Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD)
Soziale Mindeststandards: Sind Sie mit uns der Meinung, dass EU-weit einheitliche soziale Mindeststandards für die Bereiche Armutsbekämpfung, Zugang zu sozialen Diensten, Zugang zu Grundsicherungsleistungen sowie Absicherung bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter eingeführt werden müssen?
Wir Freie Demokraten sind überzeugt, dass Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu Recht Aufgabe der Mitgliedstaaten sind. Nur in Fragen, die tatsächlich eine erhebliche grenzüberschreitende Bedeutung für den Binnenmarkt oder die Arbeitnehmerfreizügigkeit haben, ist die EU politisch gefordert, Regelungen zu treffen.
Europäische Steuergerechtigkeit: Machen Sie sich mit uns für eine Unterbindung von Steuerdumping, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sowie für eine Steuer auf krisenbedingte Übergewinne stark?
Steuergerechtigkeit ist uns ein wichtiges Anliegen. Aus diesem Grund unterstützen wir insbesondere das OECD BEPS-Projekt und europäische Maßnahmen zur Eindämmung von Steuervermeidung und Steuerumgehung. Die Einführung neuer Steuern, wie eine Finanztransaktionssteuer oder eine Übergewinnsteuer, lehnen wir hingegen ab.
Sozialverträglicher Umwelt- und Klimaschutz: Welche Maßnahmen planen Sie auf EU-Ebene, um den Klima- und Umweltschutz voranzubringen und dabei die soziale Verträglichkeit zu gewährleisten?
Sozialverträglicher Klimaschutz ist effizienter Klimaschutz, der marktwirtschaftliche Anreize setzt, Emissionen jeweils dort zu vermeiden, wo es zu den geringsten Kosten möglich ist. Das einzige Klimaschutzinstrument, das zugleich die Klimaziele zuverlässig erreicht und Kosten minimiert, ist ein einheitlicher Emissionshandel in allen Sektoren. Daher unterstützen wir die Weiterentwicklung der beiden EU-Emissionshandelssysteme ETS 1 und 2 zu einem einzigen sektorübergreifenden System. Zugleich wollen wir ordnungsrechtliche Maßnahmen beenden, die bei einem funktionierenden Emissionshandel keinen zusätzlichen Klimaschutzeffekt aufweisen, dafür aber zusätzliche Kosten verursachen.
Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel bekämpfen: Welche beschäftigungspolitischen Initiativen unterstützen Sie, um die Arbeitslosigkeit in den EU-Mitgliedstaaten nachhaltig zurückzudrängen und gleichzeitig dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Motivierten und leistungsbereiten Menschen, die vorankommen und sich mit ihren Fähigkeiten in Europa für Fortschritt und Wachstum einsetzen möchten, müssen alle Türen offenstehen. Wir Freie Demokraten wollen deshalb bei der Arbeitskräftemobilität in der EU Hürden abbauen und insbesondere komplizierte und langwierige Prozesse bei der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen vereinfachen und beschleunigen. Dazu fordern wir digitale One-Stop-Shops als zentrale Anlaufstellen in jedem EU-Mitgliedstaat. Zudem wollen wir die European Employment Services zu einer Europäischen Arbeitsplattform ausbauen. Die neue digitale Europäische Arbeitsplattform soll sowohl europaweit Job- und Ausbildungsplätze vermitteln als auch eine echte Koordinationsrolle für die nationalen Arbeitsagenturen in der EU übernehmen, die es braucht, um Jugendarbeitslosigkeit auf der einen Seite und Fachkräftemangel in Europa auf der anderen Seite zu bekämpfen. Wir wollen außerdem die EU-Entsenderichtlinie modernisieren und vereinfachen. Generell setzen wir uns für eine EU-Strategie für die Fachkräftegewinnung ein. Ziel muss ein weitgehend harmonisiertes Fachkräfteeinwanderungsrecht sein, das auch Drittstaatsangehörigen unkomplizierte Mobilität zum Zwecke der Erwerbstätigkeit ermöglicht. Hierzu soll die Blue Card auch für nichtakademische Fachkräfte weiter geöffnet und Mindestgehaltsgrenzen sollen gesenkt werden. Zudem wollen wir einen europäischen Talentpool mit Punktesystem nach kanadischem Vorbild einführen.
Arbeitsbedingungen verbessern: Welche konkreten Schritte sind nach Ihrer Auffassung erforderlich, um die Arbeitsbedingungen und den Schutz der Arbeitnehmer*innen zu verbessern?
