WISSING-Interview: Der Eindruck entsteht, dass Gründe zum Streiken gesucht werden, anstatt Lösungen im Tarifkonflikt.
FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing gab „tagesschau.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Jan Zimmermann:
Frage: Viele Menschen sind angesichts neuer Streiks wirklich verärgert. Sind Sie das auch?
Wissing: Ja, ich finde, dieser Tarifkonflikt nimmt zunehmend Züge an, die nicht mehr nachvollziehbar sind. Die Bürgerinnen und Bürger leiden unter dieser Situation. Und auch die Art und Weise, wie jetzt „Wellenstreiks“ angekündigt werden, hinterlässt ein merkwürdiges Gefühl. Wer vom Streikrecht Gebrauch macht, der muss auch Verantwortung übernehmen und das heißt: konstruktiv verhandeln. Hier entsteht der Eindruck, dass Gründe zum Streiken gesucht werden, anstatt Lösungen im Tarifkonflikt. Und dass die Menschen hierüber verärgert sind, dafür habe ich Verständnis.
Frage: Sie haben es schon angesprochen, diese „Wellenstreiks“ – also Ausstände ohne Ankündigung – das bedeutet ja auch, dass die Notfallpläne der Bahn ausgehebelt werden und damit jede Planbarkeit sowohl im Güterverkehr als auch im Personenverkehr damit verloren geht. Wie bewerten Sie das?
Wissing: Ich finde es nicht nachvollziehbar, weshalb Herr Weselsky das Schlichterpapier falsch verstanden hat. Denn das Schlichterpapier ist nicht missverständlich formuliert. Und ich muss schon einfordern, dass hier professionell und auch verantwortungsbewusst verhandelt wird. Und natürlich habe ich kein Verständnis dafür, wenn Herr Weselsky sagt, er arbeite daran, dass die Bahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel ist. Das kann nicht ernst gemeint sein und deswegen muss jetzt hier seriös und professionell auf der Grundlage des Schlichtervorschlages eine Lösung gefunden werden. Und zwar ohne, dass es zu weiteren Streiks kommt. Ich erwarte, dass man sich nicht destruktiv verhält, sondern lösungsorientiert, verantwortungsvoll.
Frage: Es wurde ja gerade angesprochen, dass dieser Tarifkonflikt die Menschen, insbesondere aber auch die Wirtschaft, sehr belastet. Welchen Schaden sehen Sie da zum Beispiel auf die Wirtschaft zukommen? Lässt sich das in irgendeiner Form beziffern?
Wissing: Diese Streiks haben massive Auswirkungen auf unser Land, auf die Mobilität der Einzelnen und natürlich auch auf unsere Wirtschaft. Und wir müssen jetzt in einer Zeit der wirtschaftlichen Schwäche dafür sorgen, dass alle zusammenstehen und jeder einen konstruktiven Beitrag dafür leistet, dass unser Land wieder auf Wachstumskurs kommt. Da können nicht einzelne einen destruktiven Weg einschlagen. Was für ein wirtschaftlicher Schaden genau entsteht, wird analysiert werden. Aber klar ist, dass eine zuverlässige Bahn eine Voraussetzung dafür ist, dass wir auf Wachstum kommen und sich die Wirtschaft in unserem Land gut entwickelt. Und klar ist auch, dass diese „Wellenstreiks“ quasi eine völlige Unvorhersehbarkeit für die Menschen und massive Auswirkungen für die Wirtschaft haben. Und deswegen kann ich nur appellieren zu verhandeln und schnell eine Lösung zu erarbeiten. Alle sind in der Verantwortung, auch Herr Weselsky.
Frage: Sie appellieren an die Verantwortung. Der Bund ist ja bei der Bahn Alleineigentümer. Viele erwarten von Ihnen, dass Sie mehr tun, als jetzt nur zu appellieren. Dass Sie Einfluss nehmen. Werden Sie das tun?
Wissing: Wir haben ein System, in dem nicht die Politik Tarifkonflikte löst, sondern die Tarifparteien. Und da kann ich nur um Verständnis bitten, dass das eingehalten werden muss. Wir können nicht anfangen, Tarifkonflikte politisch oder von Regierungsseite her zu lösen. Klar ist: die Bahn steht im Eigentum des Bundes. Aber klar ist auch, dass sie ein Unternehmen am Markt ist. Und als solches muss die Bahn als Tarifpartei verhandeln, und nicht die Bundesregierung. Diese Dinge dürfen nicht vermischt werden. Das hätte massive Auswirkungen auch auf künftige Tarifkonflikte, deswegen geht eine unmittelbare Einflussnahme hier auf keinen Fall. Aber klar ist auch, dass Tariffreiheit nicht bedeutet, dass man sich destruktiv und verantwortungslos verhalten darf. Sondern alle stehen in der Verantwortung, dass ein Konflikt gelöst wird. Wir brauchen eine Antwort auf die Tariffrage, aber gleichzeitig eben auch Mobilität für die Menschen und den Güterverkehr. Hier müssen sich alle auch verantwortlich fühlen. Und diese Verantwortung, die fordere ich dringend ein.
Frage: Was heißt das konkret, Verantwortung? Können Sie die beiden Partner nicht zum Beispiel in eine Schlichtung zwingen? Die Moderation hat offenbar nicht geholfen. Die Menschen fragen sich ganz einfach: Was können Sie tun, um diesen Konflikt zu lösen?
