WISSING-Interview: CDU spielt beim Verbrenner-Aus ein falsches Spiel
FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing MdB gab „euractiv.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Jonathan Packroff:
Frage: Herr Wissing, die CDU hat vergangenen Freitag eine Online-Umfrage gestartet, ob das Verbrenner-Aus zurückgenommen werden soll. Haben Sie auch abgestimmt?
Wissing: Nein. Was die CDU da betreibt, ist Wahlkampf. Aber das Thema ist viel zu ernst, um alle paar Wochen seine Position zu ändern. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Es geht darum, die Dekarbonisierung so zu gestalten, dass wir eine starke Industriegesellschaft bleiben. Wir müssen unsere Fahrzeugindustrie durch diesen Transformationsprozess begleiten, sodass sie weiterhin eine führende Rolle im globalen Markt spielt. Im Europawahlkampf verspricht die CDU das Gegenteil von dem, was sie in der vergangenen Legislatur gemacht hat. Dafür habe ich kein Verständnis.
Frage: Die CDU ist also nicht glaubwürdig, weil sie die Kommissionspräsidentin stellt, unter deren Führung das Verbrenner-Aus beschlossen wurde?
Wissing: Ja. Auch die Politik von CDU-Bundeskanzlerin Merkel stand nicht im Einklang mit dem, was ihre Partei heute fordert. Das Klimaschutzgesetz von Frau Merkel hätte uns dazu verpflichtet, drastische Maßnahmen wie Fahrverbote zu ergreifen. Das haben wir jetzt korrigiert.
Frage: Durch die Abschwächung der Sektorziele droht eine Verfehlung der EU-Klimaziele. Befürchten Sie Strafzahlungen?
Wissing: Tatsache ist doch: Niemand ist ambitionierter als die Bundesrepublik Deutschland, wenn es darum geht, Ladesäulen aufzubauen und die Schiene fit zu machen. Warum sollten alle anderen es mühelos schaffen, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren, nur wir nicht? Ich glaube, dass wir es noch eher schaffen als andere. Es ist der falsche Ansatz, die eigene Bevölkerung unter Druck zu setzen. Statt über Einschnitte und Verbote nachzudenken, brauchen wir attraktive Angebote. Nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Die CO2-Emissionen zu reduzieren, ist eine globale Aufgabe. Die Bundesregierung schafft genau solche Angebote: Mit dem Deutschlandticket haben wir verkrustete Tarifstrukturen aufgebrochen, wir investieren Rekordsummen in die Bahn, bauen die Ladeinfrastruktur weiter aus und schaffen ein enges Netz aus Wasserstofftankstellen. Ich stehe für Technologieoffenheit. Niemand weiß heute, welche Technologie sich künftig durchsetzen wird. Das sollte auch nicht der Staat entscheiden, sondern der Markt. Wenn wir uns alle Optionen offenhalten, werden wir unsere Klimaschutzziele schneller erreichen.
Frage: Sie haben Sie sich für eine E-Fuels-Ausnahme vom Verbrenner-Aus eingesetzt. Die Umsetzung stockt. Wird das in den nächsten Monaten gelöst?
Wissing: Es macht keinen Sinn, in Zukunft Verbrennungsmotoren mit fossilen Kraftstoffen zu betreiben, dann werden wir ja nicht klimaneutral. Anderseits macht es auch keinen Sinn, dass wir auf die Option E-Fuels verzichten. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass diese Kraftstoffe verfügbar werden und dass eine neue Kategorie von Fahrzeugen geschaffen wird, die ausschließlich klimaneutrale E-Fuels tanken. Klar ist: Wenn der Verbrennungsmotor als Technologie weiter zugelassen wird, dann muss man die Frage beantworten, wie wir zwischen fossilen Kraftstoffen und erneuerbaren Kraftstoffen differenzieren. Über diese Zulassungskriterien wird im Augenblick beraten.
Frage: Die Union wirft Ihnen vor, dass es nicht schnell genug geht.
Wissing: Die Union spielt ein falsches Spiel. Sie hat in Deutschland ein Klimaschutzgesetz gemacht, das nur darauf ausgelegt war, den Verkehr einzuschränken. Und in Europa hat sie das Verbrenner-Aus vorangetrieben. Dagegen arbeite ich an praktischen Lösungen. Vor allem die deutsche Industrie sagt, dass sie noch etwas Zeit braucht, um die technischen Anforderungen zu definieren. Bis zum Jahresende soll es einen Vorschlag zur technischen Umsetzung geben, wie sichergestellt werden kann, dass Fahrzeuge, die ab 2035 neu zugelassen werden, nur mit E-Fuels und nicht mit konventionellen Kraftstoffen betrieben werden können.
