WISSING-Interview: Wenn es mehr synthetische Kraftstoffe gibt, kann der Preis auch günstiger werden.
FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing gab „Table Media“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Stefan Braun, Daniel Schmidthäussler und Malte Kreutzfeldt:
Frage: Herr Wissing, vor gut einem Jahr hat die Ampel-Spitze noch lustige Selfies gemacht, jetzt schreibt man sich scharfe Briefe. Was ist da schiefgegangen?
Wissing: Das Selfie habe ich immer noch auf meinem Handy. Ich empfehle, mehr miteinander statt übereinander zu reden.
Frage: Haben Sie so etwas schon mal erlebt, dass man solche Briefe schreibt?
Wissing: Ich habe es selbstverständlich schon oft erlebt, dass man sich Briefe schreibt. Insbesondere verstehe ich es, wenn solche Briefe auch so beantwortet werden.
Frage: Wie ist die Stimmung in der Koalition, bei all dem öffentlichen Kabbeln?
Wissing: Herr Lindner hat eine sehr klare und richtige Position. Er schützt den Bundeshaushalt. Er hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir nicht über eine Aufweichung der Schuldenbremse reden werden. Das ist auch während der Koalitionsverhandlungen schon klar gewesen.
Frage: Aber im Koalitionsvertrag stehen auch Dinge, deren Finanzierung bisher unklar ist, etwa die Kindergrundsicherung. Wo soll das Geld herkommen, wenn man mehr ausgeben und keine Schulden machen will?
Wissing: Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir die Schuldenbremse einhalten und keine Steuern erhöhen. Wer mehr ausgeben möchte, muss deshalb einen Vorschlag zur Finanzierung machen.
Frage: Sehen Sie denn eine Möglichkeit, die Einnahmen zu erhöhen – etwa durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen wie dem Dienstwagenprivileg?
Wissing: Erstens fällt das nicht in die Zuständigkeit meines Ministeriums. Und zweitens bringt es dem Klima gar nichts, wenn die private Nutzung von Dienstwagen nicht mehr pauschal besteuert wird, sondern man stattdessen ein Fahrtenbuch führen muss. Weniger Emissionen erreichen wir, wenn wir vom fossilen Verbrennungsmotor auf synthetische Kraftstoffe, Wasserstoff oder den Elektromotor umsteigen.
Frage: Auch bei dem Thema gibt es Streit: In der EU sollen ab 2035 keine neuen PKW mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. SPD und Grüne begrüßen das, die FDP hat versucht, es zu verhindern.
Wissing: Wir sind uns in der Koalition einig, dass der Verkehr klimaneutral werden muss. Aber die einen sagen eben, dass es nicht ausreicht, wenn der Staat das Ziel vorgibt, sondern sie meinen, er muss auch die Antriebsart vorschreiben, weil er alles am besten weiß. Wir als FDP sagen dagegen, der Staat soll den Ordnungsrahmen setzen, und dann soll der Markt entscheiden, mit welcher Technologie man das Ziel am effizientesten und kostengünstigsten erreicht.
Frage: Synthetische Kraftstoffe sind weniger effizient: Mit dem Ökostrom, den Sie für dessen Herstellung brauchen, fährt ein Elektroauto sechsmal so weit wie ein Verbrenner. Das ist teuer und verschwendet knappen Ökostrom.
Wissing: Wenn es zu teuer wäre, müsste man es erst recht nicht verbieten, sondern könnte es dem Markt überlassen. Warum sollten wir ein knappes Gut planwirtschaftlich verteilen? Das hat doch noch nie funktioniert. Im Übrigen haben die Grünen immer versprochen, den Strombedarf regenerativ decken zu können. Jetzt sprechen sie plötzlich von Knappheit.
Frage: Ist es nicht normal, Energieverschwendung durch staatliche Vorgaben zu verhindern? Bei Neubauten ist Einfachverglasung auch nicht mehr erlaubt, selbst wenn Menschen die schöner finden sollten und es sich leisten könnten, doppelt so viel Geld fürs Heizen auszugeben.
Wissing: Aber die Antriebstechnologie ist ja nicht statisch, da wird es noch große Sprünge geben. Und wenn es mehr synthetische Kraftstoffe gibt, kann der Preis auch günstiger werden. Der Staat sollte nur den Rahmen vorgeben und den Rest dem Markt überlassen.
Frage: Auch bei anderen Themen kann sich die Koalition derzeit nicht einigen, etwa bei der Planungsbeschleunigung. Bei der Frage, ob die auch für Autobahnen gelten soll, sind die Positionen von Grünen und FDP völlig gegenteilig. Wie lässt sich dieser Streit lösen?
