LINDNER/BAERBOCK-Doppel-Interview: Den Kohleausstieg wollen Sie doch auch, oder?
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner und die Parteivorsitzende von Bündnis 90/die Grünen Annalena Baerbock gab der „Zeit“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Christiane Grefe und Petra Pinzler.
Frage: In Frankreich haben die Gelbwesten die Ökosteuern von Präsident Macron gekippt. Wie muss eine ehrgeizige Klimapolitik aussehen, damit Bürger nicht dagegen protestieren?
Lindner: Es ist eine große Herausforderung, die Unterstützung für die Klimapolitik dauerhaft sicherzustellen. Die Wahl von Trump in den USA war schon ein Fanal. Und die Gelbwesten in Frankreich sind es auch. Klimaschutz darf nicht teurer sein als nötig, sonst steigen mehr Länder aus, und Europas Anstrengungen werden so global unwirksam. Auch bei uns dürfen die Energiepreise nicht steigen. Wir sind da in Europa Spitze.
Baerbock: Im Moment gibt es in Deutschland ja leider gar keine ehrgeizige Klimapolitik. Die Leute gehen im Gegenteil für den Kohleausstieg auf die Straße. Gerade junge Menschen haben Angst, dass uns die Zeit davonläuft. Trotzdem müssen wir Ökologie und Soziales zusammen denken. Das Signal in Frankreich war: Wir machen das Leben von Reichen leichter, aber die, die abgehängt sind, müssen höhere Dieselsteuern zahlen. Das war falsch.
Frage: Geht Klimaschutz, ohne dass es teurer wird?
Lindner: Es geht sicher nicht kostenlos. Aber wir haben die weltweit höchsten CO₂-Vermeidungskosten, weil wir planwirtschaftlich auf die teuersten Maßnahmen setzen, statt den Markt zu nutzen, um günstigere Wege zu finden. Bestimmte Bereiche wie die Mobilität werden belastet, andere sind ausgeblendet. Wir sind dadurch weltweit zum abschreckenden Beispiel geworden. Wir müssen neu denken.
Frage: Frau Baerbock, was ist mit den Grünen? Werden Sie den Bürgern sagen: Ehrgeiziger Klimaschutz kostet etwas, denn er bedeutet weniger fliegen und weniger Fleisch essen?
Baerbock: Wir werden den Menschen nicht vorschreiben, ob und wann sie Fleisch essen. Aber natürlich bedeutet Klimaschutz, die weltweit steigende Fleischproduktion zurückzufahren. Wir brauchen ohnehin eine andere Landwirtschaft: mehr Platz für weniger Tiere – und so mehr Tierwohl und mehr Umweltschutz. Es bedeutet nicht weniger Mobilität, aber weniger Individualverkehr – schon jetzt stehen vielerorts Autofahrer im Stau. Also werden wir nicht einfach Diesel und Benziner eins zu eins durch E-Autos ersetzen können. Wir brauchen mehr Busse und Bahnen, auch im ländlichen Raum. Und wir sollten einen Umverteilungsmechanismus einführen, so wie in Kanada oder der Schweiz: Dort wird eine CO₂-Steuer erhoben, und die Einnahmen werden an ärmere Familien wieder ausgezahlt. Das schlagen wir auch im Europawahlprogramm vor.
Lindner: Ich bin dankbar, dass Frau Baerbock das so klar sagt: weniger Fleisch, weniger individuelle Mobilität. Ich halte das für falsch. Wenn wir den Menschen Verzicht und Askese predigen, dann folgen uns die Chinesen und Inder nicht. Und wir werden die Akzeptanz für die Umweltpolitik auch hierzulande verlieren. Wir wollen den Menschen ihre Lebensweise so weit wie möglich auch künftig ermöglichen. Deswegen müssen wir viel stärker technologische Optionen nutzen. Und nicht gegen alles Neue gleich Widerstand organisieren.
Frage: Setzen Sie Ihre Hoffnungen nicht zu einseitig auf die Technik?
Lindner: An die Alternative der Verbotskultur und des Nullwachstums glaube ich global nicht. Wir müssen das Klimaproblem durch Innovationen lösen. In Wahrheit wollen Letzteres manche nicht, weil sie über Klimapolitik auch die Gesellschaft umbauen möchten. Wir sollten deswegen offener für neue Ideen sein und zum Beispiel auch über negative Emissionen sprechen …
Frage: … das bedeutet, dass CO₂ aus der Atmosphäre wieder herausgeholt wird.
