STRACK-ZIMMERMANN-Interview: Es geht um unsere Freiheit in Frieden und um die Bereitschaft, diese Freiheit zu verteidigen.

Das FDP-Präsidiumsmitglied und die Spitzenkandidatin zur Europawahl Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gab der „Schwäbischen Zeitung“ und „Schwäbische.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Claudia Kling und Ludger Möllers:

Frage: Die Taurus-Abhöraffäre ist aufgeklärt: Ein General hat die Sicherheitsvorschriften nicht beachtet. Muss er jetzt gehen?

Strack-Zimmermann: Die Lage gehört selbstverständlich präzise aufgeklärt. An der Forderung, personelle Konsequenzen zu ziehen, werde ich mich ganz sicher nicht beteiligen. Hohen Offizieren darf so etwas natürlich nicht passieren, es ist aber passiert. Aus diesen Fehlern gehört in jeder Hinsicht gelernt und eine Wiederholung ausgeschlossen.

Frage: Aber die Affäre sollte doch Konsequenzen haben!

Strack-Zimmermann: Ja klar. Es müssen technische Fragen geklärt werden und offensichtlich nicht nur Soldatinnen und Soldaten und deren Angehörige, sondern auch Mitarbeiter vieler staatlicher Institutionen dafür sensibilisiert werden, dass sie jederzeit ausspioniert und abgehört werden können. Die Naivität muss enden.

Frage: Was kann der Einzelne lernen?

Strack-Zimmermann: Dieser Vorgang dürfte nicht nur ein großer Schreck für diejenigen sein, die ihn verursacht haben. Es ist auch ein großer Schock für diejenigen, die immer noch geglaubt haben, die Angriffe seien subtil und gehörten nicht zur heutigen Wirklichkeit. Zu glauben, man sei selbst nicht Ziel eines hybriden Angriffes, weil man doch nichts zu verbergen hätte, der täuscht sich gewaltig.

Frage: Gibt es eine Lernkurve?

Strack-Zimmermann: Davon gehe ich aus. Diese Kurve wird ganz steil nach oben gehen. Sie sollte nur nachhaltig sein. Ein Zurücklehnen, ist ja noch mal gut gegangen, wird es hoffentlich nicht geben.

Frage: Welche Erkenntnis ziehen Sie?

Strack-Zimmermann: Wir wissen seit Jahren, dass täglich diese Angriffe laufen. Die Anzahl der Spione und der Spionage-Fälle hat extrem zugenommen. Wir verzeichnen einen hohen Zuwachs vergleichbar mit dem Spionageaufkommen während des Kalten Krieges. Unsere Reaktion darauf kann nur sein, mit allen erforderlichen Möglichkeiten zu organisieren sich zu wehren. Das Abhören eines Gesprächs hoher Offiziere ist ein hybrider Angriff auf unsere nationale Sicherheit.

Frage: In dem abgehörten Gespräch ging es um den Marschflugkörper Taurus. Es ist deutlich geworden, dass bei einem möglichen Einsatz in der Ukraine keine Bundeswehr-Angehörigen vor Ort sein müssten. Kanzler Scholz behauptet das Gegenteil, um die Waffe nicht zu liefern.

Strack-Zimmermann: Die Tatsache, dass es keiner deutschen Soldaten in der Ukraine bedarf, um den Taurus zu aktivieren, weiß jeder seit Monaten, der sich damit seriös beschäftigt. Der Kanzler sollte das auch erfahren haben. Ich persönlich habe mich mit dem System auch beschäftigen müssen. Ich war vor Ort, wo der Taurus hergestellt wird, habe mir erklären lassen, wie das System funktioniert, wie es bedient wird und was die Voraussetzungen dafür sind.

Frage: Warum bleibt Scholz bei seiner Ablehnung?

Strack-Zimmermann: Wer sich derart gegen die Lieferung an die Ukraine sträubt, sollte seine Gründe belegen können. Das Interesse in der Öffentlichkeit ist sehr groß. Inzwischen ist es zum Politikum geworden. Da sollte man sich zu 100 Prozent briefen lassen und sich gut überlegen, was man sagt.

Frage: Innere Widerstände?

Strack-Zimmermann: Er wird in die eigene Partei Signale senden wollen, um in den eigenen Reihen nicht unter Druck zu geraten.

Frage: Wie geht Olaf Scholz nun mit diesem Widerspruch um?

Strack-Zimmermann: Diese Situation ist für ihn als Kanzler natürlich peinlich. Die Offiziere bestätigen das, was Fachleute schon hundert Mal gesagt haben: Selbstverständlich können die Ukrainer den Taurus programmieren, ohne dass deutsche Soldaten in der Ukraine daneben stehen müssen.

Frage: Der ehemalige Airbus-Chef Tom Enders hat Olaf Scholz als den „Chamberlain des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Das ist ein schlimmer Vorwurf.

Strack-Zimmermann: Wir sollten, bei aller Unterschiedlichkeit der Sichtweise und trotz der ausgesprochen ernsten Diskussion, etwas flacher atmen.