Wissing: Verhandeln, miteinander sprechen. Schauen Sie: das Schlichterpapier, das ist ja nicht missverständlich formuliert. Trotzdem muss man sich in der Öffentlichkeit jetzt bieten lassen, dass man es falsch verstanden hat. Ich kann nicht nachvollziehen, was dort missverständlich sein soll. Und natürlich es ist dieses Schlichterpapier eine Grundlage, um eine Lösung zu finden. Aber da muss man sprechen und kann nicht auf Maximalforderungen beharren. Das Beharren auf Maximalforderungen und Maximalpositionen ist ja kein Beitrag, um einen Kompromiss zu finden.
Frage: Aber Sie könnten doch dem Bahnvorstand sagen: „35 Stunden, das ist ja die Hauptforderung der Gewerkschaft, machen Sie das!“ – und der Konflikt wäre gelöst.
Wissing: Die Bahn ist kein Staatsunternehmen, sondern sie ist ein Unternehmen am Markt und es ist der Vorstand der Bahn, der die Personalfragen und auch die Tarifergebnisse verantworten muss. Hier ist nicht der Bundesverkehrsminister Tarifpartei. Diese Dinge darf man nicht vermischen. Und klar ist auch, dass sich die Bundesregierung nicht in laufende Tarifkonflikte einmischen kann.
Frage: Würden Sie sagen, ein Streikgesetz würde helfen? Vielleicht jetzt nicht für diesen Konflikt, aber für weitere? Diese Forderung steht ja auch im Raum.
Wissing: Noch mal: das Streikrecht ist in unserer Verfassung geregelt. Und es verbietet sich, wenn von einem verbrieften Recht Gebrauch gemacht wird, dass dann die Bundesregierung mit der Diskussion über Rechtsänderungen eingreift oder mittelbar eingreift. Unser Auftrag ist es, die verfassungsrechtlich gewährten Rechte zu schützen – und daran halte ich mich. Aber klar ist auch, dass Rechte und Freiheitsrechte immer auch mit Verantwortung einhergehen müssen. Einseitig zu sagen: „Ich streike, wann ich will, aber ich setze mich nicht an den Verhandlungstisch oder setze mich inhaltlich konstruktiv mit einem Schlichtungsvorschlag auseinander“, das geht zu weit.
Frage: Jetzt ist es ja so, dass die Bahn Kernbestandteil der Verkehrswende ist. Die Menschen wenden sich ab, wenden sich immer mehr dem Auto zu und sind abgeschreckt, umzusteigen. Man könnte auch sagen, dass das, was das Deutschlandticket vielleicht an Positivem bewirkt hat, von diesen Streiks nun wieder eingerissen wird. Der Schaden ist groß für die Bahn und auch für die Verkehrswende. Wie sehen Sie das?
Wissing: Das Deutschlandticket hat dazu geführt, dass wir deutlich mehr Menschen im ÖPNV haben. Das Deutschlandticket war ein Gamechanger. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Tarifkonflikt auch vor dem Hintergrund zu einem schnellen Ende kommt, dass Streiks und Unwägbarkeiten in der Mobilität mit dem ÖPNV dessen Attraktivität schwächen. Das können wir nicht gebrauchen in einer Zeit, in der wir alle uns anstrengen müssen, klimaneutrale Mobilität und bezahlbare Mobilität für jede und jeden zu gewährleisten. Auch das ist ein Teil der Verantwortung, die die beiden Tarifparteien übernehmen müssen. Und es kann doch nicht richtig sein, dass man als Tarifpartei sagt: „Meine Forderung müssen zu einhundert Prozent erfüllt werden. Ich gehe keinen Kompromiss ein.“ Und wenn man sich dieses Schlichterpapier anschaut, dann merkt man doch einen erheblichen Unterschied zu der Darstellung des Herrn Weselsky, und deswegen ist es jetzt an ihm, einen Schritt zu gehen und dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung von diesen Streiks verschont bleibt.
Frage: Stehen Sie denn mit dem Bahn-Management in Kontakt? Tauschen Sie sich da aus?
Wissing: Noch mal: Ich werde mich nicht aktiv in diesen Tarifkonflikt einmischen. Das ist nicht Aufgabe der Bundesregierung. Wir sind nicht Schlichter in Tarifauseinandersetzungen. Wir haben hier klare Regeln, mit denen wir in der Vergangenheit sehr gut gefahren sind. Die Tarifautonomie funktioniert in Deutschland immer dann sehr gut, wenn die Verhandlungsführer der jeweiligen Tarifparteien sich neben ihren berechtigten Interessen auch einer gesellschaftlichen Gesamtverantwortung bewusst sind. Und an diese Verantwortung appelliere ich. Dass ich mich jetzt unmittelbar in diesen Tarifkonflikt einbringe, das kann man nicht erwarten, denn das wäre von großem Schaden auch für künftige Tarifauseinandersetzung. Wir können nicht so miteinander umgehen, dass die Tarifparteien ihre Tarifragen der Bundesregierung präsentieren. Damit wäre am Ende niemandem geholfen. Wir müssen zurück zu einem Prinzip des gesamtgesellschaftlich verantwortungsvollen Umgangs mit dem wichtigen Gut der Tarifautonomie.