Von der Leyens Zeit in Europa – Leidenszeit für Europa
Der EU Green Deal: Klimapolitik als Interventionsspirale
Zu Beginn ihrer Amtszeit präsentierte die neu gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 ein ambitioniertes Paket unter dem Schlagwort „EU Green Deal“: Insgesamt 49 Maßnahmen sollten Wirtschaft und Gesellschaft für die Pariser Klimaziele auf Kurs bringen. Dazu gehörte die dringend notwendige Einführung eines Emissionsrechtehandels auch für die Sektoren Wärme und Verkehr („ETS II“).
Doch anstatt dieses effiziente Instrument, das die Erreichung der vereinbarten Klimaziele zu den geringstmöglichen volkswirtschaftlichen Kosten garantiert, möglichst schnell (statt erst für 2027) in Gang zu setzen, hat die Kommission mit einer intransparenten und teuren Doppelregulierung ihrem eigenen Leitinstrument auf verheerende Weise (unbegründet) das Misstrauen ausgesprochen.
Dazu gehören einerseits Mikromanagement-Einsparvorgaben und Technologieverbote wie die Gebäuderichtlinie (EPBD) oder das Verbrennerverbot (CO₂-Flottengrenzwerteverordnung). Selbst von der FDP im Deutschen Bundestag deutlich entschärfte Gesetzentwürfe von Robert Habeck wie das Heizungsgesetz und das Energieeffizienzgesetz kommen auf EU-Ebene in krasserer Form wieder (Boiler Ban bzw. Energieeffizienzrichtlinie) und müssen dort erneut in vernünftige Bahnen gelenkt werden.
Andererseits umfassen die Maßnahmen aber auch gigantische und nutzlose Vorschriftenpakete wie jenes zur Nachhaltigkeitsberichterstattung: Die im Dezember 2023 in Kraft getretene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) gilt ab 2025 in Deutschland für rund 15.000 Mittelständler, die dann bis zu 2.000 einzelne ESG-Daten melden müssen.
Trotz (oder gerade wegen) dieser umfassenden Doppel- und Dreifachregulierung ist die EU drauf und dran, die selbstgesetzten Klimaziele deutlich zu verfehlen: In seinem am 18. Januar 2024 vorgelegten ersten Fortschrittsbericht hat der wissenschaftliche Klimabeirat der EU ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Demnach droht die EU ihr Klima-Etappenziel für 2030 von minus 55 % CO2-Emissionen ebenso wie das Netto-Null-Ziel für 2050 zu verfehlen, wenn nicht deutlich mehr in Klimaschutz investiert wird. Eine Steigerung insbesondere der privaten Investitionen von derzeit jährlich 200 bis 300 Milliarden Euro auf 1.250 bis 1.400 Milliarden Euro jährliches Investitionsvolumen bis 2030 sei nur möglich, wenn Klimainvestitionen hinreichend rentabel seien – und dafür brauche es weniger regulatorische Unsicherheiten sowie schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Im Klartext: Genau das durch von der Leyen geschaffene regulatorische Dickicht ist es, was private Investitionen in den europäischen Klimaschutz ausbremst. Und das ausgerechnet auf einem Kontinent, der vor zwei Jahrzehnten mit der Einführung eines hocheffizienten Emissionshandelssystems für Stromerzeugung und Industrie („ETS I“) ein weltweiter Vorreiter war.
Verbote statt Technologieoffenheit
Ein geschlossenes Weltbild statt Innovationsfreude offenbart die Von-der-Leyen-Kommission in ihrer Technologiepolitik: Man gibt eine Technologie für die gesamte europäische Volkswirtschaft vor und verbietet vorsichtshalber alle sinnvollen Alternativen (oder reguliert sie aus dem Wettbewerb), um am Ende sagen zu können, man habe als weise Planbehörde schon vorher gewusst, was das richtige für die Unternehmen ist.
Synthetische Kraftstoffe wie E-Fuels, Verbrennungsmotoren, CO2-Abscheidung und -speicherung, mit klimaneutralen Brennstoffen betriebene Heizungen, moderne Kernkrafttechnologien wie Small Modular Reactors und Kernfusion – wir brauchen alle Technologien zur effektiven und effizienten Erreichung der Pariser Klimaziele. Klar ist: Je mehr wir die technologischen Möglichkeiten ausschöpfen, desto ambitioniertere Klimaziele können wir uns nicht nur setzen, sondern sie auch erreichen. Das sollte z. B. bei der anstehenden Festlegung eines CO2-Etappenziels für 2040 berücksichtigt werden.
Andere Verbote wie die von der Kommission vorgeschlagene Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) hätten die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft ernsthaft gefährdet. Hier konnte die FDP im Europäischen Parlament vorerst größeren Schaden verhindern.
Bürokratie als irrationalste Form der Herrschaft
Entgegen Max Webers Interpretation von Bürokratie als rationalste Form der Herrschaft hat sich die EU-Bürokratie unter von der Leyen zu einer besonders irrationalen Herrschaftsform entwickelt. 57 % der Bürokratielasten für deutsche Unternehmen kommen inzwischen von von der Leyens Brüsseler Bürokratie-Fließband.
Das „One-in,-one-out“-Prinzip ignoriert die Von-der-Leyen-Kommission entgegen manchen Sonntagsreden immer heftiger. Laut DIHK sind 2021 auf EU-Ebene für ein abgeschafftes Gesetz „nur“ 1,5 neue entstanden. 2022 habe das Verhältnis bereits bei 1 zu 3,5 gelegen (688 Regelungen entfielen, es kamen 2.429 neue hinzu). Bis Mitte 2023 sei das Verhältnis sogar auf 5 neue Gesetze für jedes abgeschaffte Gesetz gestiegen. Die stets auf Ausgewogenheit bedachte DIHK spricht mit Blick auf die EU davon, der deutsche Mittelstand sei inzwischen „eingeschnürt in ein Bürokratie-Korsett, das viele an Planwirtschaft erinnert“.