Frage: Welchen Blick haben Sie auf den Kanzler?

Strack-Zimmermann: Ich wünschte mir, dass der Kanzler, was die Lieferung des Taurus betrifft, endlich „Ja“ sagt. Zeit ist für die tapferen Ukrainer ein wesentlicher Faktor. Die Annahme, man würde Putin friedlich stimmen, wenn man den Ukrainern wesentliche Waffen verweigert, ist naiv. Putin interpretiert das Zögern des Kanzlers als Schwäche. Das ist gefährlich. Denn es ist Öl auf die imperialistischen Mühlen des russischen Präsidenten und macht ihn umso gefährlicher.

Frage: Welchen Blick haben Sie auf Wladimir Putin?

Strack-Zimmermann: Wladimir Putin spürt Unsicherheit und nutzt diese aus. Er hat in Deutschland gelebt, kennt unsere Mentalität, spricht unsere Sprache. Er ist und bleibt ein KGB-Mann, der brutal unsere Freiheit nutzt, um uns auch von innen heraus zu destabilisieren.

Frage: Scholz hat den Begriff der Zeitenwende geprägt. Wird dieser Begriff richtig verstanden?

Strack-Zimmermann: Zeitenwende beinhaltet vieles: eine modern ausgerüstete Bundeswehr, die im Bündnis uns zu schützen in der Lage ist. Dazu gehört aber auch, den Bürgerinnen und Bürgern zu verdeutlichen, dass es um unsere Freiheit in Frieden geht, und um die Bereitschaft diese Freiheit zu verteidigen. Eine aktuelle Umfrage besagt, dass nur 35 Prozent bereit wären, sich auch mit der Waffe in der Hand im Ernstfall zu wehren. Ich halte diese Umfragen für schwierig, weil es eine hypothetische Frage ist, die Menschen beantworten müssen, die im Warmen sitzen.

Frage: Wieso hypothetisch?

Strack-Zimmermann: Die Menschen in der Ukraine haben bis zum 23. Februar 2022 sich nicht vorstellen können, dass Russland sie wirklich angreift. Wenn sie tatsächlich physisch angegriffen werden, greift man auch zur Waffe, weil man überleben und auch seine Familie schützen will. Was wissen wir schon, was es bedeutet, wenn Freunde getötet, Kinder verschleppt und Frauen vergewaltigt werden? Wir leben doch in einer völlig anderen Lage.

Frage: Also bleibt der Begriff der Zeitenwende ein akademischer Begriff?

Strack-Zimmermann: Wir sind auf dem Weg. Vor zweieinhalb Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass ich an einer Universität mit den Studierenden über solche harten Fakten spreche.

Frage: Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert eine Kriegstüchtigkeit der Deutschen. Aber gibt es denn überhaupt den Willen, die Bereitschaft und die Fähigkeit, dass die Deutschen sich verteidigen?

Strack-Zimmermann: Wehrhaftigkeit entsteht, wenn man Menschen erklärt, was gerade passiert. Wenn man sie dafür sensibilisiert, dass diese Welt sich verändert, und zwar in einer enormen Geschwindigkeit.

Frage: Doch genau dieses Tempo macht Angst.

Strack-Zimmermann: Ja, es macht Angst, denn das Thema Transformation betrifft nicht nur Sicherheitsfragen, sondern alle Lebensbereiche: Wie leben wir? Welche Berufe ergreifen wir? Gibt es den Beruf, den ich noch gelernt habe, morgen überhaupt noch? Transformation ist für viele Menschen höchst besorgniserregend. Wir werden die Veränderungen aber nicht aufhalten können. Wir können daraus aber vieles Gutes machen. Transformation ist auch eine Chance auf ein besseres, unkomplizierteres und nachhaltigeres Leben.

Frage: Wir müssen über Geld sprechen. Derzeit und in den kommenden Jahren sind im Bundeshaushalt für die Bundeswehr 52 Milliarden Euro pro Jahr vorgesehen, zusätzlich etwa 20 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen. Diese Mittel werden aber ab 2027 investiert worden sein. Die Bundeswehr rechnet damit, dass sie in einigen Jahren, möglicherweise auch 110 Milliarden Euro pro Jahr aus dem laufenden Haushalt benötigt.

Strack-Zimmermann: Mittelfristig sprechen wir von etwa 70 bis 75 Milliarden, ausgehend vom Ziel der Nato, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Sicherheit zu investieren. Das ist viel Geld, aber lebenswichtig, denn ohne Sicherheit ist alles nichts.

Frage: Doch die Militärs weisen auf ihren Bedarf hin…

Strack-Zimmermann: Die Diskussion über den Haushalt wird in der kommenden Legislaturperiode geführt werden müssen. Wir werden lernen müssen, auch im Bundeshaushalt Prioritäten zu setzen.

Frage: Verteidigungsminister Boris Pistorius stößt auch die Debatte über die Wehrpflicht an.