Lindner: Ja, beispielsweise durch Algenwachstum in Seen oder im Ozean. Diese Forschung sollten wir stärker fördern. Oder auch stärker erkunden, wie CO₂ abgeschieden und unter der Erde gespeichert werden kann. Wenn der Weltklimarat über solche Szenarien berät und sie für verantwortbar hält, dann sollten wir als Technologienation uns da nicht raushalten.
Baerbock: Natürlich müssen wir klimafreundlichere Technologien entwickeln. Aber am effizientesten sind solche, mit denen man dafür sorgt, dass CO₂ gar nicht erst in die Atmosphäre gelangt – anstatt es dann nachträglich künstlich rauszuholen. CO₂ in der Erde zu speichern ist extrem teuer, gefährlich und findet keine Akzeptanz. In Brandenburg, wo ich herkomme, wurde die Idee eines neuen Kohlekraftwerks mit CCS-Technik deshalb begraben. Und Sie wollen doch nicht wirklich die Ozeane düngen – die sterben jetzt schon. Wir sollten nicht noch mehr in das Ökosystem eingreifen, sondern den klimaneutralen Umbau des Landes politisch steuern.
Frage: Was würde eine Bundesregierung, an der Sie beteiligt wären, anders machen als die Groko?
Lindner: Ich würde einen Preismechanismus für CO₂ einführen. Das wäre ein echter Paradigmenwechsel. Dann würde das klimaschädliche Gas an der günstigsten Stelle eingespart – und zwar durch den Anreiz im Markt.
Frage: Frau Baerbock, bahnt sich hier ein grün-gelbes Projekt an? Einen Preis für Klimagase fordern auch die Grünen, oder?
Baerbock: Wir wollen, dass der Markt klimaschonende Technologien belohnt und CO₂-Emissionen dafür teurer werden. Wären wir an der Regierung, würden wir einen CO₂-Mindestpreis festlegen und schnell ein Klimaschutzgesetz verabschieden.
Lindner: Stopp, da bin ich nicht mehr an Bord. Wir wollen keine staatlich festgelegten Mindestpreise und auch keine gesetzlich diktierten Ausstiegspläne. Wir müssen endlich aufhören, alles planwirtschaftlich von oben steuern zu wollen. Wir wollen die Klimaziele mit einem Preismechanismus verbinden, damit wirklich technologieoffen und sektorübergreifend der Innovationsmotor anläuft.
Frage: Der Unterschied zwischen Preis und Preismechanismus ist jetzt aber was für Feinschmecker, oder?
Lindner: Nein, gar nicht! Ich möchte, dass das Problem langfristig über einen funktionierenden EU-Emissionshandel geregelt wird. Das bedeutet, jeder, der CO₂ emittiert, muss Zertifikate kaufen, und er kann sie auch wieder verkaufen, wenn er sie nicht mehr benötigt. Wir würden damit im Markt einen Anreiz schaffen, CO₂ möglichst effizient und kostensparend zu vermeiden. Das gibt es für die Energiewirtschaft bereits. Es fehlt für andere Sektoren, etwa im Verkehr.
Frage: Ist das nicht die alte Devise: europäisch reden, national aufschieben?
Lindner: Nein, im Gegenteil. Vor 2021 haben zusätzliche Anstrengungen in Deutschland keine Auswirkung, weil unsere Zusatzeinsparungen woanders in Europa zu Entlastung führen. Als Übergang wäre denkbar, in Deutschland einen CO₂-Preismechanismus für jeden Sektor zu entwickeln, also auch für den Verkehr oder den Gebäudesektor. Wir wären damit Pionier.
Baerbock: Das klingt hübsch, Herr Lindner – es funktioniert nur leider nicht. Sie werden das Klimaproblem nicht allein über den Emissionshandel lösen können – zumal Sie nicht alle Industriebereiche preislich über einen Kamm scheren können.
Frage: Warum nicht?
Baerbock: Ein wirkungsvoller Preis für ein Zertifikat müsste bei über 80 Euro pro Tonne CO₂ liegen, um die Klimaziele im Energiebereich zu erreichen, wenn man wie Herr Lindner keine zusätzliche gesetzliche Regelung will. Das können wiederum nicht alle Industriezweige verkraften, die Kupferindustrie beispielsweise nicht. Liegt der Preis niedriger, sparen wir nicht genug Gas ein. Also brauchen wir zusätzlich ein Klimagesetz, das allen Branchen unterschiedliche Einsparziele setzt und den Kohleausstieg regelt.
