STARK-WATZINGER-Interview: Wir fördern gezielt Schulen, in denen die Herausforderungen am größten sind
Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger MdB gab der „Rheinischen Post“ (Freitag-Ausgabe) und „rp-online.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Birgit Marschall und Mey Dudin:
Frage: Frau Ministerin, mit dem neuen Schuljahr gibt es für Brennpunktschulen mehr Geld. Sind Sie optimistisch, dass Kinder in Deutschland über das Startchancen-Programm bald wieder besser lesen, schreiben und rechnen können?
Stark-Watzinger: Das Interesse an dem Programm ist enorm. Wir wollten ursprünglich mit 1000 Schulen an den Start gehen, jetzt sind es 2125 geworden. Nordrhein-Westfalen fängt mit 400 von insgesamt 920 Schulen an. Wir gehen damit die große Frage der Chancengerechtigkeit an. Denn nach wie vor entscheidet die soziale Herkunft von Kindern stark über ihren Bildungserfolg. Das darf nicht sein.
Frage: Das Programm soll zehn Jahre laufen, Bund und Länder geben jeweils zehn Milliarden Euro. Was ist das Ziel?
Stark-Watzinger: Wir fördern ganz gezielt Schulen, in denen die Herausforderungen am größten sind. Dort wollen wir die Zahl der Schülerinnen und Schüler halbieren, die die Mindeststandards in Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erreichen. Beim Lesen ist das aktuell jedes vierte Kind in Deutschland, beim Rechnen sind es noch mehr.
Frage: Schulen haben auch über die Lerninhalte hinaus große Probleme, sei es wegen Schülern mit Angststörungen, wegen Gewalt oder weil sich manche über das Internet radikalisieren. Setzt das Programm da auch an?
Stark-Watzinger: Gesellschaftliche Konflikte werden zunehmend auch auf den Schulhöfen ausgetragen. Mich besorgt vor allem der Antisemitismus, der seit dem 7. Oktober aufgebrochen ist. Deshalb können mit Geldern aus dem Startchancen-Programm auch Schulsozialarbeiter oder Psychologen eingestellt werden. Wir werden mit dem Programm nicht alle Probleme lösen können. Aber es bietet den Schulen die Möglichkeit, auch diese Herausforderungen besser anzugehen.
Frage: Keine Einigkeit zwischen Bund und Ländern gibt es aktuell beim Thema Digitalpakt 2.0.
Stark-Watzinger: Wir arbeiten intensiv daran, aber es ist nicht einfach. Sowohl der Bund als auch die Länder haben angespannte Haushaltslagen. Trotzdem ist der Bund bereit, noch einmal Geld für diese Länderaufgabe in die Hand zu nehmen.
Frage: Bisher finanzierte der Bund 90 Prozent der Kosten, warum will er künftig nur noch 50 Prozent zuschießen?
Stark-Watzinger: Die Länder sind für Bildung zuständig. Trotzdem sind wir bereit, die Hälfte der Finanzierung zu übernehmen.
Frage: Wie geht es denn jetzt weiter?
Stark-Watzinger: Der Digitalpakt 2.0 soll Anfang nächstes Jahr starten. Darüber verhandeln wir mit den Ländern. Notwendig ist ein Gesamtkonzept für digitale Bildung, das neben der technischen Ausstattung auch eine Stärkung der Lehrerbildung umfasst. Zudem dürfen die Kosten von den Ländern nicht auf die Kommunen abgewälzt werden. Denn digitale Bildung darf nicht nur in Regionen stattfinden, in denen die Schulträger den Eigenanteil aufbringen können.
Frage: Am 10. September sind Sie im Bildungsausschuss des Bundestags, wo Sie zur „Fördermittel-Affäre“ befragt werden. Hierbei geht es um Ihre Reaktion auf einen offenen Brief zu propalästinensischen Protesten. Die Hochschullehrer haben sich in dem Brief gegen Polizeieinsätze auf dem Campus ausgesprochen und sich hinter ihre Studenten gestellt. Ihrem Ministerium wird vorgeworfen, daraufhin Fördergelder infrage gestellt zu haben. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?
Stark-Watzinger: Zunächst einmal ganz grundsätzlich: Ich bedaure, dass der Eindruck entstanden ist, bei uns im Ministerium würden wegen eines offenen Briefs mögliche förderrechtliche Konsequenzen geprüft. Die Wissenschaftsfreiheit ist ein sehr hohes Gut und ich verteidige sie – und zwar in alle Richtungen.
Frage: Warum soll Ihre im Laufe der Affäre in den einstweiligen Ruhestand geschickte Staatssekretärin Sabine Döring im Bundestags-Ausschuss nicht sprechen, wie es CDU-Abgeordnete fordern?
Stark-Watzinger: Beamte haben Rechte und Pflichten. Ein Grundsatz des Beamtenrechts sieht für alle Beamtinnen und Beamten eine Verschwiegenheitspflicht vor, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses. Das gilt auch für Frau Döring. Wer glaubt einen Grund zu haben, davon entbunden zu werden, kann damit zum zuständigen Verwaltungsgericht gehen.
Frage: Das tut Frau Döring derzeit auch schon vor dem Verwaltungsgericht in Minden, weil sie sich öffentlich äußern will.
Stark-Watzinger: Das ist ihr gutes Recht. Ich möchte aber noch einmal klarstellen: Eine Prüfung möglicher förderrechtlicher Konsequenzen war nicht beabsichtigt – und hat auch nicht stattgefunden. Es wird mittlerweile viel daraus gemacht, was mit der Realität nichts zu tun hat – gerade von der Union.
Frage: Für besondere Unruhe in der Wissenschaftsgemeinde hat eine Liste mit Namen von Hochschullehrern gesorgt, die den offenen Brief unterzeichnet haben und Fördergelder bekommen. Wie ist diese Liste entstanden?
Stark-Watzinger: Im Rahmen von regulärem Verwaltungshandeln wurde in einer Fachabteilung geprüft, ob Unterzeichner von meinem Haus gefördert werden. Ein Ministerium muss sprechfähig sein. Wir werden regelmäßig gefragt, was oder wen wir fördern oder auch nicht. Das war ein Vorgang, der allein der Vorbereitung auf solche Fragen diente.
Frage: Wenn Sie mit Ihrem heutigen Wissen zurückblicken: Was würden Sie anders machen?
Stark-Watzinger: Was mich besorgt, ist, dass die Union zahlreiche Vorwürfe gegen mich und mein Ministerium auf Grundlage von Mutmaßungen und Unterstellungen konstruiert. Das schadet der Debattenkultur in unserem Land und damit auch unserer Demokratie. Die Union sollte zur Sachlichkeit zurückkehren.
Frage: Nochmal zur Wissenschaft, aber ein neues Thema: Viele Forscher beklagen sich, dass sie in Deutschland nicht an die Daten kommen, die sie für ihre Forschung dringend brauchen. Ist unser Datenschutz zu streng?
Stark-Watzinger: Datenschutz ist ein hohes Gut, aber er muss forschungsfreundlicher gestaltet werden. Deshalb arbeiten wir am Forschungsdatengesetz, das es Forschern leichter machen soll. In Deutschland besteht die Besonderheit, dass die Datenschutzaufsicht Sache der Länder ist und wir neben den 16 Landes- auch noch eine Bundesdatenschutzbeauftragte haben. Da wird es schnell kompliziert. Deshalb wollen wir in dem Gesetz regeln, dass bei länderübergreifender Forschung nur eine Aufsichtsbehörde koordinierend zuständig sein kann. So stärken wir den Innovationsstandort Deutschland.