Strack-Zimmermann: Das ist eine Debatte, die oberflächlich diskutiert wird. Wir haben keine Kasernen mehr, wir haben keine Ausbilder mehr, wir haben kein Material, um jedes Jahr 500.000 Männer und Frauen auszubilden.

Frage: Das ließe sich ändern…

Strack-Zimmermann: Unsere Volkswirtschaft würde unvorstellbar belastetet, wenn sie jedes Jahr viele hunderttausend junger Menschen dem Ausbildung- und Arbeitsmarkt entziehen würden. Wir haben in unserer alternden Gesellschaft heute schon zu wenig Nachwuchs. Nehmen Sie allein den Bereich der Pflege. Wenn Tausende weniger pro Jahr in die Ausbildung gehen, wer arbeitet in der Klinik? Wer pflegt die hilfsbedürftigen Senioren in den Einrichtungen?

Frage: Die Armee braucht aber Menschen.

Strack-Zimmermann: Die Investition in die Umsetzung der Wehrpflicht ist immens und dauert, wollen wir auch wehrgerecht sein. Die Mittel wären besser eingesetzt, aus der Bundeswehr eine moderne, gut ausgestattete Armee zu machen. Zudem ist es jungen Menschen unbenommen, heute schon die Bundeswehr von innen kennenzulernen. Sie sollten nach der Schule selbst entscheiden, was sie tun wollen. Wichtig ist, dass die Angebote auch da sind. Einsatzbereitschaft ist die Voraussetzung für Attraktivität.

Frage: Ich bleibe bei dem Thema: Der Bundeswehr fehlen schon heute die Soldatinnen und Soldaten.

Strack-Zimmermann: Sofern man 203.000 Soldatinnen und Soldaten erreichen will. Ein Ziel, das Frau von der Leyen mal gesetzt hat. Es gibt aber noch andere wichtige Parameter. Wir werden zum Schutze unserer Freiheit in eine Generation von Waffensystemen hineinwachsen, die deutlich weniger Personal benötigen.

Frage: Wie wird die Bundeswehr einsetzbar sein, wenn sie nicht wächst?

Strack-Zimmermann: Wir müssen auch den Blick auf den Zivilschutz richten. Die Bundeswehr unterstützt zum Beispiel auch bei Naturkatastrophen. Wer unterstützt, wenn die Bundeswehr im Einsatz gebraucht wird? Da muss neben dem THW auch der Zivilschutz helfen. Da sehe ich einen hohen Bedarf. Sicherheit ist nicht nur eine Frage der Landesverteidigung, Sicherheit muss auch im Land gewährleistet sein.

Frage: Sie sind als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag medial omnipräsent — und jetzt kandidieren Sie fürs Europa-Parlament, sind Spitzenkandidatin der FDP. Ziehen Sie sich aus dem Thema Verteidigung zurück?

Strack-Zimmermann: Ich werde mich weiterhin mit der Verteidigung beschäftigen. Unsere Sicherheit können wir nur gemeinsam in Europa organisieren.

Frage: Wo wollen Sie im EU-Parlament ansetzen?

Strack-Zimmermann: Wir müssen diesen Kontinent gemeinsam schützen: Das ist eine Riesenherausforderung. Jetzt ist die Zeit, konkret damit zu starten. Wenn ich meinen Beitrag dazu leisten kann, dann würde mich das freuen.

Frage: Sie gelten als harte Kämpferin im Bundestag. Kommt diese Eigenschaft Ihnen in Brüssel zugute?

Strack-Zimmermann: Wenn es der Sache dient, klar. Der Unterschied zwischen der Arbeit im Europaparlament und im Bundestag ist weniger geprägt von Regierung versus Opposition. Sie ringen um ein Thema, dann müssen sie über Parteien und über Länder hinweg versuchen, eine Koalition zu schmieden.

Frage: Was heißt das?

Strack-Zimmermann: Sie müssen mit allen Parlamentariern vernünftig auskommen, denn es könnte ja sein, dass sie die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen in bestimmtem Fragen benötigen.

Frage: Die derzeitige Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, will die Position eines Verteidigungskommissars neu schaffen. Ist das zielführend?

Strack-Zimmermann: Erfreulich, dass Frau von der Leyen unseren Vorschlag endlich aufgreifen will, sofern sie überhaupt wieder Kommissionspräsidentin wird. Sie hat das Thema Sicherheit der EU, obwohl sie sechs Jahre lang Verteidigungsministerin war, nie auf den Tisch der Kommission gelegt, sondern sich mehr damit beschäftigt, wie sie Europa mit endlosen bürokratischen Regeln auf Kosten des Mittelstandes überzieht. Wir brauchen in der Tat einen Kommissar oder eine Kommissarin, die sich dieser Themen annimmt: Sicherheit, Verteidigung und Beschaffung.

Frage: Mit welcher Fokussierung?

Strack-Zimmermann: Sie müssen auch die Industrie mit ins Boot holen. Denn die Industrie muss ihre Kapazitäten über Ländergrenzen hinweg hoch fahren, will Europa in der Zukunft ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten, ihren Kontinent sichern.

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