Erst in der letzten „Rede zur Lage der Union“ ihrer Amtszeit am 13. September 2023 hat von der Leyen reagiert und Mario Draghi als neuen EU-Sonderbeauftragten für Wettbewerbsfähigkeit damit beauftragt, Vorschläge u. a. zum Bürokratieabbau auszuarbeiten. Das ist durchschaubar und unglaubwürdig, denn der bald erscheinende Bericht Draghis kommt für eine Umsetzung vor den Europawahlen bei weitem zu spät. Es handelt sich um eine reine Wahlkampfmaßnahme.
Das erkennt man auch daran, dass von der Leyen anschließend nichts unternommen hat, um Bürokratiemonster wie etwa die EU-Lieferkettenrichtlinie noch aufzuhalten. Die Richtlinie würde Unternehmen bis hin zu Mittelständlern verpflichten, ihre Zulieferer, aber auch deren Zulieferer bis zum Ende der Lieferkette auf die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards hin zu überprüfen. Das wäre nicht nur praktisch nicht umsetzbar, sondern auch kontraproduktiv, weil es lediglich zu einer Verlagerung von Produktionsstandorten nach außerhalb der EU führen würde. Deshalb wird die FDP bei der finalen Abstimmung im Rat der EU im Sinne unseres Mittelstands die Notbremse ziehen!
Die wahre Priorität von der Leyens – „Groß im Kleinen, klein im Großen“ – zeigt sich daran, welche Rechtsetzungsakte bis zur Europawahl tatsächlich noch weiterverhandelt werden sollen – darunter sind etwa die Legislativvorschläge zur Spielzeugsicherheit und zur Haltung von Hunden und Katzen.
Die versuchte Aufweichung der EU-Fiskalregeln oder der doppelte Lindner
Mit ihren Legislativvorschlägen vom 26. April 2023 zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) hat sich von der Leyen in den Dienst der Weichwährungsländer gestellt und den Ordnungsrahmen der Europäischen Währungsunion offen attackiert. Dabei gehörte sie selbst als Mitglied des Kabinetts Merkel I zu den führenden deutschen Politikern, als die Schuldenbremse in das Grundgesetz eingefügt und damit der Generationengerechtigkeit ein gewaltiger Dienst geleistet wurde.
In ihrer aktuellen Rolle hat von der Leyen dagegen Vorschläge vorgelegt, die den Regeln zur Defizitbegrenzung und zum Schuldenabbau weitgehend ihre Verbindlichkeit genommen hätten, da es u. a. ins Belieben der Kommission gestellt werden sollte, die Schuldentragfähigkeit der Mitgliedstaaten zu beurteilen und bilateral genehme Schuldenabbaupfade auszuhandeln.
Bundesfinanzminister Christian Lindner wuchs die doppelte Aufgabe zu, innerstaatlich die Schuldenbremse gegen Verstöße von CDU-Ministerpräsidenten zu verteidigen und auf EU-Ebene harte Mindestsparziele in die Von-der-Leyen-Vorschläge zu verhandeln, um einen realistischen, aber auch hinreichenden Schuldenabbau in allen Mitgliedstaaten zu garantieren.
Ergebnis: Schwaches Wachstum, erodierende Wettbewerbsfähigkeit
Das Resultat der Von-der-Leyen-Leidenszeit ist: Der Wohlstand in Europa ist gegenüber den Wettbewerbern USA und China deutlich zurückgefallen. Auch bei der aktuellen wirtschaftlichen Dynamik kann die EU nicht mehr mithalten: Das Wirtschaftswachstum in den USA war 2023 dreimal so stark wie in Europa (2,1 gegenüber 0,7 %). Die großen Unternehmen in der EU investieren weniger als ihre US-Konkurrenten, ihr Umsatzwachstum war in den vergangenen Jahren schwächer, sie sind weniger profitabel und an den Kapitalmärkten niedriger bewertet. Bei neuen Technologien drohen wir den Anschluss zu verlieren: US-Unternehmen haben 2023 insgesamt 23 Milliarden US-Dollar in generative Künstliche Intelligenz investiert, EU-Unternehmen umgerechnet nur 1,7 Milliarden Dollar (McKinsey Global Institute 2024).
Die Folgen für den Lebensstandard in der EU sind seit Jahren deutlich sichtbar: Seit 2019 stagnieren die Konsumausgaben in der EU bestenfalls, während andere Staaten nach dem Corona-Einbruch längst wieder wirtschaftlich prosperieren. Dadurch werden gesellschaftliche Spannungen verstärkt, die sich über die Wahl populistischer Parteien in verschiedenen EU-Staaten in Abschottungspolitik niederschlägt, was die wirtschaftliche Dynamik weiter ausbremst.
Diese negativen Trends wurden durch die Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine verschärft, aber nicht ausgelöst. Von der Leyen hat die EU bei ihrem Amtsantritt bereits in einem wirtschaftlichen Abstieg angetroffen – um dann diese Tendenz mit einer einseitigen und interventionistischen Umwelt- und Klima-Agenda noch kräftig zu beschleunigen.
Von der Leyen hat in gut vier Jahren geschafft, wozu Merkel in Deutschland 16 Jahre brauchte: Eine der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften der Welt zum Sanierungsfall zu machen. Wir Freie Demokraten stellen uns auch in Europa der Aufgabe, den wirtschaftlichen Wiederaufstieg zu organisieren.