Ein wichtiger Aspekt, um den Veränderungen in der Arbeitswelt zu begegnen und den Wünschen von Arbeitnehmern mehr zu entsprechen, ist die Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung. Flexible Arbeitszeiten entsprechen den betrieblichen Erfordernissen im globalen Wettbewerb. Sie können den Beschäftigten helfen, beispielsweise Lösungen für familiäre Anforderungen zu finden. Beschäftigten sollte daher die Möglichkeit eingeräumt werden, die Arbeitszeit an die individuellen Bedürfnisse anzupassen.
Für den Arbeitsschutz ist in Deutschland unter anderem die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) zuständig. Sie ist eine auf Dauer angelegte konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern zur Stärkung von Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Darüber hinaus sollen Anreize für die Betriebe erzeugt werden, auf allen Ebenen des betrieblichen Gesundheitsschutzes eine nachhaltige und langfristig angelegte Präventionspolitik zu betreiben.
Inklusion: Welche Initiativen ergreifen Sie, damit Menschen mit Behinderungen tatsächlich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens besser teilhaben können, so wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, und ihnen ein besserer Zugang zu Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten geboten wird?
Wir Freie Demokraten fordern eine EU der Teilhabe für alle Menschen. Bereits in der aktuellen Legislaturperiode haben wir uns für Inklusion auf EU-Ebene stark gemacht. Unsere Fraktion Renew Europe, der wir im europäischen Parlament als FDP angehören, war die treibende Kraft hinter dem erst kürzlich beschlossenen EU-Behindertenausweis sowie dem europäischen Parkausweis für Menschen mit Behinderungen. Auch in der kommenden Legislaturperiode werden wir uns weiter für die Inklusion von Menschen mit Behinderung auf EU-Ebene einsetzen. Die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen und ihre Einbindung in den europäischen Zusammenhang müssen spürbar und konkret verbessert werden. Wir streben diskriminierungsfreie und unbürokratischere Zugangsbedingungen bei Vergünstigungen und bei zeitlich befristeten Aufenthalten auf Hilfeleistungen nach dem jeweiligen nationalen Recht an.
Europäische Kooperation bei Arzneimittelversorgung: Werden Sie sich zur Vermeidung künftiger Lieferengpässe bei essentiellen Arzneimitteln für eine stärkere europäische Kooperation in der Arzneimittelversorgung einsetzen, sowie für eine angemessene Arzneimittelpreisgestaltung hinwirken?
Wir Freie Demokraten setzen uns dafür ein, dass die Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen jederzeit gewährleistet ist. Engpässe in der Versorgung müssen vermieden und bekämpft werden. Wir treten daher für eine verstärkte Produktion von Arzneimitteln in der EU ein. Darüber hinaus wollen wir Lieferketten diversifizieren und Abhängigkeiten von Drittstaaten bei der Versorgung mit Wirk-, Hilfs- und Rohstoffen verringern. Wir halten es für sinnvoll, die Bedeutung des europäischen Binnenmarktes für verstärkte gemeinsame Beschaffung im medizinischen Bereich zu nutzen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Mit dem im vergangenen Sommer beschlossenen Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz der Koalition wurden bereits wichtige Maßnahmen umgesetzt, z.B. die zusätzliche Berücksichtigung der Wirkstoffproduktion in Deutschland und der EU bei Ausschreibungen von Kassenverträgen oder die Einrichtung eines Frühwarnsystems bei Arzneimittellieferengpässen.
Gewalt gegen Frauen verhindern: Welche Maßnahmen unterstützen Sie zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen?
Wir Freie Demokraten begrüßen die Einigung zur EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass die verbleibenden Länder die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ratifizieren und dass alle Länder diese umsetzen. Die Konvention fordert die Mitgliedstaaten auf, konkrete Schutz- und Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel die Einrichtung von ausreichend Frauenhausplätzen und Täterpräventionsarbeit. Auch der Nationale Aktionsplan „Frauen, Frieden, Sicherheit“ und die entsprechende Resolution 1325 der Vereinten Nationen (VN) müssen ambitioniert umgesetzt werden. Weltweit nehmen Krisen und Konflikte zu. Vor allem Kinder, ältere Menschen und Frauen sind in diesen Situationen besonders betroffen. Sexualisierte Gewalt wird systematisch als Kriegswaffe eingesetzt. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass diese Form der Kriegsführung geächtet wird und Vertragsstaaten sowohl die VN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) als auch die Istanbul-Konvention einhalten und umsetzen.