Wissing: Wenn man sehr unterschiedliche Positionen hat, hilft es, in die fachlichen Details einzusteigen. Wir sollten uns fragen: Was braucht die Gesellschaft wirklich? Der Güterverkehr wird in den nächsten Jahren massiv ansteigen, und dafür reicht die bestehende Infrastruktur nicht aus. Das kann man nicht wegdiskutieren mit Sätzen wie: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“
Frage: Aber machen direktere und bessere Verbindungen, auf denen man schneller vorankommt, den Straßenverkehr nicht auch einfach attraktiver?
Wissing: Ich kenne das Argument. Aber wir bauen ja nicht einfach eine Straße und schauen, was danach passiert. Sondern wir analysieren Bevölkerungsentwicklung, Siedlungsstruktur, wirtschaftliche Entwicklung sowie Konsum- und Mobilitätsverhalten von Menschen. Dadurch wissen wir ziemlich genau, wo sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren zusätzliche Verkehre ergeben. Und daran passen wir dann die Infrastruktur vorausschauend an. Natürlich kann man sagen: Wenn ihr das nicht macht, kann der Verkehr nicht stattfinden. Aber was passiert dann? Die Fachleute, die ich das gefragt habe, sagen: Dann muss man die Wachstumsprognose herunterschrauben. Die Gesellschaft wird dann ganz einfach ärmer. Und das will ich nicht.
Frage: Unstrittig ist, dass der Bahnverkehr wachsen soll. Beim Güterverkehr auf der Schiene soll es bis 2030 eine Zunahme von 25 Prozent geben. Schaffen Sie das?
Wissing: Das steht im Koalitionsvertrag. Ich habe vor, die Schiene so auszubauen, dass wir so viel zusätzlichen Verkehr wie möglich auf die Schiene bekommen.
Frage: Heißt das mehr oder weniger als 25 Prozent?
Wissing: Die Tonnen-Kilometer, mit denen man beim Güterverkehr der Bahn rechnet, nehmen allein schon deswegen ab, weil wir aus der Kohleverstromung aussteigen. Wenn man dann einen Waggon mit Kohle durch einen Waggon mit Paketen ersetzt, bleibt die Zahl der Waggons gleich, aber man fährt weniger Tonnen-Kilometer. Deswegen kann ich mit dieser absoluten Zahl von 25 Prozent nicht wirklich viel anfangen. Aber wir werden alles tun, um in den nächsten Jahren so schnell wie möglich zusätzliche Kapazitäten auf der Schiene zu schaffen. Dafür müssen wir viele Strecken sanieren und zusätzlich Schienenwege für den Güterverkehr bauen.
Frage: Ist das einfacher als bei den Autobahnen?
Wissing: Im Gegenteil, bei Autobahnen ist die Akzeptanz größer. Denn auch wenn sie für die Anrainer nicht schön sind, gibt es da Auffahrten, die man auch selbst nutzen und von denen man profitieren kann. Von einer neuen Schienengüterstrecke profitieren die Anwohner hingegen nicht direkt. Sie nehmen vor allem den Lärm wahr. Deswegen werden sie vielerorts massiv bekämpft. Das führt dazu, dass wir zu wenig Neubau bei der Schiene haben.
Frage: Ist es angesichts dessen nicht sinnvoll, den Schienen-Ausbau zu priorisieren und nicht die Autobahnen? Wenn man alles priorisiert, geht es am Ende ja nirgends schneller.
Wissing: Dieses Argument ist falsch. Denn wir priorisieren natürlich immer noch, indem wir innerhalb der Gruppe der zu beschleunigenden Verfahren im Bundesverkehrswegeplan diejenigen heraussuchen, die am dringendsten sind. Und da würde es schon viel helfen, wenn alle Umweltbelange bis zu einem bestimmten Termin vorgebracht werden müssten – und nicht, wie es derzeit oft vorkommt, erst einer, und wenn der abgearbeitet ist, der nächste. Und im Klageverfahren dann noch einer. So würden wir die Verfahren erheblich beschleunigen, ohne dass dies zulasten des Umwelt- und Naturschutzes sowie der Bürgerbeteiligung geht. Es geht auch gar nicht darum, ob eine Straße gebaut wird, das hat der Gesetzgeber nämlich zu entscheiden. Es geht darum, wie schnell wir die Straßen bauen, die der Gesetzgeber beschlossen hat. Straßen, die der Bundestag nicht will, werden weder schnell noch langsam gebaut.
