LINDNER-Rede beim Dreikönigstreffen 2021
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hielt auf dem diesjährigen Dreikönigstreffen der Freien Demokraten in Stuttgart folgende Rede:
„Ein ungewöhnliches Bild und vielleicht, meine Damen und Herren, empfinden es manche von Ihnen auch verstörend. Hier findet normalerweise das kulturelle Leben statt. Hier begrüßen wir traditionell unsere Gäste zum neuen Jahr und wünschen alles Gute für die anstehenden Monate.
So auch in diesem Jahr, auch in diesem Jahr wünschen wir Ihnen und Ihren Familien Glück und Gesundheit. Viele von Ihnen sind in Sorge um die eigene Gesundheit und um die lieber Menschen. Viele fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz und um die Zukunft unseres Landes. Und deshalb lassen Sie uns gemeinsam hoffen und daran arbeiten, dass dieses Jahr 2021 am Ende besser zu Ende gehen wird, als es begonnen hat.
Am Neujahrsgruß hat sich nichts verändert, aber er findet unter anderen Bedingungen statt. Vor leeren Rängen, vor freien Plätzen. Und das ist durchaus ein Symbol für die Situation unseres Landes. Vielleicht fragen Sie sich, wenn ohnehin das Staatstheater leer ist, warum übertragen die Freien Demokraten dann nicht die Reden vorproduziert aus Berlin? Warum dann eine Veranstaltung in Stuttgart vor leeren Rängen? Das hat nichts zu tun mit einer Anhänglichkeit gegenüber dem Ort oder einer Tradition allein, sondern das Festhalten an diesem Dreikönigstreffen, das ist zu gleich eine Botschaft, dass wir nicht nur an einer Veranstaltung festhalten wollen, sondern in der Pandemie auch an den Werten, die uns ausmachen, nämlich dem Einsatz für Ihre Grundrechte und für Ihre Freiheit.
Wir sind unverändert bedroht durch eine Pandemie. Corona hat mehr Macht über uns als wir über das Virus. Es ist eine gefährliche Erkrankung. Es geht kein Weg daran vorbei, wir müssen weiter Kontakte beschränken, Abstand halten, Maske tragen, die Warn-App nutzen, lüften. Einfach umsichtig sein. Darum bitte ich Sie auch im Namen der Freien Demokraten. Aber wir sehen, dass es auch einen besorgniserregenden Verlauf dieser Erkrankung trotz der Maßnahmen gibt. Die Zahl schwerer Krankheitsverläufe und leider auch die Zahl der Sterbefälle ist gestiegen. Insbesondere bei den besonders gefährdeten Menschen sehen wir es, bei betagten und hochbetagten Menschen. Bei Menschen mit Vorerkrankung, bei Menschen mit einer Behinderung im Bereich der stationären Pflegeeinrichtungen. Wir haben in den vergangenen Monaten regelmäßig Vorschläge gemacht, um die besonderen Risikogruppen, die Menschen, die ein besonders hohes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes tragen, auch in besonderer Weise zu schützen. Um das Wort der Bundeskanzlerin aufzunehmen, nach unserer Überzeugung sollte dort die nationale Kraftanstrengung liegen. Wir haben gefordert, kostenfrei die besonders schützenden FFP2-Masken zu verteilen. Schnelltests beim Zugang in Einrichtungen zu organisieren, exklusive Einkaufszeitfenster im Handel, Taxigutscheine für notwendige Gänge, damit man nicht den Bus benutzen muss. Und leider wurde uns zu oft in den letzten Monaten gesagt, dass das entweder nicht ginge oder schon längst gemacht würde. Wir wissen heute: Vieles von dem, was möglich ist, kam zu spät. So sehr es zu begrüßen ist, dass gestern die Bund- und Länderrunde eine neue Strategie für Schnelltests in Pflegeeinrichtungen einführen will, so gut wäre es doch gewesen, früher bereits das besondere Augenmerk auf den Schutz der sogenannten vulnerablen Gruppen zu lenken. Das ist nicht nur unsere moralische Verpflichtung, sondern das wäre zugleich auch ein Baustein, um Schritt für Schritt wieder öffentliches und wirtschaftliches Leben zu ermöglichen.
Dass unsere Vorschläge und die Maßnahmen, die auch von Praktikern und Expertinnen vorgeschlagen worden sind, so spät umgesetzt worden sind, das ist für mich Ausdruck eines Politikversagens mit Ankündigung. Wir sind jetzt in der Phase der Pandemie, wo eine Notbremse gezogen werden musste im November. Es musst eine Notbremse gezogen werden, weil insbesondere bei den Risikogruppen die Zahl der Infektionen mit den schweren Verläufen zugenommen hat. Jetzt werden aber auch langsam die damit verbundenen Schäden sichtbar. Ich spreche nicht nur von der Verschuldung der öffentlichen Haushalte, meine Damen und Herren, nicht nur von der Situation der Wirtschaft insgesamt, ich spreche von dem Inhaber einer Pizzeria bei mir in Berlin um die Ecke, der verzweifelt wegen seiner eigenen wirtschaftlichen Zukunft ist und der Wut empfindet. Ich denke an soziale Folgen. Vorige Tage war ich zusammen mit einer Familie und die junge Tochter erzählte, wie sehr sie ihre Grundschullehrerin, wie sehr sie den Unterricht vermisst. Wer hätte das geglaubt, dass Schülerinnen und Schüler einmal erklären, wie sehr sie sich freuen würden, endlich wieder in den Unterricht gehen zu können.
