werden. Der Ausbau der Windenergie muss so erfolgen, dass dieser wirtschaftlich und effizient ist und den regionalen Gegebenheiten entsprechend erfolgen.

Hierfür fordern wir, dass Windenergieanlagen bis 75 Metern nicht unter die Bestimmungen der Bundesimmissionsschutzverordnung fallen.

Deutschland hat optimale Bedingungen für die Erzeugung von Biomasse. Holzkraftwerke für Alt- und Restholz, aber vor allem Biogasanlagen erzeugen Nahwärme und können Stromlücken der Photovoltaik- oder Windanlagen mindern. Schon heute bildet Biomasse innerhalb der Regenerativen Energie den größten Block. Die gesteigerte Nutzung von Biomasse kann gerade in der aktuellen Krise helfen, kurzfristig Versorgungslücken zu schließen. Daher sind die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen so zu ändern, dass die vorhandenen Kapazitäten voll ausgeschöpft werden können und neue, moderne Biomasseanlagen entstehen.

3. Speicher und Transport

Ein stabiles Stromnetz erfordert, dass jederzeit der ins Stromnetz eingespeiste Strom dem zum jeweiligen Zeitpunkt erforderten Strombedarf entspricht. Da dies bei der Stromgewinnung mit Erneuerbaren Energien, vor allem bei Solar- und Windkraft, auf Grund der natürlichen Schwankungen nicht gewährleistet werden kann, ist im Zuge der Energiewende der Aufbau von Speicherkapazitäten zwingend erforderlich, um eine verlässliche Energieversorgung zu gewährleisten. Den in Spitzenzeiten überschüssig produzierten Strom aus Sonne und Wind wollen wir speicherbar machen, um ihn dann während eines Stromgewinnungstiefs in das Netz einspeisen zu können.

Neben dem Gebrauch privater Stromspeicher für die kurzfristige Speicherung setzen wir Freie Demokraten auch verstärkt auf die Erzeugung von Wasserstoff aus überschüssigem Strom um Energie langfristig zu speichern, gleichmäßig nutzbar und zudem über weite Strecken transportierbar zu machen. Wasserstoff kann dann mittelfristig auch (über Power-to-X-Verfahren) als Ersatz von Gas dienen – vor allem in der energieintensiven Industrie – oder als Grundstoff für synthetische Kraftstoffe, mit denen der Verbrennungsmotor klimaneutral betrieben werden kann.

Wir wollen die regulatorischen und planungsrechtlichen Hürden für die Wasserstoffproduktion, den Transport und die Verteilung soweit absenken, dass sich eine Wasserstoffwirtschaft diskriminierungsfrei entwickeln kann. Dazu gehört auch, die Forschung um neue Wasserstoff-Technologien und den entsprechenden Transfer aus der Wissenschaft weiter zu intensivieren. Wir wollen hierbei in der Europäischen Union zusammenarbeiten. Wir fordern deshalb die Gründung einer Europäischen Wasserstoffunion.

Die Bundesregierung muss durch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen gewährleisten, dass erneuerbarer Strom wirtschaftlich für die Sektorenkopplung genutzt wird, statt dass wie bisher Anlagen wegen Netzengpässen abgeschaltet werden.

Auch Pumpspeicherkraftwerke werden im Energiesystem eine verstärkte Rolle spielen müssen. Speicher müssen rechtlich als eigenständige Säule des Energiesystems definiert werden.

Gleichzeitig muss der Ausbau der Nord-Süd-Stromtrassen beschleunigt und forciert werden. Ebenso müssen die transnationalen Transportwege für Strom innerhalb der EU ausgebaut und verbessert werden.

4. Geothermie

Tiefengeothermie bietet eine lokal verfügbare und regenerative Alternative. Deutschland hat das Potential, bis zu einem Viertel des Gesamtwärmeverbrauchs aus Tiefengeothermie zu erbringen. Bislang liefert die Tiefengeothermie allerdings keinen großen Beitrag zur Wärme- und Energiebereitstellung. Dabei liegen in vielen Regionen sehr gute Potentiale vor. Diese Potentiale müssen gehoben werden. Dazu braucht es die entsprechenden regulativen Rahmenbedingungen und Marktanreize, wie die Anpassung der teilweise konkurrierenden Gesetzgebung, beschleunigte Genehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung oder die Ausweisung von Vorzugsflächen in der Flächennutzungsplanung.

Ein ambitionierter Zubau von Geothermieanlagen lässt sich nur mit Hilfe der Akzeptanz vor Ort realisieren. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz wird bereits durch wirtschaftliche Anreize die Akzeptanz von Windenergie- und Photovoltaikvorhaben in den beteiligten Kommunen gestärkt. Ein ähnliches Instrument sollte auch für Vorhaben der Tiefengeothermie eingeführt werden.

