STRACK-ZIMMERMANN-Interview: Die EU muss es den Menschen in Europa einfacher und nicht schwerer machen.
Das FDP-Präsidiumsmitglied und die Spitzenkandidatin zur Europawahl Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gab „IPPEN.MEDIA“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Peter Sieben:
Frage: Frau Strack-Zimmermann, Sie hatten ja gerade Geburtstag.
Strack-Zimmermann: Den entsprechenden Udo-Jürgens-Song „Mit 66 Jahren…“ haben mir nicht ganz überraschend sehr viele Freunde an diesem Tag zukommen lassen.
Frage: Aber das passt doch auch gerade ganz gut, oder? Sie möchten jetzt nach Europa, das ist nochmal ein Neustart.
Strack-Zimmermann: Ich freue mich sehr auf diese neue Herausforderung.
Frage: Im Wahlprogramm der FDP mit Ihnen als Spitzenkandidatin steht der Satz: Europa muss einfacher werden. Was ist denn so schwierig an Europa?
Strack-Zimmermann: Das politische Europa ist für viele Menschen sehr abstrakt. Die meisten interessieren sich für die Bundespolitik und nehmen natürlich wahr, was unmittelbar vor ihrer Haustüre kommunalpolitisch passiert. Die Europäische Union erscheint weit weg vom Alltag, dabei kommen über 50 Prozent aller Gesetze und Regulierungen aus Brüssel. Viele europäische Regeln sind kompliziert, bürokratisch und greifen unmittelbar in unser Leben ein. Es ist daher nicht egal, wer im Parlament die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertritt und wer die Kommissionspräsidentin stellt. Deswegen gehört die europäische Gesetzgebung den Menschen nahegebracht.
Frage: Und das ist noch nicht der Fall?
Strack-Zimmermann: In Brüssel arbeiten sehr viele Menschen, die das Beste für ein geeintes Europa auf den Weg bringen wollen. In der Kommission werden die Regeln aufgesetzt. Das spüren jeden Tag vor allen Dingen die mittelständischen Unternehmen. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist verantwortlich dafür, dass wir inzwischen komplett überreguliert sind. Europäische Regeln greifen kleinteilig in unser Leben ein. Die Bürokratie fesselt die Wirtschaft. Die EU ist aber gegründet worden, um es den Menschen in Europa einfacher und leichter zu machen und nicht schwieriger.
Frage: Bei Umfragen zur Europawahl liegt die AfD bei über 20 Prozent. Das ist eine Verdopplung des Ergebnisses von 2019. Wie erklären Sie sich das?
Strack-Zimmermann: Vermutlich, weil der eine und die andere sich an der Bundespolitik abarbeiten will. Das ist deshalb fatal, weil die AfD überhaupt nicht europäisch tickt. Im Gegenteil. Die AfD-Chefin Alice Weidel hat in einem Interview mit der Financial Times erklärt, sie würde einen Austritt Deutschland aus der EU unterstützen. Das heißt, die AfD möchte mit ihren Leuten in das Europaparlament einziehen, um am Ende das Parlament zu verlassen und den europäischen Gedanken zu zerstören. Das wäre für die deutsche Volkswirtschaft übrigens eine Katastrophe. Ich frage Sie, laden Sie allen Ernstes einen Gast ein, von dem Sie wissen, dass dieser, kaum betritt er ihre Wohnung, im Wohnzimmer Feuer legt? Denjenigen, die damit liebäugeln, der AfD bei der Europawahl die Stimme zu geben, sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen.
Frage: Wie meinen Sie das?
Strack-Zimmermann: Der Wohlstand Deutschlands basiert auf den europäischen Freiheiten. Deutschland profitiert am meisten vom europäischen Binnenmarkt. Wir alle können innerhalb Europas leben und arbeiten, wo wir wollen, können studieren, wo gewünscht. Die rechten und linken Nationalen wollen genau das Gegenteil. Unter ihnen wird es wieder ein Europa der Nationalisten geben. Nationales Denken ist im Gegensatz zu einem gesunden Patriotismus Gift für das Zusammenleben. Das lehrt uns die europäische Geschichte.
Frage: Sie werden auch gegen Thomas Geisel vom BSW antreten, den kennen Sie ja noch aus Düsseldorf.
Strack-Zimmermann: Für mich ist dieser Mann Geschichte.
Frage: Er interessiert Sie nicht?
Strack-Zimmermann: Er war ein mittelmäßiger Oberbürgermeister, der bis heute mit seiner Abwahl vor vier Jahren nicht zurechtgekommen ist. Dass er sich nach 40 Jahren Mitgliedschaft von der SPD abwendet, obwohl er ohne die Partei nicht einmal von dem Amt des Oberbürgermeisters hätte träumen können, und in ein antidemokratisches und antieuropäischen Bündnis wechselt, so jemand in der Tat, interessiert mich nicht.