Diese Pandemie und ihre Bekämpfung hat also bedeutende soziale und wirtschaftliche Folgen. Sie hat Auswirkungen auf die weitere Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft insgesamt. Nicht jeder Zweck heiligt alle Mittel. Natürlich ist der Gesundheitsschutz ein hohes Gut. Aber für den Gesundheitsschutz müssen wir die angemessenen Mittel wählen. Das möglichst mildeste Mittel wählen, um den bestmöglichen Gesundheitsschutz zu erreichen. Auch der beste Zweck heiligt dabei nicht jedes Mittel. Daran denke ich angesichts der Entscheidungen, die gestern eine Bund-Länder-Runde getroffen hat. Sie haben das verfolgt. Einen Bewegungsradius von 15 Kilometern, das Infektionsrisiko wird allerdings nicht durch die Strecke bestimmt, sondern den Kontakt mit anderen Menschen. Ein solcher Bewegungsradius, der hat auch ungleich andere Auswirkungen im ländlichen Raum als etwa in Ballungsgebieten, wo dann nahezu alles noch weiter möglich ist. Es gibt keine klare Perspektive für die Öffnung der Schulen. Die besonderen Leidtragenden sind wiederum die Kinder und Jugendlichen, die sich auf die Schule gefreut haben, die sie auch brauchen für ihre soziale Entwicklung. Unklar ist, wann, wo, wie die Schulen geöffnet werden. Und das ist eine Tragödie insbesondere in den Familien, die ihren Kindern auch nicht die Anregungen, die Unterstützung, Förderung zu Hause zuteilwerden lassen, die sie in der Schule brauchen. Da geht ein Stück Strukturierung des Alltags verloren. Und wiederum die besonderen Lasten werden getragen von den Müttern, weil sehr oft in unserer Gegenwart immer noch die Frauen in den Familien die besondere Belastung der Arbeit für die eigene Familie haben. Es gibt Beobachterinnen, die gehen davon aus, dass wir durch diese Pandemie ein Jahrzehnt der gewünschten Gleichstellung der Geschlechter verlieren können. Dazu darf es nicht kommen. Deshalb brauchen wir schnellstmöglich eine Öffnungsperspektive für die Schulen. Gegebenenfalls unter veränderten Bedingungen. Und die jüngeren und die Abschlussjahrgänge zuerst, in Wechselmodellen, vielleicht auch an anderen Orten und danach erst wieder der volle Präsenzunterricht. Aber so schnell wie möglich, müssen wir dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche wieder ihr Bürgerrecht auf Bildung wahrnehmen können.
Und es gibt eine Regel, dass zukünftig wir alle uns nur noch im eigenen Haushalt mit einer weiteren Person treffen können. So sehr ich die Notwendigkeit der Kontaktbeschränkung verstehe, so schießt diese Bestimmung doch über das Ziel hinaus. Sie bedeutet ja nichts anderes, dass beispielsweise Oma und Opa nicht mehr gemeinsam zu Besuch kommen können. Diese Regel führt dazu, dass an vielen Stellen Nachbarschaftshilfe zur Betreuung der Kinder nicht mehr möglich ist. Und deshalb sollte diese Regel korrigiert werden. In Schleswig-Holstein hat man in der Praxis gute Erfahrung mit der Regel gemacht, dass nur zwei Haushalte sich treffen können bis zu fünf Personen. Das beschränkt die Kontakte, was notwendig ist und erlaubt zugleich soziales Leben und dass Menschen sich mit dieser Situation einrichten können. Die gestern beschlossenen Freiheitseinschränkungen, sie sind leider vielfach nicht verhältnismäßig, sie sind aber auch nicht praxistauglich und in manchen Fällen führen sie sogar zu inhumanen Ergebnissen.
Wir brauchen, meine Damen und Herren, eine Perspektive. Niemand kann Ihnen seriös versprechen, dass wir morgen wieder alles öffnen, von jetzt auf gleich zurückkehren in die Normalität. Aber Zug um Zug muss mehr gesellschaftliches Leben und Miteinander wieder möglich werden. Im Zuge der Beschleunigung des Impfens, des besseren Schutzes der Risikogruppen, neuer digitaler Möglichkeiten der Pandemiebekämpfung, muss es möglich sein, dass auch regional vielleicht zuerst geöffnet werden kann. Nicht in jeder Region ist das Infektionsgeschehen gleich. Und deshalb: In den Regionen, an den Orten, wo es bereits verantwortbar ist zu öffnen, sollte es auch eine regional differenzierte Herangehensweise geben. Nach einem klaren systematischen Reaktionsschema. Nach dem Motto, wenn Situation X, dann gilt Maßnahme Y. Das schafft Berechenbarkeit für die Menschen, Handlungssicherheit auch für die Behörden. Eine solche Regionalisierung des Krisenmanagements ist unsere Chance, in diesem Frühjahr an so vielen Stellen wie möglich unsere Freiheit wieder leben zu können.