Tiefengeothermie ist mittlerweile gut erprobt und risikoarm, dennoch muss im Falle eines Schadens sichergestellt sein, dass die betroffenen Anwohner und Kommunen für Schäden angemessen und zeitnah entschädigt werden. Dafür sind Änderungen im Bergrecht erforderlich, die Vorgaben hinsichtlich Bergschadensversicherungen und Rücklagen für die Betreiber machen.

5. Kernkraft

Die Freien Demokraten sind der Überzeugung, dass zum Erhalt der Versorgungssicherheit und zur Übernahme der eigenen energiepolitischen Verantwortung innerhalb der EU der Ankauf weiterer Brennelemente nötig sein wird. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so zu ändern, dass der Ankauf und der Betrieb der Kernkraftwerke mit neuen Brennelementen ermöglicht wird. Da die Sicherheit der Brennelemente in der Endlagerung ebenso wichtig ist wie deren ökonomische Nutzung, müssen diese Brennelemente weitgehend genutzt werden. Dies ist gleichbedeutend mit einer Laufzeitverlängerung bis 2026.

Mit dem vorübergehenden Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen deutschen Kernkraftwerke (KKW) über den 31. Dezember 2022 hinaus wurde eine Minimalanforderung der FDP erfüllt. Die Entscheidung, die verbliebenen KKW bis zum 15. April 2023 am Netz zu lassen, trug zur Stabilisierung der Netze und der Strompreise bei. Allerdings hat der im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) durchgeführte Stresstest im September 2022 gezeigt, dass auch bis zu diesem Datum die Stabilität der Stromnetze in Deutschland nicht in jedem Fall gewährleistet ist. Die Zeiträume ab dem 16. April 2023 wurden bislang noch nicht geprüft. Deshalb müssen erneute Stresstests durchgeführt werden, die für einen Zeitraum bis mindestens Sommer 2024 sowohl die Netzsicherheit als auch durch Knappheit entstehende Preissteigerungen untersuchen. Aufgrund der sich laufend verändernden Rahmenbedingungen ist der Stresstest quartalsweise zu aktualisieren.

Damit Deutschland jederzeit in der Lage ist, schnell und entschlossen auf eine mögliche Strommangellage zu reagieren, müssen alle Erzeugungspotentiale erhalten bleiben. Ein Rückbau der bestehenden KKWs Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 darf nicht erfolgen. Vielmehr sind entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um jederzeit den sicheren Leistungsbetrieb der drei KKW wieder aufnehmen zu können, sobald es zu einer Strommangellage kommt. Durch die Bestimmung kurzfristiger Sicherheitsmaßnahmen bleibt der erneute Leistungsbetrieb fortlaufend genehmigungsfähig. Deutsche KKW gehören zu den sichersten der Welt. Indem wir eine Periodische Sicherheitsüberprüfung vorbereiten, erhalten wir ihre langfristige Sicherheit. Schon jetzt muss geklärt werden, wo und unter welchen Bedingungen wie schnell neue Brennelemente beschafft werden können, und mit den Betreibern der Kernkraftwerke darüber verhandelt werden, unter welchen Voraussetzungen sie einen weiteren Leistungsbetrieb gewährleisten.

Über die KKWs hinaus stehen wir der weiteren Erforschung und Inbetriebnahme alternativer Reaktoren, wie beispielsweise Flüssigsalz-, Laufwellen- und Brutreaktoren, positiv gegenüber. Die Inbetriebnahme von Nuklearreaktoren der 4. Generation und von Small Modular Reactors (SMRs) verspricht hierbei eine effiziente und risikoarme Option zur klimafreundlichen Energieerzeugung. Da diese Reaktoren nur geringere Mengen an radioaktivem Abfall produzieren und somit die Problematik der Endlagerung weiter gesenkt wird, wollen wir Freie Demokraten uns für die Förderung der Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet einsetzen. Ebenso müssen Technologien, die eine Wiederverwertung von radioaktiven Abfällen ermöglichen, Halbwertszeiten verkürzen oder die Radioaktivität beheben, verstärkt erforscht werden. Dafür wollen wir das Verbot der Wiederaufbereitung unter strikten Rahmenbedingungen zur Verhinderung einer militärischen Nutzung aufheben. Bei potentiellen Endlagern ist darauf zu achten, dass der radioaktive Abfall zum Zwecke der Transmutation rückholbar ist.

Langfristig können Kernfusionsreaktoren eine vielversprechende Perspektive bieten. Die Bundesrepublik Deutschland soll sich in diesem Kontext für günstige Rahmenbedingungen zum Einsatz der Kernfusion einsetzen und insbesondere die Grundlagenforschung finanziell fördern. Das multinationale Projekt ITER sowie weitere Nachfolgeprojekte sollen von Deutschland verstärkt finanziell gefördert werden. Daraus folgt auch, dass sich Deutschland mit einem geeigneten Standort für das Pilotprojekt DEMO bewerben soll.

Begründung

Erfolgt mündlich.

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