STRACK-ZIMMERMANN-Interview: Wir brauchen eine europäische Armee.
FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gab der „Heilbronner Stimme“ und „Stimme online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Marie Provençal:
Frage: Ihre Parteimitglieder haben sich vor kurzem in einer Mitgliederbefragung sehr knapp für den Verbleib in der Ampelkoalition entschieden: Wieso schafft die FDP es nicht, ihre Mitglieder deutlich hinter ihrem Regierungshandeln zu versammeln?
Strack-Zimmermann: Ich glaube, dass es den Leuten einfach auf den Keks geht, dass immer so geräuschvoll diskutiert wird. Wir sind drei sehr unterschiedliche Parteien. Wir haben Ziele, die im Koalitionsvertrag festgezurrt worden sind — aber haben unterschiedliche Sichtweisen auf dem Weg dorthin. Naturgemäß haben die Gespräche manches mal etwas Robustes. Am Ende aber gibt es Kompromisse. Das liegt in der Natur der Sache. Und manche Parteifreunde sind darüber enttäuscht. Die 40 Prozent bei der Mitgliederbeteiligung zeigen, dass die Mitglieder engagiert sind. Diejenigen, die gegen die Ampelbeteiligung sind — es ist ja immer leichter Leute zu aktivieren, wenn sie gegen etwas sind — haben ihrem Unmut deutlich Ausdruck verliehen. Das nehmen wir ernst und schauen jetzt nach vorne.
Frage: Im Juni stehen Europawahlen an, Sie sind designierte Spitzenkandidatin Ihrer Partei. Was zieht Sie nach Brüssel?
Strack-Zimmermann: Ich habe vor allen Dingen in den letzten zwei Jahren als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses unter dem Eindruck des Angriffs Russlands auf die Ukraine unheimlich viel Kontakt gehabt mit Außenministern, mit Verteidigungsministern aller europäischen Länder, aber auch aller Nato-Länder. Mit jedem Tag, mit dem wir die Ukraine unterstützen, mit dem wir in Europa diskutieren, was kann man noch tun, damit die Ukraine Erfolg hat, ist mir einfach klargeworden, dass das Thema Sicherheit nur in Europa geleistet werden kann und wir auch anders damit umgehen müssen. Insbesondere in Anbetracht dessen, was gerade in den USA passiert und was in China passiert, als starker Systemkonkurrent.
Frage: Welche Punkte sind für Sie in der Arbeit der EU aktuell am drängendsten, damit sie zukunftsfähig bleibt?
Strack-Zimmermann: Die Bürokratie und die vielen Auflagen, die etliche Branchen betreffen, müssen verringert werden. Europa ist das große Friedensprojekt, die Wirtschaftsunion war der Beginn eines gemeinsamen Weges: Offene Grenzen, ein Binnenmarkt, eine gemeinsame Währung. 27 Länder zusammenzuhalten, ist eine Herausforderung, aber diese Regelungswut bis ins Detail ist eine Bürde.
Frage: Rechtspopulistische und europakritische Parteien sind in vielen Ländern auf Erfolgskurs. Wie sehr beunruhigt Sie das mit Hinblick auf die Europawahlen?
Strack-Zimmermann: Das besorgt mich ausgesprochen und grundsätzlich bei jeder Wahl. Bei der Europawahl kommt tragischerweise hinzu, dass nationalistische Parteien in ein Parlament drängen, um es letztlich von innen zu zerstören. Darauf müssen alle Demokraten reagieren und den Menschen erklären, was das in der Konsequenz bedeutet. Der französische Nationalist hat am Ende nichts mit dem deutschen Nationalisten gemein. Nationalisten machen gemeinsam die Union der Länder kaputt, um sich dann gegenseitig kaputt zu machen.
Frage: Mit Blick auf den Ukraine- und Nahostkonflikt plädieren Sie oft für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa — braucht Europa endlich eine europäische Armee?
Strack-Zimmermann: Das ist schon immer das Ansinnen der Liberalen gewesen. Alle Partnerländer sollten sich in der Zukunft bereit halten, das gemeinsam umzusetzen. Jedes Land wird dabei seine Geschwindigkeit haben und an seiner nationalen Armee festhalten wollen, wir werden aber auf Dauer nicht umhin kommen, immer mehr zusammenzuwirken. Das fängt mit einer gemeinsamen Beschaffung an. Deutschland und die Niederlande sind ein gutes Beispiel, wie es funktionieren kann. Wir arbeiten militärisch sehr eng zusammen. Es gibt zudem in Europa bereits jetzt eine permanente strukturierte Zusammenarbeit, in der jedes Land seine Fähigkeiten einbringt. Es muss nicht jeder alles können. Ja, wenn Sie mich fragen: Letztlich brauchen wir eine europäische Armee.
Frage: Sie kritisieren die fehlenden Taurus-Lieferungen und fordern mehr Militärhilfe für die Ukraine: Warum zögert die Bundesregierung derart?
Strack-Zimmermann: Es gab letztes Jahr einen Beschluss im Bundestag, welcher dem Kanzler alle Möglichkeiten eröffnet hat zu liefern, was für die Ukraine besonders erforderlich ist. Er hat also seitens des Parlaments grünes Licht. Der Taurus ist ein System, welches eine enorme Wirkung hat. Es wäre ein Mittel, den militärischen Nachschub Russlands gezielt zu unterbrechen, deshalb ist der Einsatz dieser Waffe von enormer Bedeutung. Warum der Bundeskanzler zögert, kann ich nur vermuten. Ist es ein Grundmisstrauen der Ukraine gegenüber? Im Verteidigungsausschuss gibt es einen großen Konsens, dass wir liefern sollten, denn Putin wird diesen brutalen völkerrechtswidrigen Angriff nicht einstellen.
Frage: Sie haben also kein Verständnis für das Zögern?
Strack-Zimmermann: Überhaupt keins, wir sollten keine Angst vor der eigenen Courage haben.
Frage: Die EU hatte eine Steigerung der Rüstungsproduktion beschlossen. Schafft sie das?
Strack-Zimmermann: Munition herzustellen ist ein komplexer Vorgang. Und da Europa viel Munition an die Ukraine geliefert hat, ist es sehr ambitioniert zu sagen: „Wir stellen schnell noch mehr her“. Aber enttäuschend ist es. Die Industrie muss ihre Kapazitäten deutlich steigern.
Frage: Das heißt, es geht nicht so schnell wie versprochen?
Strack-Zimmermann: Offensichtlich nicht.
Frage: Sie wechseln im Sommer vermutlich nach Brüssel: Werden Sie das politische Berlin vermissen?
Strack-Zimmermann: Ich liebe meine Arbeit im Bundestag. Aber ich werde selbstverständlich weiterhin genau sehen, was in Berlin passiert und bekomme es als Mitglied des FDP-Präsidiums natürlich auch genau mit. Gerade wenn es um Sicherheitsthemen geht, werde ich mich auch von Brüssel aus sehr deutlich zu Wort melden. Wer also vor allem im Kanzleramt annimmt: Dann ist die Nervensäge weg, der täuscht sich gewaltig.