Meine Damen und Herren, unsere deutsche Politik, ich weiß nicht, ob Sie es auch so auffassen wie ich, die war stark darin, Opfer zu verlangen. Und Ihre, die Zustimmung der Bevölkerung, zu auch den sehr einschneidenden Maßnahmen der Regierungen, die ist unverändert sehr hoch. Unsere Gesellschaft, ihre Menschen, sie sind auch so diszipliniert im Umgang mit der Pandemie, wie man es von einer liberalen, einer vielfältigen Gesellschaft nur erwarten kann. Wo aber, frage ich mich, war die Corona-Warn-App, als andere sie schon hatten, bei uns und warum ist sie auch bis heute nicht so gut, wie sie sein könnte? Warum haben wir keine systematische Teststrategie in Alten- und Pflegeheimen? Warum in Klassenräumen keine Luftreiniger, die auch dort dann ein Unterrichtsgespräch ermöglichen? Warum kann man sich in Israel auf einer Webseite für den Impftermin anmelden, warum sind die Novemberhilfen im Januar immer noch nicht ausgezahlt, warum werden die Verluste des letzten Jahres 2020 nicht verrechnet mit den Gewinnen der Vorjahre 2018/2019? Warum haben wir in Deutschland gestritten und diskutiert über das Für und Wider der Impfung an sich, während andere auf der Welt bereits mutig entschieden haben, zu bestellen und Logistik aufzubauen.
Meine Damen und Herren, mein Eindruck ist, Deutschland ist stark dabei gewesen, wo es um Pflichterfüllung, um Disziplin, um Regeln geht. Aber wo es um kreative und innovative Lösungen ging, wo es um im besten Wortsinne unternehmerisches Entscheiden und Handeln der Politik ging, da haben andere uns den Rang abgelaufen. Bei nichts wird das so deutlich wie beim Impfchaos. Der Vizekanzler hat über den Kabinettstisch seinem Kollegen, dem Gesundheitsminister, einen Fragenkatalog überreicht. Das ist nichts anderes als ein Misstrauensvotum. Dem Vernehmen nach hat die Bundeskanzlerin die Zuständigkeit für das Impfen jetzt auch bei sich konzentriert und dem Gesundheitsminister entzogen. Sie werden sich Ihr eigenes Bild davon machen. Sie brauchen jetzt nicht meinen parteipolitisch geprägten Kommentar zu diesen Vorgängen. Eins aber ist klar, die politische Verantwortung für vergangene Entscheidung, die wird zugeordnet werden. Da wird aufgeklärt werden müssen. Aber für Sie, für uns, für uns alle viel wichtiger, sind doch die Lösungen. Wie wir das Impfen verbessern, wie wir aus dieser Situation durch einen besseren Schutz, durch Impfung unserer Gesellschaft herausfinden. Und dazu empfehlen wir einen Impfgipfel. Wir haben schon vor einiger Zeit angeregt, dass die Bundesregierung mit der pharmazeutischen Industrie zusammenkommen sollte, um zu prüfen, was kann getan werden, um die Produktivität zu erhöhen, um die Kapazitäten auszubauen. Vielleicht gibt es administrative Hürden, die wir beseitigen können. Vielleicht gibt es freie Kapazitäten, die anders eingesetzt werden können, das müsste man im Gespräch ausloten. Übrigens, wenn es auf der europäischen Ebene, bei der Zulassung anderer Impfstoffe, bürokratische Bremsen gibt, aufgrund der Zusammenarbeit der 27 EU-Länder und es nicht medizinische Bedenken sind, die die Zulassung eines neuen Impfstoffs verzögern, dann sollte Deutschland auch nicht ausschließen, übergangsweise eine nationale Notfallzulassung zusätzlicher, verfügbarer Impfstoffe zu beschließen. Wir müssen sprechen mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, die sowieso millionenfach jedes Jahr impfen, die müssen wir einbeziehen in den Impfprozess, um das Tempo zu erhöhen. Wir brauchen mobile Impfteams, die Menschen mit einem besonderen Risiko vielleicht auch zu Hause besuchen. Wir müssen also alles unternehmen dafür, dass diejenigen, die es wollen, einen Impfschutz erhalten.
Das Impfen wird weiter eine freiwillige Angelegenheit sein, wenn es nach uns geht. Aber mein herzlicher Appell an Sie ist, machen Sie sich die Entscheidung nicht zu leicht, wenn Sie Skeptikerin oder Skeptiker sind. Prüfen Sie genau, was sind die Risiken und was ist der Nutzen. Es ist Ihre freie Entscheidung, aber wir müssen sie ernsthaft treffen. Denn individuell besteht Freiwilligkeit beim Impfen. Für die Gesellschaft insgesamt ist die Impfung aber eine Freiheitsfrage und eine Chance auf baldige Normalität, deshalb nutzen Sie die Möglichkeiten dann, wenn sie bestehen.
