LINDNER/STAMP-Statement: Wir werden die Niederlage aufarbeiten; im Zentrum steht das Regierungshandeln.
Im Anschluss an die Beratungen des FDP-Präsidiums gaben der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner und der Spitzenkandidat der FDP Nordrhein-Westfalen Dr. Joachim Stamp das folgende gemeinsame Statement ab:
Lindner: Meine Damen und Herren, wir sind eine liberale Familie und als liberale Familie stehen wir zusammen. Dann, wenn es etwas zu feiern gibt und auch dann, wenn es traurige Anlässe gibt. So haben wir unserem Freund, dem nordrhein-westfälischen Spitzenkandidaten Joachim Stamp, heute den Rücken gestärkt. Er hat in den vergangenen fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen in einer Koalition Regierungsverantwortung getragen. Er hat seine eigenen Projekte mit Leidenschaft vorangetrieben und auch sehr engagiert Wahlkampf geführt in den vergangenen Wochen. Ich war ja teilweise auch an seiner Seite. Es hat bedauerlicherweise nicht das Ergebnis gegeben, das wir ihm und das wir uns allen gewünscht hätten. Aber das ist eine Realität in der Demokratie, die wir annehmen und die wir respektieren. Joachim Stamp hat ja schon angekündigt, dass die nordrhein-westfälische FDP in eine Phase der Reflexion gehen wird. Und da stehen wir auch an der Seite unserer Freunde und Kollegen im größten Bundesland.
Dr. Joachim Stamp: Meine Damen und Herren! Das war gestern ein ausgesprochen bitterer Abend für die Freien Demokraten in Nordrhein-Westfalen, auch für mich persönlich. Wir haben hart gearbeitet in den fünf Jahren, haben auch eine erfolgreiche Regierungsbilanz. Wir haben aber festgestellt, dass – ähnlich wie in Schleswig-Holstein – die Erfolge der Regierung sehr stark vom Koalitionspartner vereinnahmt worden sind und auch die Bürgerinnen und Bürger das entsprechend goutiert haben. Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir prüfen müssen, wie wir unsere Kommunikation noch einmal verbessern, wie es uns zukünftig gelingt, auch anders zu mobilisieren. Sie haben verfolgt, dass die Wahlbeteiligung insgesamt auch sehr schwach war und dass es uns Schwierigkeiten bereitet hat, unsere Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Dafür trage ich als Spitzenkandidat und Landesvorsitzender auch die Verantwortung. Deswegen wird es jetzt in den nächsten Wochen und Monaten einen Aufarbeitungsprozess geben, der uns auch zeigen wird, mit welchem Team wir uns für die Zukunft rüsten werden. Wir werden in Nordrhein-Westfalen eine schwarz-grüne Koalition bekommen. Es ist klar erkennbar, dass die CDU bereit sein wird, für die Wahl des Ministerpräsidenten viele Inhalte zu opfern. Und das wird für uns als Freie Demokraten eine Herausforderung sein, das entsprechend zu begleiten.
Lindner: Meine Damen und Herren, gestern war ein trauriger Abend, heute ist ein neuer Tag. Die Tränen sind getrocknet und jetzt stellt die Partei der Eigenverantwortung sich den Gründen für diese Niederlage. Ich war ja selbst mehrfach in Nordrhein-Westfalen Spitzenkandidat. Deshalb bin ich selbst auch in besonderer Weise betroffen, dass die von mir im Jahr 2017 mit Armin Laschet begründete Koalition nicht fortgesetzt werden kann. Das hätte ich mir und dem Land gewünscht, dass auch viele der guten Projekte, die damals verabredet und jetzt auch umgesetzt worden sind, dass diese Projekte erweitert und fortgesetzt werden könnten. Dazu kommt es jetzt leider nicht.
Dieses Landesergebnis hat Gründe, die in Nordrhein-Westfalen liegen und natürlich auch bundespolitische Komponenten, mit denen wir uns befassen werden. Bei einer der letzten Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen war die FDP zeitgleich im Bund bei neun und in Nordrhein-Westfalen bei sechs Prozent. Diese Spanne bei einem Institut zum gleichen Zeitraum verweist darauf, dass es spezifische landespolitische Komponenten gegeben hat. Und beklagenswerter Weise konnte man gestern Abend auf Twitter sehen, dass es insbesondere im Bereich der Schulpolitik eine Unzufriedenheit gab, aus der Pandemie heraus.
