Zeit für einen Neustart Deutschlands
In der voraussichtlich letzten Bundestagssitzung vor der Wahl am 26. September hat FDP-Chef Christian Lindner noch einmal kräftig für die Modernisierung Deutschlands geworben. Seine Botschaft war eindeutig: "So wie es ist, darf es nicht bleiben."
Drei Stunden debattierte der Bundestag am Dienstag über „die Lage in Deutschland“. Jeder Redner nutzte den Schlagabtausch, so gut es ging: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die bevorstehende Bundestagswahl als Richtungsentscheidung bezeichnet. Gleichzeitig warnte sie in der voraussichtlich letzten Bundestagssitzung vor der Wahl am 26. September vor einem Bündnis von SPD und Grünen mit der Linken. „Es ist nicht egal, wer dieses Land regiert“, sagte sie. Das findet FDP-Chef Christian Lindner auch, nur teilte er auch gegen die Union aus: Er warf der Koalition aus Union und SPD vor, wichtige Weichenstellungen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung unterlassen zu haben. „Wir stehen vor Richtungsentscheidungen in diesem Land. Unsere Botschaft ist klar: Freiheit vor Staat, Erwirtschaften vor Verteilen und mehr Freude am Erfinden als am Verbieten“, sagte Lindner.
„Am Ende ihrer Kanzlerschaft ist unser Land nicht in der Verfassung, die unseren Ansprüchen genügen sollten“, sagte Lindner an die Adresse von Kanzlerin Merkel. „Vor vier Jahren hieß es, ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben. Heute wäre Kontinuität das größte Risiko für unser Land, denn so wie es ist, darf es nicht bleiben.“ Lindner sagte, drei Krisen — Corona, die Flutkatastrophe und der chaotische Abzug aus Afghanistan — hätten die Defizite deutlich gemacht .
„Gerne werden immer neue Aufgaben für den Staat erfunden. Aber unser Staat hat schon viele Aufgaben: Bundeswehr, Bildung, digitale Infrastruktur und Verwaltung, Justiz, Katastrophenschutz und Polizei. Statt fortwährend neue Aufgaben für diesen Staat zu erfinden, sollten wir uns der Staatsaufgabe Nummer eins widmen: Nämlich wieder funktionieren!“ Für die Modernisierung Deutschlands müsse es eine funktionierende und digitalisierte Verwaltung geben und zugleich eine Entfesslung privater Initiative und privaten Kapitals. „Dieses Land hat unglaublich viel Potenzial. Das Problem ist eine Regierung, die das Land fortwährend unterfordert und bürokratisch fesselt“, so Lindner.
Seine Partei schaue nicht pessimistisch in die Zukunft, sondern sei überzeugt, dass Deutschland große Herausforderungen wie den Kampf gegen den Klimawandel nicht nur bewältigen könne, „sondern dass in ihnen auch Chancen liegen“. Das Land habe „unglaublich viel private Initiative“, privates Know-how und privates Kapital, unterstrich er die Bedeutung einer starken Privatwirtschaft. Grundlage für alle sozialen und ökologischen Ziele sei „ein stabiles wirtschaftliches Fundament“. Ohne starke Wirtschaft seien beispielsweise die Versprechen der SPD in diesen Bereichen eine „unfinanzierbare Träumerei“, sagte Lindner an die Adresse von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gerichtet, der unmittelbar vor ihm gesprochen hatte.
Der FDP-Chef bescheinigte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zwar eine „Siegesgewissheit“, sagt dann aber: „Helmut Kohl musste 1976 die Erfahrung machen, dass man die Wahl gewinnen kann und trotzdem keine Regierung hat.“ Damals koalierte die FDP mit der SPD, die Union blieb als stärkste Partei außen vor. Eine elegante Formulierung des heutigen Parteivorsitzenden — denn was 1976 ging, geht auch 2021. Die FDP könnte mit der Union koalieren, auch wenn die SPD stärkste Partei werden sollte. Die klare Botschaft: Eine Ampel-Koalition, also Rot-Gelb-Grün, wird kein Selbstläufer.
Den Grünen warf er vor, sie wollten aus Deutschland ein „Bullerbü“ machen, „eine ländliche Dorfidylle mit subventioniertem Lastenfahrrad“, so wie es für Berlin schon gefordert werde. „Bei aller Liebe zu Bullerbü und Astrid Lindgren“, sagt er. „Ich kann mich nicht erinnern, jemals gelesen zu haben, wovon die da eigentlich leben.“ Er fordert, die Steuern für Unternehmen zu senken. Nur so komme man aus der Krise. Es brauche keine Subventionen, sondern „marktwirtschaftliche Impulse“. Bei der Ablehnung der Subventionen macht er auch vor der E-Auto-Prämie nicht halt. Es sei absurd, dass diese auch Gutverdiener bekämen. Zum Kampf gegen den Klimawandel sagte Lindner, Deutschland könne hier Vorreiter sein und zeigen, „dass Klimaschutz nichts Belastendes ist“. Von einem „Weg des Verzichts und der Verbote“ rate seine Partei ab.
Nach Lindner kam Annalena Baerbock zum Zug und sorgte für Irritationen: „Die Klimakrise regelt kein Markt, weil dem Markt sind Menschen herzlich egal“, sagte Baerbock. Wenig später sprach sie davon, dass Unternehmen beim Klimaschutz erfolgreicher seien, als die Bundesregierung. „Die Industrie ist seit Jahren weiter als diese Bundesregierung“, sagte Baerbock. FDP Generalsekretär Volker Wissing twitterte dazu: “Der Markt, das sind die Menschen und ihre Entscheidungen. Aber die scheinen Frau Baerbock und den Grünen herzlich egal zu sein.” Christian Lindner ließ die Einlassung ratlos zurück:
Auch interessant:
- So wie es ist, darf es nicht bleiben
- Lindner: Es geht nicht um Farbenspiele
- Christian Lindner in der Zeit: Bullerbü ist nicht mein Bild von Deutschland
- Christian Lindner im Kreuzverhör.
- „unter den linden“-Spezial: Stärken wir die Selbstbestimmung beim Renteneintritt
- Christian Lindner-Interview für den Spiegel: Ein attraktives Angebot von Herrn Scholz wäre eine Überraschung
- Christian Lindner im Deutschlandfunk-„Interview der Woche“