Meine Damen und Herren, die Pandemie hat auch Folgen für die freiheitliche Ordnung. Es war mitunter notwendig, dass die Regierungen Sonderbefugnisse reklamiert haben. Wir sind nach und nach in so eine Art Ausnahmezustand geraten. Sehr oft, wie übrigens auch bei den Entscheidungen des gestrigen Tages, sind die Parlamente in eine Zuschauerrolle geraten, die nachträglich diskutieren und bewerten können, die aber nicht die Entscheidungen vorprägen. Auch bei den Grundrechtseingriffen, die jetzt vorgenommen werden, glaube ich, dass es sinnvoller wäre, den Entscheidungsspielraum der Regierungen enger zu fassen, über das Parlament zu lenken, in dem zum Beispiel vorgegeben wird, was in einer bestimmten Situation für Freiheitseinschränkungen gerechtfertigt sind und was noch nicht oder grundsätzlich nicht. Diese Situation, die Ausnahmesituation, die beginnt auch Haltungen, die beginnt auch Mentalitäten, sie beginnt die Liberalität unserer Gesellschaft insgesamt zu formen, ich sage zu verformen. Ich erinnere mich an Stellungnahmen eines SPD-Bundestagsabgeordneten, der unlängst beklagte, dass Grundrechtseingriffe wie jetzt bei der Pandemie zur Bekämpfung von Corona, ja leider nicht zu erwarten sind bei der Bekämpfung des Klimawandels. Die Ausnahmesituation, in der wir jetzt sind, mit diesem starken Staatszugriff und der Einschränkung, der Beschneidung unserer Grundrechte, die empfinden manche zur Erreichung anderer Ziele offenbar auch als zumindest bedenkenswert. Von gewissen Klimaaktivisten gab es ähnliche Vorschläge schon in der Vergangenheit.
Die Verformung der Liberalität unseres Landes wurde für mich auch deutlich bei der Debatte um sogenannte Vorrechte für Geimpfte. Freiheiten werden in unsrem Land eingeschränkt aufgrund der Gefahr, die es abzuwenden gilt. Wenn von einem Geimpften, sofern die Wissenschaft das bestätigt, aber keine Gefahr mehr ausgeht, dann entfällt zugleich auch der Grund für den Grundrechtseingriff. Wenn in einer Gesellschaft damit begonnen wird, die Grundrechte, die in unserer Verfassung verbrieft sind, umzuformen in eine Form der Privilegien, dann verändert das den Charakter unserer Gesellschaftsordnung insgesamt. Ich verkenne nicht den sozialen Sprengstoff, meine Damen und Herren, der damit verbunden ist, dass ein Geimpfter bereits wieder seine Grundrechte verwirklichen, seine Freiheit nutzen kann und andere, die noch nicht den Impfschutz haben, nur dabei zusehen dürfen. Ich verkenne nicht den sozialen Sprengstoff, der damit verbunden ist. Die Lösung muss aber sein, dass Impfen für diejenigen, die es wollen, so zu beschleunigen, dass sich diese gesellschaftliche Grundentscheidung, dieser Konflikt in den nächsten Wochen und Monaten gar nicht erst entzünden kann.
Der erste Impfstoff, der verfügbar war, das war der Impfstoff von Biontech. Das war eine gute Nachricht. Ein in Rheinland-Pfalz entwickelter Impfstoff für die Welt. Diese Nachricht ist eine Verheißung auf Verbesserung der Situation und vielleicht ging es Ihnen wie mir, diese Nachricht hat mich auch stolz gemacht, was in unserem Land möglich ist. Da sind zwei Menschen, beide mit einer Zuwanderungsgeschichte, Frau Türeci und Herr Sahin, die unser Bildungssystem erfolgreich durchlaufen, die Spitzenforscher werden, die ein Unternehmen gründen, und die danach eine für die Menschheit segensreiche Innovation erreichen. Eine großartige Erfolgsgeschichte.
Meine Damen und Herren, geben wir uns aber bitte nicht der Illusion hin, dass diese Erfolgsgeschichte repräsentativ für unser Land wäre, dass sie eine Selbstverständlichkeit wäre. Ich fürchte, gerade das Gegenteil stimmt. Fünf Gründe: Deutschland ist erstens kein fortschrittsfreundliches Land mehr. Es gibt sehr schnell bei uns Mehrheiten gegen etwas, aber es dauert sehr lange, Mehrheiten für etwas zu gewinnen. Wir steigen öfter aus Technologien aus als in neue ein. Wir verschließen öfter Technologiepfade für die Zukunft, als dass wir neue eröffnen. Es ist bereits gesagt worden, wäre es nach unseren Mitbewerbern von den Grünen gegangen, hätte es solch eine gentechnologische Entwicklung überhaupt gar nicht gegeben. Uns alle sollte das eine gewisse Demut lehren. Wir können zukünftige technologische Entwicklungen schlicht nicht voraussehen. Und deshalb sollten wir nicht ohne Not und vor der Zeit Türen schließen, durch die vielleicht nächste Generationen gehen müssen. Bei der Frage der Antriebstechnologien beim Auto, bei der Frage der Veränderung unserer Wirtschaft aufgrund des Klimaschutzes und neuer Technologien in diesem Bereich. Bei der Frage der Gentechnologie in einem umfassenden Sinne und anderer Formen der Biologisierung des Lebens im Bereich der Digitalisierung. Sorgen wir dafür, dass wir wieder ein offenes, ein technologiefreundliches Klima haben. Gewähren wir Forschungsfreiheit, stärker als wir es bisher tun. Vertrauen wir also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dass ihr Handeln auch ethisch begründet ist.