Wir haben zum anderen in größerem Umfang Wählerinnen und Wähler an die CDU verloren, was ja darauf hinweist, dass es im Regierungshandeln und im Wahlkampf nicht ausreichend gelungen ist, unseren eigenen Anteil herauszuarbeiten. Das sind die landespolitischen Komponenten, die den demoskopischen Unterschied zwischen Bund und Land begründen.
Es gibt allerdings auch bundespolitische Komponenten: Die FDP hat in Nordrhein-Westfalen überproportional stark bei älteren Wählerinnen und Wählern verloren. Bei den Jungen waren wir auf dem Niveau des letzten Males. Bei den Älteren, bei den Über-60-Jährigen gab es einen dramatischen Einbruch. Wir haben etwas Ähnliches auch in Schleswig-Holstein beobachtet. Das hat auch mit der Bundespolitik zu tun.
Die Rückmeldung der Wählerinnen und Wählern an den Ständen war, dass es eine große Unzufriedenheit mit der Energiepreispauschale des Entlastungspaketes der Koalition gibt. Es ist der Bundesregierung nicht gelungen, die Frage der Gerechtigkeit befriedigend zu beantworten. Die Energiepreispauschale war, wie Sie wissen, keine Initiative der Freien Demokraten, sondern kam aus dem Kreis der Koalitionspartner. Aber in der Auseinandersetzung im Straßenwahlkampf sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfalen haben unsere Parteifreundinnen und Parteifreunde vor Ort bei jeder Gelegenheit gesagt, dass das ein Thema ist, auf das sie angesprochen werden: Warum gibt es die Energiepreispauschale nicht für Rentnerinnen und Rentner? Warum wurden wir vergessen? Und obwohl es gar nicht unser eigenes Modell war, auch nicht unser Projekt, ist das in besonderer Weise mit der FDP in Verbindung gebracht worden. Die Sozialdemokraten müssen prüfen, ob das auch bei ihnen eine Auswirkung hat. Bei uns jedenfalls ist die Rückmeldung der Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer eindeutig, dass das zu diesem enormen Verlust an Vertrauen bei älteren Wählern beigetragen hat.
Die Kommunikation dieser Gerechtigkeitsfrage im Gesamtpaket der Entlastungen ist nicht gelungen. Das muss man eindeutig konstatieren. Und daraus müssen wir auch für künftige politische Projekte der Koalition in Berlin unsere Konsequenz ziehen. Die FDP wusste, dass es in der Legislaturperiode gerade im Wettbewerb mit CDU und CSU herausfordernd werden wird. Das war uns klar. Es darf nicht in Vergessenheit geraten: Die Ampelkoalition war nie unser politischer Wunschtraum. Wir regieren in der Ampel aus staatspolitischer Verantwortung, weil CDU und CSU nach der Bundestagswahl nicht Willens und in der Lage waren, eine Regierung zu bilden, insbesondere die CSU nicht. An dieser Situation im Bund hat sich nichts verändert.
Wir haben einen Koalitionsvertrag, der viele für uns wichtige Vorhaben enthält. Wir freuen uns auf die Umsetzung dieser Vorhaben und Ideen in den nächsten Jahren. Außerdem haben wir Krieg in Europa und eine riskante Situation in unserer Wirtschaft. Die FDP ist natürlich bedacht, ihre eigenen Probleme und unsere eigene Niederlage aufzuarbeiten. Im Zentrum steht aber das Regierungshandeln. Wir haben gegenwärtig keine Zeit und keinen Raum, uns vertieft mit uns selbst zu beschäftigen, solange es Krise und Krieg gibt, solange wichtige Vorhaben, um dieses Land stabil und erfolgreich zu halten, umgesetzt werden müssen. Deshalb ist die FDP konzentriert darauf, in Krieg und Krise unser Land weiter gut zu führen. Unsere eigenen Themen werden wir konzentriert bearbeiten und auch zu guten Konsequenzen kommen. Aber im Zentrum steht nicht das parteipolitische Interesse der FDP, im Zentrum muss jetzt der Amtseid stehen, den wir als Regierungsmitglieder geleistet haben. Im Zentrum steht jetzt das Land und nicht kleine oder größere Geländegewinne für die FDP.