Frage: Ihrer Partei will die CO2-Flottengrenzwerte „ersatzlos abschaffen“. Sehen Sie das als Minister auch so?
Wissing: Die Grundidee ist, am Ende einen CO2-Emissionshandel zu haben und die CO2-Emissionen marktwirtschaftlich zu steuern. Der Vorteil davon ist, dass die CO2-Einsparungen dort zuerst vorgenommen werden, wo sie am preiswertesten sind.
Frage: Stehen Sie denn auch dann noch zum Konzept des CO2-Emissionshandels, wenn der zu stark steigenden Benzin- und Dieselpreisen führt, wie es ab 2027 der Fall sein könnte?
Wissing: Das Ziel ist, dass man die Dekarbonisierung so effizient und kostengünstig wie möglich gestaltet. Spekulationen darüber, wie sich der Preis entwickelt, lenken von der grundsätzlichen Frage ab: Sollte der Staat vorschreiben, wo zuerst CO2 eingespart wird, oder sollte man das der Kreativität der Vielen überlassen?
Frage: Experten erwarten im neuen Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr Preise von bis zu 200-300€ pro Tonne CO2, also einen Aufschlag von 50 bis 80 Cent pro Liter Diesel oder Benzin.
Wissing: Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, niemanden zu überfordern, und den Menschen gute Angebote wie das Deutschlandticket und ein dichtes Netz aus Ladesäulen zu machen. Die Transformation wird eine Anstrengung, aber sie darf die Menschen nicht überfordern.
Frage: Bedeutet das ein Aufweichen der Ziele, zum Beispiel, indem man mehr Zertifikate auf den Markt gibt und die CO2-Preise damit reduziert?
Wissing: An solchen Spekulationen beteilige ich mich nicht, weil sie die Menschen verunsichern. Meine Aufgabe ist es, klimafreundliche Mobilitätsangebote zu schaffen und die dafür benötigte Infrastruktur auszubauen.
Frage: Aber die Leute müssen ja Kaufentscheidungen treffen. Da wäre es ja gut, einschätzen zu können, wie teuer möglicherweise die Benzinpreise in Zukunft werden.
Wissing: Die Energiepreisentwicklung kann niemand vorhersagen. Damit hängt auch zusammen, was der Antrieb der Zukunft sein wird. Wenn man etwas nicht weiß, ist es besser, man hält sich mit der Regulierung zurück und lässt dem Markt seinen Lauf.
Frage: Das heißt, die Verbraucher müssen mit dem Risiko umgehen?
Wissing: Alle müssen das. Das kann nicht der Staat abnehmen. Was machen wir denn, wenn der Staat zum Beispiel sagt, wir erlauben nur Elektro-Lkw und dann bekommen wir den Netzausbau nicht hin? Entschuldigen wir uns dann für die leeren Supermarktregale oder erfinden wir Geschichten, so wie die CDU das gerade macht? Deswegen ist es besser, wenn man bei der Wahrheit bleibt und sagt, wir wissen nicht, wie hoch im Jahr 2030 die Preise der einzelnen Energieträger sein werden.
Frage: Finden Sie es gut, dass es immer mehr chinesische Anbieter gibt, die neue E-Autos zu günstigeren Preisen auf den Markt bringen?
Wissing: Was ich gut finde, ist ein Wettbewerb der Technologien in der Autoindustrie. Der globale Wettbewerb ist ein Anreiz für die deutschen Hersteller, bessere und günstigere Autos zu bauen. Und ich habe keine Sorge, dass die deutsche Fahrzeugindustrie in diesem Wettbewerb nicht bestehen wird. Deshalb bin ich erstaunt, dass einige jetzt fordern, den Wettbewerb staatlich einzuschränken. Das hat mit Marktwirtschaft überhaupt nichts zu tun. Am Ende muss man sich schon fragen: Wollen wir einen so großen Transformationsprozess nach der Blaupause der wirtschaftlich untergegangenen DDR steuern, oder bleiben wir beim Erfolgsmodell der Bundesrepublik Deutschland?
Frage: Auf europäischer Ebene läuft gerade ein Verfahren, was möglichweise zu neuen Zöllen auf chinesische E-Autos führt. Sollte es diese Zölle geben?