Deutschland hat zweitens in den vergangenen Jahren unkontrollierte Zuwanderung erfahren, aber wir sind bis heute kein attraktives Einwanderungsland. Die Talente der Welt, die kommen nicht zuerst nach Deutschland. Das hat damit zu tun, dass wir immer noch kein unbürokratisches Einwanderungsrecht haben, das eine Einladung ausspricht für die hellsten Köpfe der Welt, ihr Glück bei uns zu suchen. Das muss sich rasch ändern. Es hat aber auch etwas mit dem Klima in unserer Gesellschaft selbst zu tun. Wer sein Glück sucht und sich etwas aufbauen will, warum in Deutschland, wo kein anderes Land so sehr wie Deutschland das individuelle Vorankommen durch Bürokratismus, durch Steuern und durch Abgaben erschwert? Wer sich etwas aufbauen will, der hat woanders bessere Gelegenheiten, da gelingt der soziale Aufstieg leichter. Auch in unserer Gesellschaft insgesamt ist das Klima noch nicht so offen, wie es sein sollte. Grade für Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte. Als vor der letzten bayerischen Landtagswahl die CSU Kruzifixe in öffentliche Gebäude aufgehangen hat, da war das nicht ein Symbol der Weltoffenheit, es war nicht eine Einladung an Menschen, unabhängig von ihrer kulturellen und religiösen Prägung, als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Deutschland ihr Glück zu suchen, sondern es war eher das Statement, dass unser Land sich aus anderen kulturellen Quellen speist, als aus dem Gedanken, gemeinsam vertretener freiheitlicher Werte, die eigentlich den Unterschied machen müssten. Und leider gibt es in unserem Land auch unverändert gegenüber Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte Alltagsrassismus. Der falsche Nachname führt zu oft noch dazu, gar nicht erst zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Führt zu oft dazu, dass Menschen, die Mietinteressentinnen und -interessenten sind, gar nicht die Gelegenheit haben, sich eine Wohnung anzusehen.
Das kann man nicht gesetzlich alles regeln und verordnen, ich weiß. Solche Mentalitäten prägen sich im Alltag. Aber Sie, ich, wir alle sind aufgefordert, die Sensibilität zu haben, dass Toleranz und Respekt in kultureller und religiöser Hinsicht eine Anforderung ist, die wir an andere, die zu uns kommen, stellen. Der wir aber in einer freiheitlichen Gesellschaft auch selbst gerecht werden müssen.
Der Erfolg von Biontech, der speist sich auch aus einem tollen Paar, das gemeinsam Forschung vorantreibt und Unternehmen gründet. Frau Türeci ist eine Spitzenforscherin. Wie viele Gründerinnen, wie viele Spitzenforscherinnen, wie viele Managerinnen in solchen Funktionen haben wir aber in unserem Land? Auch dort besteht ein großer Nachholbedarf. Er beginnt dabei, dass wir Mädchen und jungen Frauen auch stärker als bisher naturwissenschaftlich-technische Berufe näherbringen müssen und sie nicht in vielleicht vorhandene Rollenmuster, die längst überkommen sind, hineinsprechen. Wir müssen dafür sorgen, dass solche Karrieren in Forschung und Wirtschaft möglich sind, indem wir auch die Rollenmuster in der Familie überdenken, indem wir auch die Möglichkeiten der Betreuung außerhalb der Familie so verbessern, dass Frauen sich nicht mehr entscheiden müssen zwischen beruflichem Erfolg, wo auch immer, und dem Bemühen um die eigene Familie, der Sorge um die eigenen Kinder. Das ist keine repräsentative Karriere von Frauen in Deutschland, die Frau Türeci gemacht hat.
Und viertens haben wir ein Problem, auch in unserem Bildungssystem, sprechen wir es offen aus, wer eine Migrationsgeschichte hat oder aus einer Familie kommt, wo es keine hohen Bildungsabschlüsse gibt, bei ihr oder bei ihm, ist die Wahrscheinlichkeit, Bildungserfolg zu haben, geringer als bei denen, die ohnehin schon aus einer Familie kommen, wo hohe Abschlüsse oder gar akademische Abschlüsse die Regeln waren.