Lindner: Da haben wir einen Dissens. Ich würde das durch eine Zuteilung von Emissionsrechten lösen, wo sich wie in der Stahlproduktion CO₂ technisch kaum weiter einsparen lässt. Die ökologische Industriepolitik von Frau Baerbock halte ich für eine Anmaßung. Da würde die soziale Marktwirtschaft von oben ausgehebelt mit negativen Folgen, weil die Politik eben nicht allwissend und unparteiisch ist.
Baerbock: Und der Markt regelt das alles allein? Klappt doch offenkundig nicht, zumal der Markt durch umweltschädliche Subventionen vollkommen verzerrt ist. Die großen ökologischen Innovationen, ob Katalysator, Windräder oder Solaranlagen, wurden durch politische Regeln ausgelöst. Davon hat gerade der deutsche Wirtschaftsstandort profitiert. Hätte der Staat in der Vergangenheit auf Verbote und Ordnungsrecht verzichtet, gäbe es noch zahllose schädlichere Stoffe in der Chemie. Aber verantwortungsvolle Politiker haben entschieden, dass man etwa FCKW oder Asbest einfach nicht mehr zulässt. Ähnlich sollten wir auch klimaschädliche Gase irgendwann nicht mehr zulassen.
Lindner: Bei CO₂ haben wir es aber nicht mit unmittelbarer und absoluter Gefahr, sondern mit einem schleichendem Risiko zu tun. Wie falsch staatliche Vorschriften und Subventionen in der Energiepolitik sein können, haben wir am Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gesehen. Als Ergebnis dieser Politik ist der Strom bei uns teurer als anderswo, und wir haben die Klimaziele trotzdem nicht erreicht.
Baerbock: Schleichendes Risiko? Wollen Sie erst mit Klimaschutz anfangen, wenn Deiche überschwappen, jeden Sommer Dürre herrscht und Millionen Menschen auf der Flucht sind? Dann bekommen wir die Klimakrise nicht mehr in den Griff. Zum EEG: Das ist ja Vorbild, über 50 Länder haben dieses Fördergesetz kopiert. Wir haben damit neue Technologien wettbewerbsfähig gemacht und Hunderttausende neue Arbeitsplätze geschaffen. Gerade weil sie wettbewerbsfähig werden, kann und wird es eine Zeit nach dem EEG geben; dann, wenn wir ein Kohleausstiegsgesetz und einen wirkungsvollen CO₂-Preis haben. Den fordern übrigens auch große Teile der Industrie.
Lindner: Wenn ich jemanden von »großen Teilen der Industrie« reden höre, werde ich skeptisch. Da stecken meist knallharte ökonomische Interessen dahinter. Ein Unternehmen zum Beispiel, das Gasturbinen verkauft, wird sicher für den Kohleausstieg plädieren.
Baerbock: Aber den Kohleausstieg wollen Sie doch wohl auch, oder? Ohne ihn können wir das Pariser Klimaabkommen nicht einhalten.
Lindner: Ich möchte CO₂ einsparen, und ich bin sicher: Langfristig wird es den Kohleausstieg geben. Aber in den Zwischenetappen könnte es möglicherweise günstiger sein, Heizungen zu sanieren und so Klimagase zu sparen. Es sollte nur zählen, ob die Einsparziele erreicht werden. Nicht, wo genau.
Baerbock: Mit diesen Argumenten hinken Sie der internationalen Debatte hinterher: In Paris wurde – völkerrechtlich verbindlich – beschlossen, dass sich niemand mehr wegducken und darauf hoffen darf, dass schon andere für ihn CO₂ sparen. In Zukunft muss jede Branche klimaneutral funktionieren: der Verkehr, der Gebäudesektor, die Industrie. Ich finde, wir sollten uns an Verträge halten. Es kann sich keiner mehr freikaufen, indem er anderswo Wälder aufforstet – und hier den Hambacher Forst roden will. Außerdem fördert Deutschland ja bereits seit Jahren weltweit Wälder und auch den Ausbau der erneuerbaren Energien in Afrika.
Frage: Herr Lindner, was machen die Grünen in der Umweltpolitik besser als die Liberalen?
Lindner: Gefühle ansprechen.
Frage: Frau Baerbock. Wenn Sie Liberale wären, wie würden Sie dann das Klima retten?
Baerbock: Das Pariser Klimaabkommen lesen, ernst nehmen und per Klimagesetz umsetzen.