Wissing: Es ist klar, dass Wettbewerb gleiche Chancen bieten muss. Und die dürfen nicht durch staatliche Eingriffe verschoben werden. Aber der Ansatz muss doch immer sein, den Wettbewerb fair zu gestalten, statt daran zu arbeiten, ihn zu behindern. Deshalb ist der Grundansatz schon falsch. Ich vermisse eine belastbare Untersuchung der EU-Kommission, die aufzeigt, wo der Wettbewerb unfair ist. Auf dieser Grundlage könnte man sich mit der Sache auseinandersetzen. Aber einfach nur zu sagen, wir haben einen Verdacht, das ist zu wenig.
Frage: Was sollte in den nächsten fünf Jahren im Verkehrsbereich auf europäischer Ebene passieren?
Wissing: Wir müssen technologieoffener werden, denn zu viele Fragen sind unbeantwortet. Und wir müssen unsere industriepolitischen Interessen stärker bündeln. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass der Nachbar geschwächt wird. Ich habe manches Mal erlebt, dass die Verkehrsminister-Kollegen, die keine Fahrzeugindustrie im eigenen Land haben, sagen: Das ist euer Problem. Aber es ist auch ein Problem zum Beispiel von Malta, wenn die Bundesrepublik Deutschland industriepolitisch geschwächt aus diesem Transformationsprozess hervorgeht. Denn wenn unsere Wirtschaftsleistung sinkt, werden wir auch nicht in dem bekannten Maße die europäische Entwicklung mitfinanzieren können. Ich würde mir auch mehr Klarheit wünschen. Ich finde sehr bedauerlich, wenn in der Öffentlichkeit nicht klar gemacht wird, welche Ziele man verfolgt. Einige, die sich besonders laut für Klimaschutz stark machen und alles elektrifizieren wollen, täuschen darüber hinweg, worum es ihnen eigentlich geht. Sie wollen, dass ein Großteil des Verkehrs – Personen- wie Güterverkehr – gar nicht mehr stattfindet. Sie wissen genau, dass dabei die Wirtschaft schrumpft.
Frage: Damit meinen Sie die Grünen?
Wissing: Ich meine diejenigen, die ganz gezielt eine Degrowth-Politik betreiben. Natürlich ist es legitim, diese Position zu vertreten, aber man sollte dann auch ehrlich sein, welche Folgen dieser Ansatz hat. Künstliche Einschränkung und Degrowth sind für unsere Gesellschaft keine klugen Ideen. Diese Forderungen sind eine Kampfansage für diejenigen, die auf Wohlstand, soziale Sicherheit, steigende Löhne und gute Altersvorsorge setzen. Die Menschen erwarten ein modernes medizinisches Versorgungssystem, sie erwarten sehr gute Infrastruktur, sie erwarten eine hohe Lebensqualität. Und all das wie auch der Klimaschutz ist nur finanzierbar, wenn wir auch wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Genau diese Politik vertrete ich.
Frage: Sie argumentieren oft, dass es E-Fuels auch für die Pkw-Bestandsflotte braucht. Im Rahmen der EU Erneuerbaren-Energien-Richtlinie kann Deutschland jetzt eine Beimischungsquote festlegen. Wie hoch sollte diese aus Ihrer Sicht sein?
Wissing: Zunächst einmal muss man sich mit der Frage beschäftigen: Wo kommen diese Kraftstoffe her? Es ist klar, dass wir unseren Bedarf an synthetischen Kraftstoffen nicht allein in Deutschland produzieren können. Die Beimischungsquote ist ein gutes Instrument. Sie trägt dazu bei, CO2-Emissionen zu reduzieren, und schafft Anreize, dass diese Kraftstoffe verfügbar werden. Aber dem muss vorausgehen, dass wir optimale Voraussetzungen für den Hochlauf schaffen. Und wir müssen die Frage klären, wie diese Kraftstoffe normiert und zertifiziert werden. Wir brauchen E-Fuels in der Luftfahrt, in der Schifffahrt und auch auf der Straße, nicht zuletzt für die Bestandsflotte von derzeit 45 Millionen Verbrennerfahrzeugen in Deutschland. Wir müssten hier viel schneller vorankommen, sonst stehen unsere Klimaschutzziele weltweit in Frage. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Widerstand mir gerade auch von Umweltverbänden entgegenschlägt, wenn ich über E-Fuels spreche. Nach allen Prognosen wird insbesondere der Flugverkehr in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Deswegen sind wir gut beraten, ambitionierter zu sein und den Anwendungsbereich von E-Fuels nicht künstlich zu beschränken. Je stärker das Signal, das wir an den Markt senden, desto besser werden klimafreundliche Kraftstoffe verfügbar sein. Jeder Liter E-Fuels, der einen Liter fossilen Kraftstoff ersetzt, schützt unser Klima – egal ob er auf der Straße, in der Luft oder auf dem Wasser genutzt wird.