Fast nirgendwo sonst auf der Welt bestimmt die familiäre Herkunft den Lebensweg wie in Deutschland. Im Land der sozialen Marktwirtschaft, mit ihrem Aufstiegsversprechen, ist das eigentlich der größte Gerechtigkeitsskandal. Übrigens führt das auch dazu, dass wir viele Mittel, die wir in unserem Sozialbereich einsetzen, darauf konzentrieren müssen, Versäumnisse des Bildungssystems, das ganze Leben lang zu kompensieren. Eigentlich müssten wir ja einen investiven Sozialstaat haben, der sich darauf konzentriert, am Anfang beste Voraussetzungen zu schaffen, damit man später im Verlauf des Lebens, bei Schicksalsschlägen, aber nicht dauerhaft, auf die Unterstützung der Solidargemeinschaft angewiesen ist. Davon sind wir weit entfernt. Sowohl in der Breite, als auch in der Spitze ist unser Bildungssystem von der Kita über die Schule, den beruflichen Bereich, bis zum akademischen Bereich nicht so gut, wie es sein müsste. Ich sehe darin eine der wesentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen für die nächste Dekade.
Das Ziel zu haben, dass unser Bildungssystem wieder in der Weltspitze mitsprechen kann, dazu werden wir uns selbst auf den Prüfstein stellen müssen. Grade hier in der Pandemie hat sich gezeigt, dass digitale Didaktik nicht vorhanden ist. Wir werden sie nicht auf Dauer für Lernen auf Distanz gebrauchen können und müssen, so hoffe ich, aber digitale Didaktik ergänzt eben auch den Präsenzunterricht. Wir haben die technische Ausstattung nicht. Vielfach müssen Lehrerinnen und Lehrer auch noch sich mit den neuen Methoden vertraut machen. Wie ist die Situation der Gebäude? Von der Kita bis zur Hochschule, in welchem Zustand sind diese Gebäude? Haben wir einheitlich vergleichbare Regelungen, die es Menschen auch erlauben, zwischen den Bundesländern sich zu vergleichen oder umzuziehen. Den Arbeitsplatz zu wechseln, ohne dass es zu einem Risiko der Bildungslaufbahn der Kinder wird. Also wir müssen uns eine neue Frage stellen, ob es nicht in unserem Land schon auch eine Reform der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern braucht, mit mehr Vergleichbarkeit zwischen den Ländern, mehr gemeinsamen Standards, die sich nicht orientieren am schwächsten Bundesland in Deutschland, sondern gemeinsam Standards, Methoden und Ambitionen, die sich orientieren wieder an den Besten in der Welt.
Deutschland ist auch kein unternehmerfreundliches Land. Wir feiern jetzt den Erfolg von Biontech, ein Unternehmen, das jetzt ein Einhorn geworden ist. So nennt man ja die Unternehmensgründungen, die irgendwann die Wertschwelle von einer Milliarde Dollar überschreiten, aber wie viele Neugründungen von Unternehmen, die in diese Größenordnung vorstoßen, gibt es eigentlich in Deutschland? Wir haben gesehen, im vergangenen Jahr gab es ein Unternehmen mit Wirecard, das lange auch als Innovationstreiber gesehen worden ist, und dass sich am Ende als ein großer Betrug entpuppt hat, der noch Fragen aufwirft zur Rolle der öffentlichen Finanzaufsicht, die ja gut darin ist, jeden kleinen Anlagevermittler zu beobachten, aber bei diesen großen systemischen Risiken offensichtlich versagt hat. Wir sind also kein Land, das Spitzenunternehmen, Start-ups neu hervorbringt. Wir haben sehr viele bürokratische Hürden, wenn es darum geht, dass Menschen den Traum von der Selbstständigkeit erfüllen wollen, wir haben viele Hürden dabei, wenn Menschen durch großartige Produkte unser Leben bereichern wollen. Und natürlich dann auch selbst als Unternehmerin und Unternehmer den eigenen Erfolg damit sichern wollen. Wir beantworten unternehmerisches Engagement, wenn es danebengeht, oft mit Häme oder eben mit Neiddebatten und Diskussionen über Umverteilung und Steuererhöhungen und anderes mehr, gar Enteignung und Sonderopfer, wie jetzt gerade aktuell in der Phase der Pandemie. Wir sollten das ändern, wir sollten ein Land werden, das die Übernahme unternehmerischer Risiko und Innovationskraft wieder mit Anerkennung beantwortet, mit Respekt beantwortet, wenn Menschen bereit sind, in diese Form des Lebens zu wechseln, die eben nichts mehr zu tun hat mit Stechuhr, sondern mit der Verantwortung für andere Menschen, Verantwortung für unsere Gesellschaft. Wir sollten ein Klima schaffen, das diese Anstrengungen belohnt. Wir sollten Rahmenbedingungen schaffen, die die bürokratischen Hürden lenken, schon zu Beginn, aber auch dauerhaft sollten die bürokratischen Fesseln gelockert und gelöst werden. Niemand hat die Bonpflicht, die Anfang letzten Jahres eingeführt worden ist, vorher vermisst. Bei der Datenschutzgrundverordnung gibt es Anlass zur Verbesserung, wir haben bei der Dokumentationspflicht inzwischen einen Wust und viele, viele andere Fragen mehr lenken davon ab, worum es wirklich geht, nämlich neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen und mit hochinnovativen Produkten unseren Wohlstand auf den Weltmärkten zu sichern.