Frage: In Ihrer Wahlkampagne taucht der Begriff „Oma Courage“ auf, mit Ihrem Konterfei…
Strack-Zimmermann: …in Anspielung auf den alten lästerlichen Spruch: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa…“
Frage: Ich denke da eher an Bertolt Brecht.
Strack-Zimmermann: An Brecht?
Frage: Man kann das ja als Anspielung auf das Drama „Mutter Courage“ sehen. Die Hauptfigur ist eine Frau, die den Krieg zum Leben braucht. Weckt das nicht falsche Assoziationen?
Strack-Zimmermann: Mag sein, dass ein paar Leute diese Assoziation haben, ich gehe aber davon aus, dass die meisten es richtig einordnen können. Nämlich mit einem Augenzwinkern.
Frage: Ich verstehe. Sie befürworten eine Europa-Armee, also eine gesamteuropäische Armee. Warum ist das ein Vorteil aus Ihrer Sicht?
Strack-Zimmermann: Sicherheitspolitik wird nicht europäisch, sondern national verantwortet. Der Angriff Russlands auf die Ukraine wirkt sich auch auf unseren Frieden in Freiheit aus. Putin rüstet massiv auf und bedroht uns alle. Wir sollten deshalb mehr zusammenarbeiten. Das spart auch Ressourcen. Nicht jedes Land muss alle Fähigkeiten haben, um sich zu verteidigen. Diese notwendigen Fähigkeiten könnten unter den Mitgliedsstaaten verteilt werden.
Frage: Glauben Sie, dass sich Putin-Anhänger in Deutschland anstacheln lassen, hierzulande Anschläge zu begehen?
Strack-Zimmermann: In einem Land, in dem sich die Bürgerinnen und Bürger frei bewegen und leben können, kann man Gefahren von außen nie ausschließen. Wir sollten diese sicherheitspolitisch auch immer mitdenken und realistisch einordnen, ohne aber hysterisch zu werden.
Frage: Sie haben zuletzt in der Taurus-Debatte gegen den Kanzler gestimmt. Hatten Sie Angst, dass Sie in der Folge als Querulantin in der Ampel wahrgenommen werden?
Strack-Zimmermann: Ich habe nicht gegen den Kanzler gestimmt. Die FDP-Fraktion hat gemeinsam mit der SPD und den Grünen einen sehr weitreichenden und wichtigen Antrag im Plenum eingebracht. Dieser Antrag stand namentlich zur Abstimmung. Auch der Abgeordnete Olaf Scholz hat diesem Antrag zugestimmt. Auch, dass die Ukraine nach Ende des Krieges, mittelfristig Mitglied in der NATO werden soll. Der Antrag hat sich auch deutlich dafür ausgesprochen, der Ukraine Waffen zur Verfügung zu stellen, die hinter der feindlichen Linie wirken können.
Frage: Was heißt das?
Strack-Zimmermann: Das heißt, dass sie bis in den Raum der von Russland besetzen Ostukraine wirken können, um den russischen Nachschub zu zerstören. Für die FDP ist damit der Einsatz des Marschflugkörpers Taurus gemeint. Der Kanzler und einige in seiner Partei verstehen allerdings etwas anderes darunter. Ich habe daher auch den ergänzenden Antrag der CDU unterstützt, der zeitgleich eingebracht worden ist – und in dem der Taurus explizit beim Namen genannt worden ist.
Frage: Falls Sie nach der Europawahl nach Brüssel gehen werden: Freuen Sie sich, dass Sie dann wieder näher an Ihrer Heimat Düsseldorf sind?
Strack-Zimmermann: Mein Zuhause ist Düsseldorf. Ob ich von dort mit dem ICE nach viereinhalb Stunden Berlin erreiche oder mit dem TGV nach zwei Stunden Brüssel, spielt für mein Wohlbefinden und meine Freude an der Arbeit keine Rolle.
Frage: Aber Straßburg würde Sie als zweiten Parlamentssitz gerne abschaffen, oder?
Strack-Zimmermann: Alle vier Wochen reisen die Abgeordneten des Europaparlaments mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Brüssel ins 400 km entfernte Straßburg. In Straßburg finden die Plenartagungen statt, in Brüssel die Sitzungen der Ausschüsse und die der Fraktionen. Dieses Hin und Her kostet viel Geld und ist sehr zeitaufwändig. Sich nur für einen Standort auszusprechen, dafür müssten die Mitgliedsstaaten die EU Verträge einstimmig ändern und das ist vorerst mit Frankreich nicht zu machen. Mal sehen, was die Zukunft bringt.