Frage: Auch der Ukraine-Krieg ist eine Herausforderung für das Straßen- und Schienennetz. Wie gut ist es beispielsweise auf den Transport von Panzern vorbereitet?
Wissing: Dieser Krieg verändert geopolitisch enorm viel, und deshalb kann Infrastruktur in Zukunft nicht geplant werden, ohne dass man das stärker berücksichtigt. Wir brauchen eine Antwort auf die Frage, wie die Ukraine besser an unser Verkehrsnetz angebunden werden kann. Und wir haben zum Beispiel auf der Schiene Regelungen getroffen, um jederzeit Kohle- oder Mineralöltransporte priorisieren zu können. Auch die Seehäfen rücken durch den Krieg stärker ins nationale Interesse, weil es da nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um strategische Fragen geht.
Frage: Sie haben mal gesagt, 90 Prozent Ihrer Zeit verwenden Sie für die Bahn. Wie viel bleibt da eigentlich noch für die Digitalisierung?
Wissing: Zeitweise ist das so. Die Bahn hat mich seit meinem Amtsantritt sehr intensiv beschäftigt. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Wie im Verkehrsbereich haben wir auch im Digitalen viele Dinge angestoßen und auf den Weg gebracht. Da kommen wir gut voran. Ich war gerade in den baltischen Staaten, da hat man mir die Frage gestellt: Wie haben Sie das eigentlich geschafft, dass die digitale Infrastruktur bei Ihnen so gut entwickelt ist? Ich habe gesagt, in Deutschland würde man mir genau die gegenteilige Frage stellen. Aber mit dem Verlegen von Kabeln alleine ist es nicht getan.
Frage: Was braucht man noch?
Wissing: Eine Veränderung im Denken. Wir müssen insbesondere dafür sorgen, dass Daten, die wir brauchen, auch verfügbar sind. Dass wir sie unter strikter Beachtung des Datenschutzes sicher sammeln und verwerten können. Mit Papier-Tickets erreicht man das zum Beispiel nicht. Papier liefert keine Daten, aber die brauchen wir. Wir müssen die Daten-Verfügbarkeit in den Vordergrund stellen, um den Bürgerinnen und Bürgern die Angebote zur Verfügung stellen zu können, die ihren Bedürfnissen wirklich gerecht werden.
Frage: Die Regierung ist dabei aber kein gutes Vorbild. Auch dort ist Open Data noch nicht einklagbar. Wann bekommen wir das?
Wissing: Wir haben in der Digitalstrategie festgelegt, dass wir Open Data bis 2025 in den Arbeitsalltag integrieren wollen. Das ist ein Versprechen, das von allen Ministerien abgegeben wurde. Wir müssen als Staat den Datenschutz sicherstellen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Daten, die wir erheben, zugänglich sind. Damit daraus Geschäftsmodelle entstehen, damit sie verknüpft werden können. Aber auch als Gesellschaft müssen wir uns der Digitalisierung stärker öffnen. Wenn ich analoge Lösungen wähle, obwohl es digitale gibt, nehme ich der Gesellschaft Chancen – und übersehe, dass es Menschen gibt, die diese Chancen dringend brauchen. Digitale Tickets können künftig verhindern, dass an einer Stelle leere Busse durch die Gegend fahren und an anderer Stelle nicht alle Leute in den Bus passen. Und die digitale Verwaltung verhindert, dass Menschen mit Behinderung unnötigerweise ins Amt kommen müssen, um dort Daten anzugeben, die der Staat längst hat.
Frage: Viele Menschen sind da aber skeptisch, auch wegen des Datenschutzes. Werden wir in Zukunft noch die Wahl haben zwischen einem analogen und einem digitalen Personalausweis?
Wissing: In Estland würde man auf diese Frage antworten: Wozu sollte man einen analogen Personalausweis brauchen? Denn mit dem digitalen können Sie alles machen. Und Sie haben damit nicht weniger, sondern mehr Datenschutz. In Estland werden Adresse und Geburtsdatum einmal an einer Stelle hinterlegt, und jedes Mal, wenn jemand die anschauen will, etwa Ihr Arzt, werden Sie informiert. Wir dagegen geben unsere Daten analog an unzähligen Stellen an und haben keinerlei Kontrolle, wer sie sich weshalb anschaut.
Frage: Also bekommen wir auch in Deutschland einen verpflichtenden digitalen Ausweis?
Wissing: Das halte ich für sehr sinnvoll, jedenfalls braucht jeder eine digitale Identität.