Machen wir auch Kapital verfügbar, privates Kapital, das investiert werden kann in unternehmerische Träume. Damit daraus eine neue Wachstums- und Wohlstandsgeschichte für unser Land erwächst.
Schaut man also auf unser Land, bei der Frage der Technologiefreundlichkeit, bei der Frage, wie gehen wir mit Bildungschancen und der Teilhabe von Frauen um, bei der Frage der Unternehmens- und Unternehmerfreundlichkeit, schauen wir uns das an, so müssen wir feststellen, Biontech ist nicht repräsentativ für Deutschland, wie es ist. Aber diese Erfolgsgeschichte ist eine Inspiration für Deutschland, wie es sein könnte. Was hält uns davon ab, genau das nun zu verwirklichen? Aus dieser Pandemie heraus zu schauen, welche Potenziale in unserem Land bestehen? Sie zu nutzen. Wann, wenn nicht jetzt, sollte wir es tun? Deutschland steht nach der Pandemie, ich bin kein Kassandra-Rufer, aber Realist, vor einer Phase der Neugründung. Die Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft ist eher beschleunigt worden durch diese Pandemie. Auf der Weltbühne hat sich Dramatisches verändert. Unsere Produkte werden sich nicht mehr automatisch auf der Weltbühne verkaufen, sondern ganz im Gegenteil, wir werden unseren Platz auf der Weltbühne neu begründen und erarbeiten müssen. Und deshalb nutzen wir doch diesen Impuls, den wir erfahren durch die Inspiration und durch die Wahrnehmung der Schwierigkeiten, die wir während der Pandemie haben, um unser Land grundlegend zu erneuern. Setzen wir auf Wachstum. Wenn jetzt gefragt wird, ja, wer trägt die Folgen der Pandemie? Da sprechen manche schon wieder von Steuererhöhungen. Das ist kein guter Rat, wenn man die Wirtschaft beleben will, wenn man attraktiv werden will für private Investitionen auch aus der Welt, die zu uns fließen können und wenn man individuellen Aufstieg den Menschen in der Breite der Mittelschicht erleichtern will.
Man macht Deutschland nicht stark, indem man diejenigen weiter schwächt, die sich etwas aufbauen wollen oder die unternehmerische Risiken tragen. Sie wissen, wir Freie Demokraten, wir nehmen unsere Wahlzusagen sehr ernst. Es ist sogar vorgekommen, dass wir einmal eine Regierungsbeteiligung nicht eingegangen sind, weil wir zentrale Wahlzusagen, die wir Ihnen gegeben haben, nicht erfüllt sehen können. Deshalb bin ich sehr sparsam mit definitiven Aussagen, aber eine will ich doch machen. Wäre ich Finanzminister, dann würde es in Deutschland keine Erhöhung der Steuern auf die Einkommen der Beschäftigten oder derjenigen geben, die Arbeitsplätze in unserem Land schaffen. Keine zusätzliche Belastung, sondern die Arbeit an einer Entlastungsinitiative, mit einer einzigen Ausnahme, die ich machen will. Die Konzentration eines nächsten Finanzministers darf nicht darauf liegen, zu schauen, wie er mehr Geld in die Kasse bekommt, indem er die Menschen, die in der Mittelschicht und im Mittelstand tätig sind, stärker zur Kasse bittet. Die Aufgabe muss darin liegen, dafür zu sorgen, dass die Online-Giganten, dass der Silicon-Valley-Plattform-Kapitalismus seinen fairen Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens zahlt. Deren volkswirtschaftliche Bedeutung beispielsweise von Amazon ist gewachsen durch die Pandemie und deshalb wächst auch die Dringlichkeit, hier zu fairen Rahmenbedingungen zu kommen.
Die anderen wollen das Schuldenmachen zu einer neuen Staatsphilosophie erklären. Davon kann ich nur abraten, denn wir alle werden diese Schulden irgendwann begleichen müssen. Wenn Deutschland zu lange zu viele Schulden macht, ist das auch eine Destabilisierung unserer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die Pandemie darf nicht bereits die Grundlage schaffen, für die nächsten Staatsschulden und Finanzkrise, wie wir sie vor zehn Jahren hatten, denn unsere Handlungsmöglichkeiten sind heute geringer, als sie es damals waren.
Nein, wir brauchen eine Politik, die durch Wachstumsfreundlichkeit für Prosperität und wachsende Staatseinnahmen sorgt. Eine solche Politik würde uns erlauben, aus den Schulden herauszuwachsen, Aufstiegschancen zu verwirklichen und gleichzeitig neue Arbeitsplätze zu schaffen. Eine solche Politik müsste ansetzen bei der Vergrößerung der wirtschaftlichen Freiheit und der Eigenverantwortung durch weniger Bürokratismus, durch eine Reduzierung der steuerlichen Belastung. Eine Reduzierung der Kosten für die Energie. Und eine Erhöhung der Attraktivität privater Investitionen und nicht zuletzt muss sie dafür sorgen, dass die öffentlichen Investitionen, die in den Haushalten stehen, auch tatsächlich in moderner Infrastruktur ankommen.
Nutzen wir diesen Impuls, wie man die Pandemie bekämpfen kann, doch auch für die Arbeit an den anderen großen Menschheitsherausforderungen wie dem Klimaschutz. Warum sprechen wir nur über Verbote und Dirigismus? Anfang dieses Jahres wurde ein CO2-Preis eingeführt, von CDU, SPD und Grünen, Sie haben es gemerkt beim Tanken. Das ist plötzlich teurer. Das ist das alte Prinzip. Man erhöht den Preis und glaubt, dadurch würde sich das Verhalten irgendwann verändern. Bei der Ökosteuer hat das aber nicht funktioniert. Und deshalb nutzen wir doch einen Gründungs-, einen Neugründungsimpuls, einen Veränderungsimpuls unserer Wirtschaft auch für den Klimaschutz. Indem wir Erfindergeist mobilisieren. Indem wir die Instrumente der Marktwirtschaft in den Dienst ökologischer Ziele stellen.
Sie könnten jetzt sagen: Na ja, das ist so eine abstrakte Formulierung, in Wahrheit gehts darum, den Klimaschutz gar nicht ernst zu nehmen. Ich kenne solche Vorhaltungen. Aber glauben Sie mir, uns ist es ernst damit, aber wir haben einen anderen Weg. Wir glauben, dass im Ideenwettbewerb, im Vertrauen auf die Souveränität der Konsumenten und die Fähigkeit unserer Ingenieurinnen und Ingenieure wir die neuen Technologien finden, die es erlauben, günstiger, zu geringeren Kosten als bisher, CO2-Ziele zu erreichen. Das muss auch unser deutscher Anspruch sein, denn viele werden jetzt nach der Pandemie auf der Welt in einen Aufholprozess in der Wirtschaft starten und unser Beitrag als deutsche Volkswirtschaft muss sein, die Technologien zur Verfügung zu stellen, die einen Aufholprozess und mehr wirtschaftliche Dynamik vereinbar machen mit der notwendigen Ressourcenschonung.
Und nutzen wir diesen Neugründungsimpuls, meine Damen und Herren, dafür, auch unseren Staat und seine Systeme auf den Prüfstand zu stellen. Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung werden in der alternden Gesellschaft jetzt neue Grundlagen brauchen. Also diskutieren wir nicht über feste Renteneintrittsalter, sondern individualisieren wir das Renteneintrittsalter, wie auch unsere Gesellschaft vielfältig geworden ist. Stärken wir die Möglichkeit zur privaten Vorsorge. Geben wir uns mit einem Digitalisierungsministerium eine zweite Chance, vergangene Versäumnisse aufzuholen, die öffentliche Verwaltung zu modernisieren, zu digitalisieren, damit der Behördengang so leicht wird wie das Ändern der Lieferadresse bei einem Online-Anbieter. Nutzen wir diesen Gründungsimpuls, um die staatliche Zusammenarbeit zum Beispiel im Bildungssystem, wovon ich gesprochen habe, neu zu prüfen, damit wir im Weltmaßstab wieder erfolgreich sind.
In diesem Jahr geht es um Grundsatzentscheidungen. Sie werden dieses Jahr entscheiden, zuerst in Baden-Württemberg, wo Uli Rülke antritt und in Rheinland-Pfalz mit Daniela Schmitt, welche Richtung das Land in den 2020er Jahren gehen soll. Es ist eine Grundsatzentscheidung, ob Sie eher daran glauben, dass die Zukunft unseres Landes in einer neuen Staatsfrömmigkeit besteht, bei dem wir alle Entscheidungen an Regierungen abtreten oder in der Rückbesinnung auf die Freiheitsliebe und den Gedanken der Eigenverantwortung, den Ideenwettbewerb um die besten Lösungen.
Wenn Sie auf die Freiheitsliebe vertrauen, dann sind wir Freie Demokraten Ihr Ansprechpartner. Wir glauben, dass bei der Neugründung unseres Landes der Gedanke der Liberalität wieder im Zentrum stehen muss. Und zwar in einem umfassenden Sinne. Liberalität der Gesellschaft, Liberalität der Wirtschaft. Diese Pandemie hat eins gezeigt, wie wertvoll die Freiheit in einem umfassenden Sinne und in jedem Bereich unserer Gesellschaft ist.
Wir sind hier vor einem leeren Saal. Und der politische Auftrag, meine Damen und Herren, dieses Jahres ist, dafür zu sorgen, dass wir alle wieder unsere Plätze einnehmen können. Unsere Plätze als Beschäftigte an einem sicheren Arbeitsplatz statt in Kurzarbeit, unsere Plätze im Klassenraum als Schülerinnen und Schüler, den Platz der Kulturschaffenden auf dieser Bühne und auch den Platz souveräner Bürgerinnen und Bürger, die ihre Regierungen kritisch begleiten, ihre Grundrechte kennen und ihre Freiheit lieben.
Wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung für unser Land, mehr noch, wir haben Lust auf Gestaltung, wir haben Lust darauf, nach dem Ende der Ära Merkel am nächsten Kapitel unseres Landes mitzuschreiben im Geiste der Freiheit.
Machen Sie es gut! Bleiben Sie gesund! Und auf Wiedersehen!“